Kann man Humor lernen? »Einen Grundschulkurs ›Wie werde ich witzig?‹«, so der Sozialpsychologe Tilman Allert, gebe es jedenfalls nicht. »Aber das Vorleben einer gewissen Lebensphilosophie im Elternhaus kann die Fähigkeit zum Humor begünstigen.«
Allert, der bis zu seiner Emeritierung an der Frankfurter Goethe-Universität lehrte, hielt den Einführungsvortrag auf der Tagung »Kennst du den? Jüdischer Humor als Zugang zur Welt«, zu der die Bildungsabteilung im Zentralrat in der vergangenen Woche nach Frankfurt eingeladen hatte. Knapp 200 Teilnehmer hatten sich angemeldet. »Das ist bisher der Rekord für uns«, sagte die Leiterin der Bildungsabteilung, Sabena Donath, erfreut. »Sinn der Tagung ist es ja auch, dass wir alle zusammen lachen können«, ergänzte ihr Kollege Doron Kiesel, Wissenschaftlicher Direktor der Abteilung.
Doch das anspruchsvolle Programm machte gleichzeitig deutlich, dass es den Veranstaltern um anderes ging als um eine Anleitung zum Komischsein, auch um weit mehr als das Erzählen von Witzen, obwohl auch das durchaus zum Ablauf gehörte. Aber: »Witz und Humor sind zwei vollkommen verschiedene Dinge«, hatte Allert klargestellt. Humor begreift er als »Lebensphilosophie« und als Versuch, in einer kommunikativen Situation, deren Komplexität einen überfordert, die Autonomie zurückzugewinnen. Allert gelang es sogar, dem Komischen eine theologische Dimension zu geben: »Im Humor erneuert man den Bund mit der göttlichen Instanz, der in Momenten der Krise und Verzweiflung aufgekündigt zu werden drohte.«
Kränkung Selbsttrost in einer scheinbar ausweglosen Situation, Erneuerung des Bundes mit Gott – ist Humor also tatsächlich vor allem eine jüdische Fähigkeit? »Diese spitze Ironie, selbst im Momente der Verzweiflung … kennzeichnet den hellen Jakobsstamm«, soll der Frankfurter Rabbiner und Begründer der Neoorthodoxie, Samson Raphael Hirsch, gesagt haben. Und sein Kollege, der heutige Rabbiner der Frankfurter Gemeinde, Julian-Chaim Soussan, zitierte in seinem Vortrag eine Stelle aus dem Talmud, in der Gott über sein Volk Israel schmunzeln muss: »Meine Kinder haben mich besiegt«, seufzt der Allmächtige (selbst)ironisch, nachdem es ihm nicht einmal unter Einsatz mehrerer Wunder gelungen war, die Rabbinen von einer bestimmten Lehrmeinung abzubringen. Soussan verstand es in seinem Vortrag meisterlich, theologische Betrachtungen mit einem großen Vorrat an wirklich guten Witzen zu verbinden.
»Humor ist, wenn man trotzdem lacht.« Diese Definition bewies ihre Tragfähigkeit auch bei der Auseinandersetzung mit der Art und Weise, wie Einwanderer ihre zum Teil kränkenden und frustrierenden Erfahrungen in der neuen Umwelt lachend zu meistern versuchen. »Schmerzliche Erlebnisse werden mit der Zeit zur Anekdote, die man gerne erzählt«, beschrieb die Soziologin Darja Klingenberg von der Uni Frankfurt in ihrem Vortrag über »Humoristische Narrative in der Migrationsgesellschaft« diese Bewältigungsstrategie. Durch »die soziale Bindungskraft des Komischen« und mithilfe der modernen Medien gelinge es einzelnen Migrationsgruppen, auch über Grenzen und Kontinente hinweg in ständigem Austausch und Kontakt zu bleiben, weil man über einen »Kanon geteilten Weltwissens« verfüge.
So präsentierte Klingenberg Zitate aus einem Forum, in dem sich russisch-jüdische Migranten aus Europa und den USA über kulturelle Missverständnisse zwischen ihnen, »den armen emigrantischen Kinderchen«, und den neuen Kollegen, Nachbarn, Bekannten lustig machen. Das, was sie eigentlich verunsichert und verstört, wird durch Übertreibung und Überspitzung der Lächerlichkeit preisgegeben. »Insofern ist das Komische eine soziale Ressource, die eigene Verletzlichkeit spielerisch zu überwinden«, so Klingenberg.
Spannung Doch jeder Spott hat auch seine tiefere Bedeutung: »Witze und Anekdoten erfassen soziale Missstände schärfer und kompakter als jede akademische Abhandlung«, war die Soziologin überzeugt. Michael Wuliger, 22 Jahre lang Kulturredakteur dieser Zeitung, glaubt sogar: »Wenn der deutsch-jüdische Humor noch eine Zukunft hat, dann dank der Zuwanderung.« Wuliger leitete während der Tagung nicht nur einen Workshop zum Thema »Die Komik des jüdischen Alltags«, sondern nahm auch auf dem Podium im Festsaal des Gemeindezentrums Platz, um mit dem Schriftsteller Michel Bergmann (Die Teilacher) und dem Schweizer Autor und Kolumnisten Beni Frenkel über »Jüdischen Humor in der Literatur« zu diskutieren.
Doch zeigte sich auch bei diesem Gespräch die »Spannung«, die Doron Kiesel für die wissenschaftliche Beschäftigung mit einem Alltagsphänomen wie dem Humor für konstitutiv hält: »Humor ist etwas Flüchtiges, das sich spontan und nur im Augenblick ereignet. Daher ist es schwer, ihn systematisch zu erfassen und zu analysieren. Uns aber war wichtig, zu verstehen, was für uns so prägend ist.« So haben alle drei Autoren wunderbar komische Texte geschrieben, doch im Diskurs über ihre Werke zeigten sie sich teilweise eher sperrig. Ohne die Schlagfertigkeit der Moderatorin Ellen Presser hätte dieses Podiumsgespräch leicht in ein Debakel des bewussten oder unabsichtlichen Missverstehens abrutschen können.
Aber wie weit darf Spott gehen? Wie rassistisch etwa darf Humor sein? Und kommt es nicht auch darauf an, wer sich über wen lustig macht? Auch diese Fragen wurden während der drei Tage intensiv erörtert. Vor allem aber wurde bei einer akademisch anspruchsvollen Tagung selten so gelacht. Deren Ergebnisse und Erkenntnisse müssen sich wohl erst noch setzen, aber eine Einsicht teilte sich allen sofort mit: »Humor ist das beste Schutzprogramm für die Seele«, wie Michael Wuliger konstatierte.