Rap ist in Deutschland nicht mehr aufzuhalten. Von 45 Nummer-Eins-Platzierungen der deutschen Albumcharts lassen sich 15 dem Hip-Hop zuordnen. Das ist mehr als bei jedem anderen Musikgenre in Deutschland – von Pop bis Schlager. Und wie niemals zuvor ist deutscher Rap vor allem beim jungen Publikum angesagt. Kein anderes Medium hat derzeit einen größeren Einfluss auf die deutsche Jugendkultur als die Protagonisten des Rap.
Seit Jahren schwimmt der Rapper Kollegah auf dieser Erfolgswelle mit. Mit seinem neuen Album Imperator landete er im vergangenen Jahr – wieder einmal – auf Platz eins der Charts. Er ist einer der erfolgreichsten Künstler einer Musiksparte mit Hunderttausenden verkauften Alben, mehreren Goldenen und einer Platin-Schallplatte sowie einer Handvoll Echos.
Battle Bei einem solchen Einfluss ist schon so manchem Jugendschützer schwindelig geworden, denn Kollegahs Subgenre ist der Battle-Rap. Er, der bürgerlich Felix Blume heißt und als 15-Jähriger zum Islam konvertierte, verkörpert eine Kunstfigur, den »Boss«, die sich gewollt provokativ frauenverachtend und gewalttätig inszeniert sowie Drogen verkauft und im Geld schwimmt.
Das sei aber nur die Oberfläche, sagt Kollegah. Das Meta-Narrativ sei die geduldige Zielstrebigkeit, das Festhalten am Willen zum Erfolg. Die sprachlichen Exzesse seien nur gewolltes Blendwerk – und gehörten zur Kampfkunst des Rap einfach dazu.
Als der Zentralrat der Juden in Deutschland und andere jüdische Organisationen in einem offenen Brief an Rüsselsheims Oberbürgermeister Patrick Burghardt (CDU) den geplanten Auftritt des Rappers beim »Hessentag« im Juni scharf kritisierte, reagierte Blume mit dem gleichen Argument: Battle-Rap, so schrieb er auf Facebook, werde von »Genrefremden leider noch nicht verstanden«. Die Vorwürfe der Homophobie und der Frauenfeindlichkeit sind für ihn ein alter Hut – immerhin gehöre eine »künstlerische« Portion Frauen- und Schwulenhass zum natürlichen radikal-maskulinen Gestus des Genres – aber Antisemitismus? Das sei ihm neu und zudem »aus der Luft gegriffen«.
Den Vorwurf des Antisemitismus leiteten die Kritiker des Rappers von einer Textzeile ab, die zwar in einem Lied von Kollegah vorkam, aber nicht von ihm persönlich gesprochen wurde. Der Vorwurf ist nichtsdestoweniger alles andere als »aus der Luft gegriffen«. Zuletzt erregte der Rapper Aufsehen, weil er in einer selbst produzierten »Dokumentation« eine Reise in die palästinensischen Autonomiegebiete unternahm und vor Ort beim Aufbau einer Bildungseinrichtung in einem Flüchtlingscamp half. Nicht die Aktion selbst, sondern die pseudo-objektive Berichterstattung im Doku-Format ist problematisch.
tendenziös An einer Stelle dolmetscht Kollegah für seine Zuschauer: »Gestern haben die Israelis einfach ein Schulkind mitgenommen um sechs Uhr morgens. Da sagt keiner was!« Wie, wann und was da genau passiert sein soll, erfährt der Zuschauer nicht. An anderer Stelle wird die Furcht der Israelis vor palästinensischen Terrorattacken als »Paranoia« bezeichnet. Dass das bösartiger Unfug ist, sollte auch ein Rapper wie Kollegah wissen. Gleiches gilt für seinen Ausspruch: »Man kann heute noch nicht einmal das Wort Jude sagen, ohne als Antisemit dargestellt zu werden, noch nicht einmal das Wort Israel.«
Das alles könnte noch als geschickte PR-Aktion durchgehen, wenn die implizite Botschaft des Palästinabesuchs bei seinen Fans nicht auf fruchtbaren Boden fallen würde. Man darf davon ausgehen, dass der Rapper sich dessen bewusst ist. So kommt zusammen, was zusammengehört. Und so wird der Israelhass einmal mehr unter seine jungen Zuhörer gebracht.
Nach der Kritik an Kollegahs Texten waren die Kommentarspalten auf seiner Facebook-Seite voller Zustimmung für den Rapper und voller Empörung über Israel. In der Antwort an seine Kritiker machte Kollegah den Zentralrat der Juden selbst verantwortlich für den Hass im Netz. Die »haltlosen Vorwürfe seitens des Zentralrats« seien der Grund, weshalb jüdische Gemeinden nun »tragischerweise mit in das Kreuzfeuer eines – zu verurteilenden – ›Shitstorms‹ gegen jüdische Menschen im Allgemeinen auf Hip-Hop-Portalen und meiner Facebook-Seite geraten«. Tragisch, dass die Juden nun wieder einmal selbst schuld sein sollen am Antisemitismus.
Böhmermann Trotz dieser unsäglichen Volte gibt sich Felix Blume wenigstens Mühe, die Vorwürfe auszuräumen. Mit Daniel Neumann, Geschäftsführer des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden in Hessen, will er eine Diskussionsrunde veranstalten und bot ihm eine Wohltätigkeitsaktion für »hilfsbedürftige Juden« an. Seinen Auftritt beim »Hessentag« sagte Rüsselsheims Bürgermeister Patrick Burghardt dennoch ab.
Kurz darauf war der muskelbepackte Rapper in der TV-Sendung Neo Magazin Royale des Satirikers Jan Böhmermann zu Gast. Als das Thema Antisemitismus zur Sprache kam, wurde es dem Moderator zu ungemütlich: »Wir sind eine Unterhaltungssendung«, wiegelte er ab und fragte dann sichtlich nervös: »Darf man darüber sprechen? Sollte man darüber sprechen?«
Ja, darf man, und man sollte, vor allem in einer »Unterhaltungssendung«, die bei anderen Themen durchaus keine Berührungsängste mit dem Politischen hat – das Problem ist nämlich kein kleines. In den vergangenen Jahren gab es regelmäßig Episoden, in denen der deutsche Rap mit antisemitischen Stereotypen gespielt hat. Ein weiterer von Deutschlands bekanntesten Rappern, Bushido, trug auf Twitter eine Nahostkarte in palästinensischen Farben zur Schau, auf der Israel ausgelöscht war.
Neben der Karte war zu lesen: »Free Palestine« (Befreit Palästina). »Bushido will die Vernichtung Israels«, kommentierte der Grünen-Politiker Volker Beck. Doch ein Aufschrei aus der Rapszene selbst blieb aus. Das Schweigen der Hip-Hopper war überlaut. Thematisiert wurde auch nicht Bushidos Song »Taliban« auf seinem Erfolgsalbum Carlo Cokxxx Nutten II (2005). Darauf rappt Bushido: »Ich mach ein Anschlag auf dich wie in Tel Aviv … Wenn ich will, dann seid ihr alle tot, ich bin ein Taliban.«
Hass Auch der Rapper Massiv stand für seine Verbreitung von antiisraelischer Propaganda in der Kritik, und der Deutschkurde mit dem Künstlernamen Haftbefehl rappte einst: »Ich geb’ George Bush ’n Kopfschuss – und verfluche das Judentum. ... Du nennst mich Terrorist, ich nenn dich Hurensohn.« Später distanzierte sich der Rapper von dieser Zeile, was ihn von Bushido unterscheidet.
Was die aktuell erfolgreichsten deutschen Rapper jedoch verbindet: Sie alle stammen meist aus Einwandererfamilien und schmücken sich in ihren Texten mit einem Habitus des Anti-Establishments. Sie erzählen von Ausgrenzung, vom Hass auf die Staatsmacht, vom Leben am sozialen Rand und vom Aufstieg zum Star – ganz ähnlich wie einst die Wegbereiter des Genres in den USA, die mit ebenjenen Narrativen aus afroamerikanischer Perspektive bei Jugendlichen Anklang fanden.
Insbesondere Haftbefehl machte in einem Interview deutlich, dass der Antisemitismus für einen Jugendlichen, der »unter Türken und Arabern« aufgewachsen ist, keine Seltenheit ist: »Für den ist alles, was mächtig ist und reich, aus seiner beschränkten Sicht jüdisch.« Darüber hinaus gibt es Rapper, die ganz offen mit ihrem Judenhass hausieren gehen, wie zum Beispiel das Ruhrgebiet-Duo Fard & Snaga. Sie verbinden eine romantisierte palästinensische Befreiungsutopie mit Waffengewalt und dem Hass auf den Staat Israel sowie die »Politik aus Tel Aviv«.
Stereotype Der jüdische Rapper Ben Salomo erklärte kürzlich in einem Interview die Schwierigkeit, beim Battle-Rap zwischen Kunst und Meinung zu unterscheiden. Als Jude und gebürtiger Israeli sei er bei wortakrobatischen Auseinandersetzungen durchaus mit antisemitischen Stereotypen konfrontiert. Da diese allerdings im Rahmen einer Kunstform ausgetragen würden, gäben sich die Sprachkombattanten danach respektvoll die Hand.
Dennoch, so Ben Salomo, erfahre das »künstlerische« Heraufbeschwören von Schlagwortstereotypen wie dem »jüdischen Zinssatz« oder der »Rothschild-Theorie« schon seit Längerem einen gefährlichen Aufwind in der Rapszene. Wenn solche Narrative auf Jugendliche treffen, werden sie selten hinterfragt, sondern gehen ungefiltert ins kollektive Bewusstsein über, ist Ben Salomo überzeugt. Bei der gewaltigen Wirkungsmacht, die deutscher Rap in der deutschen Jugendkultur hat, werden somit antisemitische Klischees am Leben erhalten.
Dass das Wort »Jude« auf den Schulhöfen dieses Landes – und backstage bei einigen Rappern, wie Ben Salomo berichtet – wieder als Schimpfwort in Mode ist, lässt sich in diesem Licht nur als bedenkliches Echo einer schleichenden Renaissance des Antisemitismus verstehen.
Hintergrund
»Es ist die Endlösung der Rapperfrage, Kugeln ins Gesicht«, »Ich leih dir Geld, doch nie ohne nen jüdischen Zinssatz«, »Hure Eins und Schlampe Zwei, ich vergewaltige euch brutal«: Es sind unter anderem diese Zeilen, wegen denen der deutsche Rapper Kollegah schon seit Längerem in der Kritik steht. Ungeachtet dessen sollte der Musiker beim diesjährigen »Hessentag« im Juni auf Einladung der Stadt Rüsselsheim auftreten. Nach Protesten des Zentralrats der Juden in Deutschland und anderer jüdischer Organisationen gegen den geplanten Auftritt haben die Rüsselsheimer Stadtverordneten den Auftritt nun abgesagt. Die Entscheidung in der Stadtverordnetenversammlung am Donnerstag vergangener Woche fiel mit 18 zu 17 Stimmen knapp aus.