Man hätte sich Berlin vorstellen können. Oder Köln. Oder wenigstens Stuttgart. Aber ausgerechnet in Schmalkalden hat der israelische Street-Art-Künstler Know Hope seine erste Hausmauer in Deutschland gestaltet. Eine rund 20.000 Einwohner-Stadt in Thüringen, bei der man sich die Kultur so provinziell vorstellt wie die Fachwerkhäuser in der Altstadt.
Von wegen: In Schmalkalden findet jedes Jahr die »Wallcome« statt, ein StreetArt-Festival, an dem auch internationale Künstler teilnehmen. So wie Know Hope aus Tel Aviv, der in Schmalkalden eine Hauswand bemalt hat, die nicht irgendeine war, »sondern zu einer ehemaligen jüdischen Schule gehört. Und hinter dem Haus liegt der jüdische Friedhof«, erzählt der 28-Jährige, dessen Künstlername ein englisches Wortspiel ist: »Know« wie in »Knowledge«, sprich Wissen, »Hope« wie Hoffnung, auch wenn der Name sich anhört wie »No Hope«.
botschaft Wie immer bei seinen Projekten hat sich der in Amerika geborene Künstler mit der Geschichte des Ortes auseinandergesetzt und das Bild in Beziehung dazu gestaltet: Das Ergebnis ist ein blauer Hintergrund, den ein Vogelschwarm durchzieht. Die Vögel bleiben silhouettenhaft: Sie stehen für Migration, die vielen Menschen und Ereignisse, die das Gebäude im Laufe der Zeit geprägt haben. Nur ein einziger Vogel wird nicht als Silhouette gemalt – »er repräsentiert das Jetzt, das die Vergangenheit reflektiert«.
Wo vorher die Wand der jüdischen Schule mit ihren Nachbarn grau in grau verschmolz, leuchtet jetzt das Blau mit den Vögeln, so als sei ein Stück Himmel herabgefallen. Ignorieren kann man das nicht, auf seine Art wird sich jeder Passant damit auseinandersetzen. »Allein schon deshalb trage ich Verantwortung für mein Tun«, sagt Know Hope. In moralischer und emotionaler Hinsicht. »Schließlich müssen die Bewohner mit dem Bild leben.«
Nicht nur in Schmalkalden. Auch in Tel Aviv, wo vor allem im Süden der Stadt, etwa im ehemaligen Arbeiterviertel Florentin, an fast jedem Haus, jedem Garagentor Graffiti und Bilder zu sehen sind. Selbst, wer nur an ihnen vorbeieilt, erhascht Farben, Formen, Dimensionen. Und wer sich Zeit zum Betrachten nimmt, etwa bei einer Führung unter dem Titel »Florentin Graffiti Tour«, lernt viel über Mensch und Gesellschaft: über die Kluft zwischen säkularen und religiösen Israelis, die sozialen Folgen der neoliberalen Wirtschaftspolitik, das Ansehen der Politiker. Da ist zum Beispiel Benjamin Netanjahus Gesicht zu sehen, daneben steht: »Jener, der ihm glaubt, muss Angst haben«, die subtile Abwandlung eines populären Liedes. »Street Art ist demokratisch«, sagt dazu Dede, neben Know Hope, Wonky Monky und Eggplant einer der wenigen Street-Art-Künstler aus Israel, die international einen Namen haben. Es gehe darum, Debatten anzustoßen.
dynamik Nicht alle israelischen Graffitti sind politisch und gesellschaftskritisch. Die 20-jährige Arbel etwa, die sich Holy Era nennt, drückt in ihren Arbeiten primär aus, wie sie fühlt. Ihr Markenzeichen ist ein großes, braunes Auge, das auch in ihrem Sticker auftaucht. Sonst sind Holy Eras Charaktere so verschieden wie die Orte, die sie bearbeitet. »Ich mag Garagentore, weil sie eine Art Rahmen bieten.«
Aber die lauthals lachende Fratze, die kürzlich entstanden ist, eröffnet sich hoch oben an einer Hauswand. »Er lacht über andere«, erklärt die junge Frau den Finger, der vom Gesicht weg auf die Straße deutet. »An diesem Tag habe auch ich aus Trotz über alle und alles gelacht.« Know Hope platziert seine marionettenhaften, oft traurigen Gestalten und seine geschriebenen Gedanken lieber in kleinen Nischen als auf große Wände: »Es geht um Kommunikation.
Ich mag keine Monumente, weil bei ihnen durch die Entfernung zum Betrachter kaum Kommunikation möglich ist.« Kommunikation heißt auch Reaktion. Dabei nehmen die GraffitiKünstler auch in Kauf, dass ihre Werke von den Passanten verändert werden: Jemand übersprüht einen Teil, oder schreibt etwas daneben. »So ist Street Art eben. Sobald du fertig bist, gehört dir das Stück nicht mehr«, sagt Holy Era.
Es ist diese Dynamik, die Street Art in Tel Aviv so beliebt macht. »Viele Hausbesitzer bieten ihre Wände gerne an«, ist Holy Eras Erfahrung. Und selbst wenn nicht: Die Polizei reagiert nicht so streng wie in Deutschland, wenn sie illegale Graffitikünstler erwischt. »Sie schicken einen weg, und manchmal ist eine Geldbuße fällig.« So sind nächtliche Szenen mit maskierten Sprühern in dunklen Ecken ein Bild, das man hier nicht kennt.
Der Schabbatmorgen ist die beliebteste Zeit, um Graffiti anzubringen. Die Atmosphäre ist entspannt, und es ist ruhig, selbst im säkularen Tel Aviv. »Um diese Zeit trifft man am ehesten auf Kollegen und wechselt auch ein paar Worte«, erzählt Holy Era. Trotzdem kennen sich die meisten Tel Aviver Street-Artists untereinander kaum. Sie sind ausgesprochene Individualisten.
Ausstellung Deshalb sind Projekte wie die Street-Art-Ausstellung im Zentralen Busbahnhof in Tel Aviv eine Ausnahme. Dort sind im siebten Stock auf rund 1000 Quadratmetern seit mehr als einem Jahr die Werke von rund 80 Street-Art- und anderen Künstlern vornehmlich aus Israel zu sehen.
Die Idee der beiden Initiatoren Mati Ale und Oz Madar war, das hässliche Ambiente für die auf ihre Busse wartenden Menschen zu verschönern und ihnen gleichzeitig die Vielfältigkeit dieser Kunstform vor Augen zu führen. Wie weit der Begriff gedehnt werden kann, sieht man etwa an den Arbeiten von Maya Gelfman, die nicht nur sprüht und malt, sondern auch Objekte aus Wolle fertigt.
Im Busbahnhof sind es schwarze Vögel, die gen Himmel fliegen. Vor rund einem Jahr hatte die 39-Jährige mit ihrer Aktion »Simu Lev« (wörtlich: Gebt ein Herz) in Tel Aviv Aufmerksamkeit erlangt. Damals streute sie aus roten Wollfäden bestehende Herzen über die Stadt, oft an hässlichen Plätzen, auch um den Menschen ihre Umgebung bewusst zu machen: »Hey, bleibt stehen und guckt euch hier ein bisschen um« – eine Empfehlung, die nicht nur für Tel Aviv gilt, sondern für alle Städte. Selbst für Schmalkalden.