In der öffentlichen Debatte hat der Begriff »Salafismus« die Termini »Islamismus«, »islamischer Fundamentalismus« oder »islamischer Extremismus« abgelöst, ist aber letztendlich kaum von diesen zu trennen.
Der Salafismus ist eine totalitäre Variante des Islam, die im Widerspruch zu Demokratie, Menschenrechten und der Idee der Geschlechtergerechtigkeit steht. Er verbindet eine in die Vergangenheit projizierte Utopie mit modernen Elementen der Popkultur und ist in vielen Ländern, unter anderem in Deutschland, die am schnellsten wachsende Jugendbewegung.
begriff Der Begriff geht auf den arabischen Terminus al-salaf al-salih, »die frommen Altvorderen«, zurück und bezieht sich auf den Propheten Mohammed und die ersten drei Generationen von Muslimen, die als ultimative Vorbilder für das eigene Handeln gelten. Salafisten geben vor, den ersten Muslimen in jeder Hinsicht nachzueifern, und versuchen, ihre Ideen und Handlungen mit Koranzitaten oder Begebenheiten aus dem Leben des Propheten Mohammed und seiner Gefährten zu begründen.
Besonderer Wert wird auf das äußere Erscheinungsbild gelegt, auf die knöchellangen Gewänder (jellabah) und die Bärte der Männer sowie die strenge Verhüllung des Körpers (hijab) inklusive des Gesichtsschleiers (niqab) der Frauen. Dies sichert Salafisten die erwünschte Aufmerksamkeit. Eigene Symbole, eine eigene subkulturelle Sprache, die sich arabischer Metaphern und Floskeln bedient, sowie eine spezifische Musik (nashid) und Ästhetik tragen dazu bei, dass Salafismus eine Kultur mit Wiedererkennungswert geworden ist. Theologisch und politisch nehmen Salafisten Bezug auf den saudi-arabischen Wahhabismus und auf die frühe Muslimbruderschaft.
Die salafistische Ideologie zeichnet sich durch schlichte Gegensatzpaare (Muslime vs. Nichtmuslime, gut vs. böse) und einfache Handlungsanleitungen aus. Salafisten sind von der Überlegenheit des Islam gegenüber anderen Weltauffassungen überzeugt und glauben daran, dass Allah alle »Ungläubigen« (kuffar) nach dem Tod ins ewige Höllenfeuer schicken wird. Zu Ungläubigen werden auch Muslime erklärt, die nicht die eigene Definition des Islam teilen, vor allem Schiiten, Sufis, Angehörige der Ahmadiyya oder progressive Muslime.
Der Salafismus hat ein utopisches Gegenmodell zu real existierenden Gesellschaftsformen entworfen und bietet seinen Anhängern »Heimat« in einer unübersichtlichen Welt. Er zeichnet sich durch eine rigide Geschlechterordnung aus, die überraschenderweise auch für Frauen attraktiv ist; durch ein strenges Regelsystem, dem der Einzelne sich zu unterwerfen hat; sowie durch die Gleichzeitigkeit von Autoritarismus und anarchischen Freiräumen. Für junge Männer bietet er in seiner Variante des Dschihadismus eine Spielwiese des Heroischen, die seltsam anachronistisch wirkt.
Islam Viele dschihadistische Gruppen glauben, dass eine prophezeite Endzeit anbricht, die zur globalen Herrschaft des Islam führen wird. Die Attraktivität des Salafismus liegt nicht zuletzt in seinen exklusiven und nach außen geschlossenen Gemeinschaftsstrukturen begründet. Wer sich zum Salafismus bekennt oder den »wahren« Islam annimmt, wird sofort in die salafistische Gemeinschaft aufgenommen, findet Freunde, erhält einen Ehemann oder eine Ehefrau und hat ein neues Zuhause gewonnen.
Die Separation von der Außenwelt, mitunter auch von der Herkunftsfamilie, sorgt dafür, dass die Reihen eng geschlossen bleiben. Hinzu kommt das Gefühl, anerkannt zu werden, ohne besondere Leistungen erbringen zu müssen. Es reicht vielfach aus, die geforderte Frömmigkeit zu demonstrieren und sich innerhalb der Gemeinschaft loyal zu verhalten.
Dschihadismus ist die gewalttätige Spielart des Salafismus. Der Begriff Dschihad bedeutet zwar »Anstrengung«, wird aber heute als göttlich legitimierter Krieg gegen vermeintlich Ungläubige interpretiert. Er umfasst jede Art von Gewalt – vom militärischen Angriff auf eine feindliche Armee bis zum Mord an Caféhausbesuchern oder Schulkindern. Nicht alle Salafisten sind auch Dschihadisten, doch alle Dschihadisten sind Salafisten.
Salafismus und Dschihadismus sind Ideologien, die sich gegen »den Westen« richten, der als moralisch verkommen und aggressiv gezeichnet wird. Sie sind darüber hinaus explizit antisemitisch, was sich sowohl in den Worten salafistischer Ideologen als auch in tatsächlicher Gewalt gegenüber Juden zeigt. Sowohl Hassan al-Banna, der Gründer der Muslimbruderschaft, als auch Sayyid Qutb, einer der wichtigsten Ideologen des Salafismus, zeichneten Juden als Feinde des Islam. Qutb verfasste 196o eine Schrift mit dem Titel Unser Kampf gegen die Juden, in der er die Gegnerschaft zwischen Muslimen und Juden bis auf die Anfänge des Islam zurückführte.
gewalt Grundsätzlich legitimieren Dschi-
hadisten den Einsatz von Gewalt mit einer vermeintlichen Verteidigungssituation. In Ansprachen, Liedern und Publikationen werden Muslime als Opfer westlicher Politik gezeichnet, die je nach Kontext durch die Adjektive »christlich«, »jüdisch« oder »zionistisch« bezeichnet wird. Dschihadistische Medien beschwören Vernichtungsszenarien und fordern muslimische Männer auf, sich dagegen zur Wehr zur setzen.
In dramatischen Inszenierungen, oft untermalt durch die Darstellung von Kinderleichen, wird Bezug auf aktuelle Konflikte genommen, wobei der Nahe Osten eine besondere Rolle spielt. Die Parole »Kindermörder Israel«, die auf Demonstrationen während des Gaza-Krieges gerufen wurde, ist Ausdruck dieser einseitigen Opfernarrative, aus der heraus dschihadistische Anschläge gerechtfertigt werden.
Islamistische Führer von Rachid al-Ghannouchi bis zu dem Fernsehprediger Yusuf al-Qaradawi verteidigten Selbstmordattentate gegen Israel, und europäische Dschihadisten glauben, dass Anschläge gegen Juden immer legitim seien. Die Attentate auf die jüdische Schule in Toulouse im Jahr 2012, auf das jüdische Museum in Brüssel 2014 oder den jüdischen Supermarkt in Paris 2015 sprechen hier eine deutliche Sprache.
Bei ihrem expressiven Hass auf »den Westen«, auf Israel oder »die Juden« können sich Salafisten und Dschihadisten der Zustimmung vieler Muslime aus konservativen Milieus sicher sein. Der Psychologe Ahmad Mansour, einst selbst Salafist und heute in der Präventionsarbeit tätig, spricht von unhinterfragten antisemitischen Vorurteilen in muslimischen Familien und einer bedenklichen Hinwendung junger Muslime zu einem fundamentalistischen Islam, dessen Grenzen zum Salafismus fließend sind.
Die Autorin ist Ethnologin an der Universität Frankfurt. Der Text basiert auf einem Vortrag, den sie auf der Tagung der Bildungsabteilung des Zentralrats zur »Faszination funda-
mentalistischer Weltbilder« (8. bis 10. Juni in Frankfurt) halten wird.