Was für ein Paar, das sich da in einem Gespräch und späteren Briefen begegnet: Auf der einen Seite Hannah Arendt, die Philosophin aus liberalem jüdischen Elternhaus, auf der anderen der junge Journalist und nachmalige Hitler-Biograf Joachim Fest. Der damalige NDR-Redakteur und die aus New York angereiste Hannah Arendt hatten sich 1964 in Baden-Baden zu einem Radiogespräch verabredet, dessen Abschrift jetzt, zusammen mit der nachfolgenden, siebzehn Briefe umfassenden Korrespondenz, in Buchform vorliegt.
entdämonisierung Wir haben es hier mit dem außerordentlichen Dokument einer skrupulösen Nachdenklichkeit und einer offenen, auf Gegenseitigkeit beruhenden Sympathie zu tun, wie man sie nur selten zwischen zwei so unterschiedlichen Charakteren erlebt, die nicht nur das Alter, sondern auch die Lebenserfahrung trennen.
Hannah Arendt, der 1941 die Flucht ins amerikanische Exil gelungen war, hatte sich nach dem Krieg mit ihrem dreibändigen Standardwerk Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft in der intellektuellen Welt längst einen Namen gemacht. Fest, 1926 geboren, ein Vertreter der »Flakhelfergeneration«, stand noch am Anfang seiner Karriere, die ihn später zu einem der wichtigsten Publizisten der Bundesrepublik werden lassen sollte.
Entscheidend war der Zeitpunkt ihrer Begegnung. In Deutschland, mehr noch in Israel und in den Vereinigten Staaten, wurde heftig über Arendts Reportagensammlung Eichmann in Jerusalem gestritten, mit seiner von vielen als Verharmlosung angesehenen Formel von der »Banalität des Bösen«. Hannah Arendt hatte für die Zeitschrift New Yorker 1961 den Prozess gegen Eichmann von Beginn an aus nächster Nähe verfolgt.
Ihr lag daran, die Figur des Judenmörders zu entdämonisieren. Entsprechend bezeichnete sie den ehemaligen SS-Obersturmbannführer als »Hanswurst«. In dem Rundfunkinterview mit Fest sagt sie, Eichmann sei von »empörender Dummheit« gewesen. Hinzu trat bei dem Organisator der Schoa eine – wie Arendt es nannte – »geradezu verrückte Idealisierung des Gehorsams«.
verantwortung Das Gespräch kreist auch um andere Aspekte der – wie der Begriff seinerzeit lautete – »unbewältigten NS-Vergangenheit«. Das war ein Thema, das den politischen und gesellschaftlichen Diskurs der alten Bundesrepublik seit dem Frankfurter Auschwitz-Prozess und dem Verfahren gegen Adolf Eichmann Anfang der 60er-Jahre wie kein anderes bestimmte.
Arendt und Fest diskutieren vor allem über den Begriff der Verantwortung. Für die Philosophin kann sich Verantwortungsbewusstsein nur bilden, wenn man nicht über sich selbst, sondern über das, was man tut, reflektiert. Den angeblichen »Befehlsnotstand«, mit dem viele Täter sich rechtfertigten, lässt sie nicht gelten. Das sei ein Scheinargument.
Arendt, die unter ihrem eigentlichen Beruf die politische Theorie verstand, verteidigt in dem Radiogespräch auch ihren Anspruch, die Wahrheit zu sagen, so wie sie sie sieht, auch wenn dabei bestimmte Interessen oder Gefühle verletzt werden können. So etwa, wenn sie den von den Nazis eingesetzten Judenräten ein Stück Mitverantwortung an der Durchführung des Völkermords attestierte.
Das hatte in der jüdischen Welt für einen Aufschrei der Empörung gesorgt. Doch Hannah Arendt focht das nicht an. Historiker, sagt sie zu Fest, seien die »Hüter der Tatsachenwahrheiten«. Und sie zitiert in dem Zusammenhang Sokrates: »Es ist besser, mit der ganzen Welt uneins zu sein als mit sich selbst, da ich ja einer bin.«
abgründig In den Fragen und Antworten zwischen Fest und Arendt wird das Bild von einem Tätertypus herausgearbeitet, das auch schon in der 1963 erschienenen Porträtsammlung Fests Das Gesicht des Dritten Reiches durchschimmerte. Arendt hatte diese Studie über die NS-Elite gelesen und war auf den Autor neugierig geworden.
Auch die – inzwischen als grandiose Täuschung entlarvten – Erinnerungen von Hitlers Lieblingsarchitekt und Rüstungsminister Albert Speer, die Fest seinerzeit lektoriert hatte, finden ihre Sympathie. Ob Arendt sich bewusst gewesen ist, den eigentlichen Anstoß für die Bestseller-Hitler-Biografie von Fest 1973 gegeben zu haben – wie der glaubte – bleibt allerdings im Vagen.
Dieser Gedankenaustausch, der bis 1973 in Briefen zwischen der inzwischen in Chicago lehrenden Wissenschaftlerin und dem zum Nachrichtenmagazin Der Spiegel gewechselten Journalisten fortgeführt wurde, gestattet einen profunden Einblick in das Denken von Hannah Arendt.
Die von ihr angestoßene Debatte über die individuelle Schuld eines anonymen Täters, dessen Person im Verwaltungsmassenmord nicht mehr erkennbar ist, ist weiter aktuell. Arendts Analyse dieses Phänomens, durch die Fragen von Fest klug provoziert, weist dabei über Eichmann und seinesgleichen hinaus und lässt uns spüren, wie schwer der Blick in das Abgründige der deutschen Vergangenheit nach wie vor fällt.
Hannah Arendt, Joachim Fest: »Eichmann war von empörender Dummheit«. Gespräche und Briefe. Hrsg. v. Ursula Ludz und Thomas Wild. Piper, München 2011.207 S., 16, 95 €