»Lebensmelodien sind Melodien des Überlebens von jüdischen Komponisten aus der Verfolgungszeit von 1933 bis 1945«, sagt Michael Raddatz, Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Tempelhof-Schöneberg in Berlin.
Die ersten dieser »Lebensmelodien« lernte er durch den israelischen Klarinettisten Nur Ben Shalom kennen, der am 9. November 2018 bei einer Gedenkveranstaltung vor der ehemaligen Synagoge in der Münchener Straße in Berlin spielte.
Hamburg Daraus entstand nicht nur eine Freundschaft, sondern auch ein bundesweites Projekt, gefördert vom Beauftragten der Bundesregierung für jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus, Felix Klein. Geplant sind Konzerte unter anderem in Hamburg, Hannover, Mannheim und Cottbus.
Zwei Jahre nach der ersten Begegnung, zwischen dem Theologen und dem Musiker startet das Projekt jetzt – allerdings wurde das Eröffnungskonzert mit Ben Shaloms »Nimrod Ensemble« wegen Corona verschoben. Dennoch überträgt der Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) am 8. November »Lebensmelodien« als »Musik zum Gedenken« aus der Schöneberger Apostel-Paulus-Kirche per Livestream und zeitlich versetzt in Radio und Fernsehen.
Nur Ben Shalom, der seit zwölf Jahren in Berlin lebt, hat insgesamt etwa 300 Melodien gesammelt – komponiert in Ghettos, Konzentrationslagern oder im Versteck. Manche Stücke lagen in Archiven, andere wurden ihm von Überlebenden oder ihren Kindern zur Verfügung gestellt. Einige Melodien sind sehr bekannt, andere wurden seit 1945 nicht mehr öffentlich gespielt.
Abschiedsbrief Er sei kein Schoa-Historiker und wolle auch nicht mit Musikologen in Konkurrenz treten, betont der 31-Jährige, dessen Großtante Salomea Ochs-Luft als eine der Letzten aus dem Warschauer Ghetto deportiert wurde. Auszüge aus Salomeas Abschiedsbrief wurden im April 2019 beim Karfreitagsgottesdienst in der Apostel-Paulus-Kirche verlesen, begleitet von Melodien, die ihr Großneffe Nur Ben Shalom spielte.
Ihm gehe es darum, zu zeigen, was Menschen in verzweifelten Situationen Hoffnung gab, sagt der junge Israeli. »Bei diesem Projekt geht es nicht um die Werke – es geht um die Menschen, die gesungen und geglaubt haben, entweder an Gott oder an die Menschheit.
Jede dieser Geschichten ist privat, es geht um Familien, um Freundschaften, und das ist es, was die Menschen auch heute anspricht.« Und Michael Raddatz ergänzt: »Durch diese Lebensmelodien bekommen die Ermordeten wieder eine lebendige Stimme.«
Unter den Melodien ist auch eine Version des Pessach-Liedes »Chad Gadja«, komponiert von Shmuel Blasz, einem jüdischen Musiker aus Ungarn. Sein Freund Shmuel Lazarovich versteckte das Notenblatt in einem Schrank. Blasz wurde 1944 nach dem Einmarsch der Deutschen ermordet, sein Freund überlebte – und fand das Lied zwischen den Blättern seiner Pessach-Haggada. Jetzt ist es wieder zu hören.
»Lebensmelodien« am 8. November
ab 18 Uhr im Video-Livestream,
ab 20.04 Uhr im rbbKultur Radio und
am 10. November um 0.40 Uhr im RBB-Fernsehen.