Kino

Leichenschmaus an Pessach

»Ruf mich an«, spricht der Vater seinem Sohn Rubén auf den Anrufbeantworter. »Deine Mutter hat eine Überdosis Schlaftabletten genommen.« Ausgerechnet zu Beginn von Pessach hat sich Nora umgebracht und damit ihren Ex-Mann José, mit dem sie trotz der Scheidung vor 20 Jahren in nicht nur räumlicher Nähe in derselben Straße lebte, in das Netz eines ebenso tückischen wie scharfsinnigen Plans eingewoben. José, so ihr letzter Wille, soll ihre Beerdigung organisieren, genauer gesagt, ausführen, denn organisiert hat Nora das Begräbnis im Prinzip schon selbst. Wegen Pessach, dem darauf folgenden Schabbat und dem Warten auf Rubén dauert diese für José lästige Pflicht jedoch länger als erwartet. Zudem muss er in Mexico-City einen jüdischen Friedhof finden, der bereit ist, eine Selbstmörderin zu bestatten. So verbringt der Witwer wider Willen fünf Tage an der Seite der wegen der Hitze auf Trockeneis gelagerten Toten – zunehmend erzürnt, weil ihn die Hassliebe seines Lebens offenbar noch aus dem Jenseits manipulieren will. Erschwerend hinzu kommen für den Atheisten die Dauergebete des Jeschiwebochers Moisés. Während dieser Zeit des Wartens und Organisierens kommt José einigen Geheimnissen seiner Ex-Frau auf die Spur ...

familientreffen Albern, sarkastisch, auf elegante Weise geschmacklos, zugleich feinsinnig und zärtlich: Mariana Chenillos Spielfilmdebüt Fünf Tage ohne Nora – zu dem die Regisseurin, wie sie erzählt, sich vom Schicksal ihrer eigenen Großeltern inspirieren ließ – ist eine mexikanisch-jüdische Komödie, die in ihrer Mischung aus schwarzem Humor, Absurdität und Humanismus einem guten Woody-Allen-Film nicht nachsteht. Kein Wunder, dass Fünf Tage ohne Nora mit gleich sieben mexikanischen Filmpreisen belohnt wurde, darunter dem für die beste Regie, den Chenillo als erste Frau in der männerdominierten mexikanischen Filmgeschichte bekam.

seder Kontrollfreak Nora, das dämmert José allmählich, hat ihren Selbstmord auch als letztes Familientreffen geplant. In den Stunden vor ihrem Tod bereitete sie die Seder-Speisen zu und verstaute sie sorgfältig in Tupperdosen im Kühlschrank, auf jedem Behälter ein Schildchen mit genauen Anweisungen zur Zubereitung. So sitzt dann die erweiterte Familie am Tisch, zu der außer Vater José und Sohn Rubén mitsamt Mischpoche auch die halb blinde Cousine Leah aus Guadalajara gehört sowie das katholische Hausmädchen Fabiana, das aus Rache an seinen Herrschaften heimlich unkoschere Zutaten in die Feiertagsspeisen mischt, und störrisch darauf besteht, Nora habe eigentlich gut christlich mit Rosenkranz und Kruzifix bestattet werden wollen. Mit dabei ist auch der zänkische Rabbi Jacowitz, Noras Ratgeber während ihrer letzten Lebensjahre, der auf exakter Einhaltung der jüdischen Bestattungsrituale insistiert.

Ein Großteil des Charmes dieses Film entsteht durch das Aufeinanderprallen dieser verschiedenen Menschentypen und durch die Versuche Josés, des stoischen Helden dieser Geschichte, den »höheren« Absichten seiner Ex-Frau weiterhin zu widerstehen. Fünf Tage ohne Nora ist ein einfühlsamer, eleganter Film voll sanfter Schwermut und befreiendem Humor, der immer spätestens dann einsetzt, wenn alles zu sentimental zu werden droht. Er kreist darum, wie ein Paar, das zu Lebzeiten miteinander verkracht war, auch im Tod nicht voneinander loskommt, und postum vielleicht keinen Frieden schließt, aber einen Waffenstillstand.

Columbia University

»Eine große Gefahr für den Westen«

Der Hochschullehrer Ran Kivetz über anti-israelische Proteste, Morddrohungen gegen jüdische Dozenten und mögliche Folgen für die liberale Demokratie

von Detlef David Kauschke  05.01.2025

Kulturkolumne

Warum ich für meine Familie zwei WhatsApp-Gruppen brauche

Beide Gruppen nerven mich – und doch ist es gleichzeitig alles andere als selbstverständlich, mit allen in Echtzeit so kommunizieren zu können

von Laura Cazés  05.01.2025

Aufgegabelt

Heringssalat mit Roter Bete

Rezepte und Leckeres

 05.01.2025

2024

Hebräischer Vorname ist am beliebtesten bei deutschen Eltern

Gerade unter den beliebtesten Jungennamen sind einige biblischen Ursprungs

 03.01.2025 Aktualisiert

Filmbiografie

Erfolg in Blau - Miniserie über Levi Strauss

Die Jeans von Levi’s sind weltbekannt – doch wer kennt die Geschichte ihrer jüdischen Erfinder? Ein ARD-Mehrteiler erzählt von Levi Strauss und Jacob Davis

von Kathrin Zeilmann  03.01.2025

Debatte

Musk-Beitrag in der »Welt«: Idee kam von Springer-Aufsichtsrat

Die Hintergründe

 03.01.2025

Familie

»Ich vertraue deinem Gewissen«

Die 18-jährige Tochter des israelischen Schriftstellers Eshkol Nevo wird zum Wehrdienst eingezogen – auf eigenen Wunsch in eine Kampfeinheit. Der Vater schreibt ihr einen Brief

von Eshkol Nevo  03.01.2025

Gaza

Von der Welt vergessen

Seit 455 Tagen befindet sich das israelische Kleinkind Kfir Bibas mit rund 100 anderen Geiseln in der Gewalt der Hamas. Wo bleibt der Aufschrei?

von Georg M. Hafner  03.01.2025

Imanuels Interpreten (3)

Allee Willis: Die bekannteste Unbekannte

Sie ist die Unbekannte hinter Songs, von denen einige die Welt im wahrsten Sinne des Wortes bewegt haben. Ihr Motto: »Der Text darf nie mit dem Groove kollidieren.«

von Imanuel Marcus  03.01.2025