Mendeli-Akademie

Laut, schrill, jüdisch

Etz Chaim hi» erklingt in den Räumen des Düsseldorfer Stadtmuseums. Übersetzt: «Es ist der Baum des Lebens», wird der Vers eigentlich zur Verabschiedung der Tora am Schabbat gesungen. Es ist aber an diesem Tag weder Schabbat, noch wird die Torarolle in jenem Moment wieder zurück in den Schrein gelegt. Auch die Interpretation ist für einen Vers aus der Tora unüblich: Beatbox-Sounds folgen auf den Gebetsgesang, und der Interpret selbst ähnelt mehr einem DJ als einem Kantor in der Synagoge.

Es ist Dima Schneerson, der mit diesem Lied die Vernissage unter dem Titel «IdentitätsMetamorphosen» eröffnet. Mit seiner musikalischen Einlage verdeutlicht er, worum sich alles an diesem Abend dreht: den Wandel des jüdischen Selbstverständnisses. Weg von den alten Bildern des Judentums, bestimmt von der Leidensgeschichte und starker Religiosität, der typischen Vorstellung von den chassidischen Juden mit Schläfenlocken und dem abgeschotteten Leben in den Ghettos, hin zur Integration in der Diaspora – modern und selbstbestimmt. Zeitgenössische Künstler – jüdisch und nichtjüdisch – präsentieren hier ihr ganz persönliches Verständnis von jüdischem Leben in einer globalisierten Welt.

Gegensätze So etwa die deutsch-israelische Künstlerin Zipora Rafaelov. Bei ihren Installationen arbeitet sie vor allem mit dem Gegensatz von Licht und Schatten, der sich wie ein roter Faden durch ihre Arbeiten zieht. Bei den «IdentitätsMetamorphosen» präsentiert sie ein Werk, in dem sie alte antike Skulpturen durch feine Fäden verdeckt.

Zum einen, erklärt die Künstlerin, ist das eine Anlehnung an die Schöpfungsgeschichte, in der Adam und Eva sich zum ersten Mal für ihr Nacktsein schämen, nachdem sie von der verbotenen Frucht essen. Zum anderen, so Rafaelov, geht es auch hier um das Spiel mit dem Licht. «Hell und Dunkel», erklärt sie, «das ist für mich wie Gut und Böse. Ohne das eine kann es auch nicht das andere geben.» Das zeige auch die jahrtausendealte Geschichte des jüdischen Volkes – ohne die schweren Zeiten gäbe es keine glücklichen, sagt die Künstlerin, das sei sowohl in der Vergangenheit so gewesen als auch heute noch.

Viele Gäste haben an diesem Abend ihren Weg zu der Eröffnung gefunden. In der Empfangshalle des Stadtmuseums tummeln sich die Besucher, rund 150 Menschen wollen die Ausstellungsstücke der acht Künstler sehen, den beiden Veranstaltern Dima Schneerson und Sofia Sokolov gratulieren, die Künstler einmal persönlich kennenlernen. Ein Erfolg, finden die beiden – viele Komplimente ernten sie heute, viel Zuspruch. Diese Ausstellung, so hoffen Sokolov und Schneerson, sei der Beginn von etwas Großem. Denn gemeinsam haben sie den Verein Mendeli-Akademie ins Leben gerufen, der sich mit jüdischen Identitäten von heute auseinandersetzt.

Mendel Die Namensgebung ist kein Zufall: Das altjiddische Wort «Mendel» bedeutet so viel wie Trost. «Wir wollen der Gesellschaft, in der wir leben, einen Trost geben», erklärt Schneerson metaphorisch. Kunstausstellungen sind dabei nur ein Teil des geplanten Programms, das in Zukunft das moderne Judentum für Außenstehende zugänglicher machen soll. Mit Podiumsdiskussionen, Lesungen, Konzerten und Partys wollen die Kunsthistorikerin Sokolov und der Kulturmanager Schneerson den gängigen Klischees und Vorurteilen über das Judentum entgegenwirken.

Als langfristiges Ziel setzen sich die beiden die Errichtung eines Ausstellungshauses für jüdische Gegenwartskunst in der NRW-Landeshauptstadt. «Unsere Idee ist es, mithilfe von zeitgenössischer Kunst und Kulturveranstaltungen die Aufmerksamkeit auf das Hier und Heute zu lenken», sagt Sokolov.

«Unser Ziel ist es, zu zeigen: Wir sind hier als ein wichtiger Teil der Gesellschaft, und wir sind weitaus mehr als bloß eine Subkultur.» Um sich aktuell in der deutschen Gesellschaft zu positionieren, so glaubt sie, sei gerade die Frage nach dem jüdischen Ich besonders bedeutend. Für sie ganz persönlich, sagt Sokolov, macht ihre innige Bindung zur Familie, das Ausleben ihrer Religion sowie die Bewunderung der großen jüdischen Philosophen das Jüdische in ihr aus. Es sei aber jedem selbst überlassen, wodurch man sich persönlich definiere.

Die Mendeli-Akademie will deshalb bei ihrer Arbeit auf die Vielfältigkeit der jüdischen Identitäten setzen und vor allem aktuelle Ereignisse des jüdischen Lebens in Deutschland behandeln. «Uns geht es vor allem darum, die heutige jüdische Kultur aus dem Hintergrund zu holen. Denn das Judentum ist nicht nur durch gewisse, zwar bedeutende, Themen bestimmt. Es ist weitaus vielfältiger.»

Aufgabe Allerdings – und da sind sich die beiden Gründer einig, ist Antisemitismus ein allgegenwärtiges Thema, sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart. Gerade deshalb sehen sie ihre Arbeit als wichtig und notwendig an. «Wir dürfen uns nicht verstecken, uns als Juden zurückziehen», sagt Sofia Sokolov. «Ich würde sehr gerne in Israel leben, aber ich sehe dennoch meine Aufgabe hier. Mit Bildung können wir viel erreichen.»

Als politisch betrachten sich die beiden Initiatoren der Mendeli-Akademie allerdings nicht. «Wir wollen keine politische Meinung durch unsere Arbeit verkünden – dafür gibt es Politiker. Wir wollen vielmehr mit der Kunst die jüdische Gegenwart darstellen, das Judentum aus der Ecke der festverankerten Assoziationen rausholen», erklärt Schneerson.

Die jüdische Gegenwart steht zumindest an diesem Abend ganz im Zeichen der Kunst. Die Musik, die noch bis in die späten Abendstunden aus den Fenstern des Stadtmuseums erklingt, bekräftigt Sokolovs und Schneersons Wunsch. Sie zeigt: Hier sind wir. Laut und auffällig. Schrill und modern. Und wir sind jüdisch.

«IdentitätsMetamorphosen».
Stadtmuseum Düsseldorf, bis 31. Mai
www.mendeli.de

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