Es gibt eine Szene in dem Dokumentarfilm Amy, in der ein Bandkollege eine noch sehr junge, noch nicht wahnsinnig bekannte Amy Winehouse im Auto filmt. Sie wollte eigentlich auf der Fahrt schlafen und hat sich nun ein Kissen vor das Gesicht gepresst. »Komm, gib uns ein kleines Lächeln, damit ich die Kamera ausmachen kann«, ruft ihr Kollege lachend. Aber Amy lächelt nicht. Sie hält das Kissen fest vor ihr Gesicht, und als er es ihr kurz wegziehen kann, schaut sie ihn mit funkelnden Augen an. Das, wie sagt man so schön: in a nutshell, war Amy Winehouse. Ihr eigener Herr. Ein echter Rockstar. Ganz und gar sie selbst, ohne sich dafür zu entschuldigen. Niemand, der lächelte, wenn man es von ihr erwartete.
Niemand, der irgendetwas tat, weil es von ihr erwartet wurde: »They tried to make me go to rehab but I said no no no.« Nicht einmal die Sachen, die ihr das Leben gerettet hätten, tat sie, nur weil man es erwartete. Amy Winehouse ist seit dem 23. Juli 2011, seit zehn Jahren, tot. Gestorben mit 27 Jahren, in diesem berühmt-berüchtigten Klub der 27er, gemeinsam mit Jimi Hendrix, Janis Joplin oder Kurt Cobain. Mit all diesen unglaublich talentierten Musikern, bei denen Genie und Wahnsinn Hand in Hand ins Verderben liefen.
TALENT Amy Winehouse war vielleicht die talentierteste in diesem Klub. Ein jüdisches Mädchen aus Nord-London, das auf seinen Konzerten schon mal einen großen Davidstern um den zarten Hals trug. Eine junge Frau, die mit einem Ausnahmetalent gesegnet war, mit so viel Willen zu leben und so wenig zu überleben. Eine Sache, die man immer wieder über sie sagt, ist, dass sie sang wie jemand, der schon jahrzehntelang gelebt hat. Wie jemand, der schon alles gesehen und erlebt hat. Eine Stimme – so voll, so tief, so pur. Vergleichbar nur mit Jazzgrößen wie Ella Fitzgerald oder Billie Holiday. Vergleichbar nur mit denjenigen, die das Genre einst geprägt hatten und, im Falle Billie Holidays zumindest, ebenfalls an ihrer Sucht zugrunde gingen.
Dieses Leben, das gelebt werden musste, war ihre große Stärke und ihre größte Schwäche. Von Amy Winehouse und ihrem unfassbaren musikalischen Talent zu erzählen, heißt auch, von ihrer großen Liebe, Blake Fielder-Civil, zu erzählen. Es war ebendieser Mann, diese ihr das Herz immer wieder zersprengende Liebe, eine Beziehung wie ein Krieg, die sie zu einigen ihrer besten Songs inspirierte. Ohne Blake kein »Back to Black«, kein »You know I’m no good«, kein »Tears dry on their own«, ohne Blake keine Geschichte, die Amy erzählen konnte, so wie sonst niemand Geschichten in Liedern erzählen konnte. »I died a hundred times, you go back to her and I go back to black.« Aber ohne Blake vielleicht auch kein Heroin, kein Kokain, kein Crack.
SUCHT Das ist die Sache mit Amy Winehouse. Ja, sie war ein Jahrhunderttalent, eine lebende Legende. Aber sie war auch eine Süchtige. Sie kämpfte seit jungen Jahren gegen Depressionen. Gegen Bulimie. Gegen einen Vater, der über Jahre nicht für sie da war und erst dann wieder auftauchte, als es galt, sie besoffen auf Konzertbühnen zu schicken. Und ja, sie war auch berühmt für ihre verpatzten Konzerte. Für lallende Auftritte, bei denen sie das Mikrofon kaum in der Hand halten konnte oder sich selbst ohrfeigte, um irgendwie noch irgendeine Kontrolle über sich zu bekommen. Sie war all das, und die Medien, die sich irgendwann nur noch das Maul über sie zerrissen, wie Hyänen, sorgten am Ende fast dafür, dass man vergaß, dass die Sucht eben nur eine ihrer vielen Seiten war.
Amy Winehouse wäre jetzt 37. Vielleicht hätte sie ein Kind. Vielleicht hätte sie noch fantastische Alben gemacht, vielleicht auch kein einziges. Wobei diese Überlegungen natürlich irrelevant sind. Amy lebte eben so, wie sie lebte, bis zum Anschlag. Gesegnet mit dem größten Talent, zum Singen, zum Songschreiben und zur Selbstzerstörung. Sie selbst hätte sich am wenigsten dafür entschuldigt.