Wie neutral und objektiv ist die Wissenschaft? Was können die Experten aus Forschung und Lehre voneinander lernen? Welche Möglichkeiten gibt es für die Zusammenarbeit deutscher und israelischer Akademiker in den Geisteswissenschaften?
Diese und andere Fragen diskutierten Wissenschaftler und Interessierte im Rahmen einer Veranstaltung, die am vergangenen Donnerstag in Leipzig stattfand. Eingeladen dazu hatten die Leibniz-Gemeinschaft, das Leibniz-Institut für jüdische Geschichte und Kultur und die Universität Leipzig. Zentrales Thema waren deutsch-israelische Kooperationen auf dem Gebiet der Geisteswissenschaften.
KOOPERATION Es war eine hochkarätig besetzte Veranstaltung, bei der auch auf die lange Historie des Austauschs zurückgeblickt wurde. »Der erste kooperative Dialog zwischen Israel und Deutschland fand vor der Entwicklung der deutsch-israelischen Beziehungen 1965 in einem wissenschaftlichen Kontext statt«, sagte der israelische Botschafter Jeremy Issacharoff in seiner Einführung.
Ebenso würdigte der Botschafter den wissenschaftlichen Dialog zwischen Israel und Deutschland, der eine neue Art der Kommunikation »auf der Basis von Hoffnung und Enthusiasmus« ermögliche und ein komplementäres Zusammenspiel zwischen deutschen und israelischen Wissenschaftlern erzeuge. »Die deutsch-israelische Beziehung zeigt beispielhaft, wie Geschichte sich und die Menschen verändern kann«, sagte Issacharoff. Obwohl Entscheidungen im akademischen Raum häufig von politischen Interessen abhingen, sei das Heraushalten von Politik aus wissenschaftlichen Disziplinen dennoch unerlässlich.
»Die deutsch-israelische Beziehung zeigt, wie Geschichte Menschen verändert.« Jeremy Issacharoff
Dass diese auf wissenschaftliche Neutralität abzielende Aussage nicht bei allen Gästen des Abends auf Zustimmung stieß, zeigt der Vortrag des Historikers Moshe Zimmermann über vorherrschende Spannungen zwischen Wissenschaft und Erinnerungspolitik. »Diejenigen, die eine wertneutrale Wissenschaft fordern, liegen moralisch und historisch falsch«, mahnte Zimmermann in seinem Vortrag.
Der israelische Historiker schloss aus seiner geschichtlichen Analyse, dass Wissenschaften auch immer politischen und ideologischen Interessen ausgesetzt seien. Deshalb seien Forschende umso mehr in der Pflicht, Stellung zu beziehen. »Auch in Zukunft wird kollektives Erinnern sowie kollektives Vergessen eine Rolle spielen«, so der emeritierte Professor für Neuere Geschichte. Daher sei es notwendig, dass »diejenigen, die Zukünftiges planen, aus der Vergangenheit lernen«.
UNIVERSALGELEHRTER Auch der Namensgeber des Instituts, Gottfried Wilhelm Leibniz, könne dafür heute noch als Vorbild dienen, hieß es auf der Tagung. »Leibniz’ wissenschaftliche Praxis war stets gesellschaftlich verankert und für die Gesellschaft gedacht«, erläuterte Matthias Kleiner, Präsident der Leibniz-Gesellschaft. Der in Leipzig geborene Universalgelehrte war im ausgehenden 17. und beginnenden 18. Jahrhundert einer der klügsten Geister seiner Zeit und gilt als wichtiger Vordenker der Aufklärung. Als Philosoph, Mathematiker, Historiker und Entwickler hat er sich in verschiedenen Feldern hervorgetan – eine Fülle an Leistungen, die in der weit ausdifferenzierteren Wissenschaftswelt von heute nur durch Zusammenarbeit und Kooperationen vorstellbar ist.
Insofern führte die Beschäftigung mit Leibniz wieder zum Thema des Abends. Mit einer Podiumsdiskussion, die von Matthias Kleiner moderiert wurde und an der renommierte Wissenschaftler teilnahmen, ging es lebhaft weiter. Menahem Ben-Sasson, Kanzler der Hebräischen Universität Jerusalem, betonte die politische Relevanz der gemeinsamen Forschung, Führungskräfte in den Geisteswissenschaften auszubilden und international zu vernetzen. »Es geht nicht darum, dass alle dieselbe Meinung vertreten, sondern dass ein Netzwerk für Dialog und Austausch geschaffen wird«, führte er weiter aus. Der israelische Historiker verdeutlichte die zukunftsweisenden Aspekte einer Ausbildung von Führungspersönlichkeiten, »die nicht nur durch Reflexion, sondern gemeinsames Kreieren vorangehen«.
Alle Beteiligten waren sich einig über die Relevanz des Austauschs.
Zudem sei die geschichtsbewusste Zusammenarbeit als besondere Chance zu begreifen, riet Beate Schücking, Rektorin der Universität Leipzig. Sie forderte darüber hinaus, sich zu vergegenwärtigen, dass die Meinungs- und Forschungsfreiheit historisch betrachtet nicht als selbstverständlich vorausgesetzt werden könne. Schücking verwies auf den positiven Einfluss, den insbesondere Forschung und Lehre an Universitäten auf die gesellschaftliche Entwicklung ausübe.
Kontext Für Yfaat Weiss sind besonders zukünftige Forschungen von ihrem spezifischen Kontext abhängig. »Wissenschaftler müssen darüber nachdenken, mit welchen Partnern, Forschungsmethoden oder Institutionen sie zusammenarbeiten möchten«, so die Direktorin des Simon-Dubnow-Instituts über die Kontextualisierung von Wissenschaft. Weiss sprach sich für eine verantwortungsethische Herangehensweise in der wissenschaftlichen Praxis aus, die ein gesundes Maß an Vertrauen und Misstrauen voraussetze.
Bei aller Diskussionsfreude über die Spannungen zwischen Wissenschaft und Erinnerungspolitik und die damit verbundenen Herausforderungen waren sich alle Gäste einig über die Wichtigkeit des Austausches und der Kooperation. Besonders deutlich wurde dabei erneut Beate Schücking. Sie bekräftigte die emotionalen Beweggründe zur deutsch-israelischen Vernetzung, »die im Herz und Bauch entstehen«.