Von Nürnberg nach Den Haag, von Hitlers Überfall auf Polen über den Irak, die Republik Kongo, die Ukraine bis hin zum Hamas-Überfall am 7. Oktober und den Gaza-Krieg: Der vielfach preisgekrönte Dokumentarfilmer Marcus Vetter hat in War and Justice die Geschichte des Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag erzählt.
Seit 25 Jahren versucht diese Institution, Völkermord, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und das Verbrechen der Aggression nicht nur zu dokumentieren, sondern die Täter auch zu verurteilen. Im Mittelpunkt steht der erste Chefankläger, ein charismatischer älterer Herr, der argentinische Jurist Luis Moreno Ocampo. 2012 hat er den Kongolesen Thomas Lubanga angeklagt. Lubanga wurde wegen der Rekrutierung von Kindersoldaten verurteilt.
Die Unzulänglichkeiten des Internationalen Gerichtshofes sind hinreichend bekannt, Staaten wie Russland, China oder die USA, auch Israel erkennen ihn nicht an. Palästina hingegen, obgleich kein Staat, ist seit 2015 Mitglied. Vetter sieht nach Herz von Jenin, Cinema Jenin und Nach der Stille in War an Justice einen vierten Teil seiner Palästina/Israel-Filme - allerdings steht die aktuelle Situation nicht im Zentrum, auch nicht die Gleichzeitigkeit der Haftbefehle für den Chef der Terrororganisation Hamas in Gaza, Yahya Sinwar, und Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu.
Die Original-Videos beweisen unsere Vergesslichkeit
Zu den Grundsätzen eines Dokumentarfilms gehört für viele das Dogma, keinen »allwissenden« Kommentar zu nutzen. Die Handlung soll sich aus den Dialogen, den Statements und den Bildern erschließen. Die Original-Videos beweisen unsere Vergesslichkeit. Die entführten, weinenden Jungs mit ihren viel zu schweren Gewehren im Kongo, die amerikanischen Hubschrauber auf der Jagd nach irakischen Zivilisten, die Geburtsklinik in der Ukraine nach dem russischen Angriff, auch der Gazakrieg 2008/2009 nach den Raketenangriffen der Hamas.
Die Erinnerungen daran und die Diskussion um die zentrale Problematik, wie Gerechtigkeit zu schaffen ist ob komplizierter politischer Interessen, das sind die Stärken des Films. Besonders ergreifend: die Sequenzen mit Benjamin Ferencz, dem Chefankläger von Nürnberg. Er starb 2023, seine Analysen waren erschütternd: »Das größte Verbrechen ist der Beginn eines Krieges. Der größte Kriegsverbrecher ist der Krieg selbst. Rache erzeugt Rache.«
Die Schwächen des Films sind zum einen die verschiedenen Zeitebenen von 1945 bis heute, die in ihren vielen Sprüngen verwirren. Zum anderen führt das Dogma der Kommentarlosigkeit zu konstruierten Dialogen, die unglaubwürdig wirken. Ocampo fährt Taxi, der Fahrer stellt all jene Fragen, die Ocampos Position erläutern sollen. Auch Online-Diskussionen mit Ocampos Assistentin erscheinen gestellt. Die konsequente redaktionelle Überarbeitung einer Art Drehbuch (gibt’s auch im künstlerischen Dokumentarfilm) hätte das Werk verständlicher und überzeugender gemacht.