Was haben die ethischen Wertvorstellungen eines Space-Cowboys mit jüdischer Identität zu tun? Welche Zusammenhänge gibt es zwischen dem Buch Exodus und einer überaus erfolgreichen Science-Fiction-Serie? Offensichtlich eine Menge. Denn nicht nur in Fan-Foren, sondern auch in popkulturell relevanten Online-Medien sowie einigen jüdischen Nachrichtenplattformen wird nach der Veröffentlichung der dritten Staffel der Star-Wars-Serie The Mandalorian im Frühjahr 2023 genau darüber diskutiert.
Wenn Mandalorianer, die Hauptcharaktere der Serie aus dem Hause Lucasfilms / Disney einer Aussage besondere Wichtigkeit beimessen oder Nachdruck verleihen wollen, dann tun sie dies stets mit den Worten: »This is the Way!«
halacha Das klingt bereits ein wenig nach Halacha, den Glaubensgrundsätzen im Judentum, kann aber, zugegebenermaßen, vieles bedeuten. Allerdings ist das nur die Spitze einer ganzen Reihe von Parallelen und Bezügen, die bis in das Grundgerüst der Geschichte und in die Handlung hineinreichen.
Die Leichtigkeit, mit der das Judentum Eingang in die Serie findet, ist beeindruckend.
Die Leichtigkeit, mit der in der Serie jüdische Kultur und Tradition als positive Inspiration für wesentliche Elemente des Storytelling, für Schauplätze und für die Deutung der Welt insgesamt eingesetzt werden, ist nicht nur beeindruckend anzuschauen, sondern leistet ebenso einen wertvollen Beitrag dazu, den Zuschauern jüdisches Leben näherzubringen.
So kann beispielsweise die sogenannte Helm-Zeremonie der mandalorianischen Jünglinge im Alter von zwölf bis 13 Jahren einen Zugang zur Bedeutung der Barmizwa beziehungsweise Batmizwa im Judentum aufzeigen.
KODEX Die dort erhaltenen Helme der angehenden Krieger sind dann übrigens bei strenger Auslegung des mandalorianischen Kodex nicht mehr in Anwesenheit Dritter abzunehmen. Es gibt aber auch gemäßigtere Gruppen, zu der unter anderem die letzte Herrscherin des Planeten Mandalores, Heimat der Mandalorianer und Teil der Galaktischen Republik, gehört, die ihren Helm nur zu traditionellen Anlässen oder zum Kampf als Teil der Rüstung aufziehen.
Zentral für den selbstbewussten Umgang mit jüdischen Traditionen sowie den Erfolg der Serie ist Jon Favreau, einer der gegenwärtig erfolgreichsten Produzenten, Drehbuchautoren und Regisseure – ein ausgewiesener Star Wars-Experte und Jude. Im Alter von 13 Jahren verlor Favreau seine jüdische Mutter. Obwohl sein Vater Katholik war, legte dieser großen Wert auf eine jüdische Erziehung für seinen Sohn, der daher auch eine Barmizwa hatte.
Über seinen Einfluss in den Star-Wars-Animationsserien The Clone Wars und Rebels hat Favreau bereits große Teile der Hintergrundgeschichte für The Mandalorian etabliert.
fans Bisher wussten geneigte Fans nur, dass Mandalorianer weit in der Galaxis versprengt sind und sich, wie der bis zur neuen Disney-Serie wohl bekannteste Sohn des Volkes, Boba Fett, häufig als Kopfgeldjäger verdingen. Jetzt gibt Favreau den Mandalorianern eine Geschichte, die stark an jüdische Erfahrungen erinnert. Wir lernen, dass ihr Heimatplanet und mit ihm die meisten Mandalorianer von dem Galaktischen Imperium nahezu vernichtet wurden.
Die wenigen überlebenden Mandalorianer, die im Star-Wars-Universum nicht als Spezies gelten, sondern deren Angehörige durch ein Ritual zum Teil des Volkes werden, sahen sich in der Folge gezwungen, überwiegend im Verborgenen zu bleiben. Kriegen schworen sie ab. Ohne Heimatplanet orientierten sich Mandalorianer an dem bereits angesprochenen Ehrenkodex (The Way!), dessen Orthodoxie – ja, dieser Begriff wird hier wirklich benutzt – je nach Zugehörigkeit zu einer der vielen Gruppen von Mandalorianern variiert.
An diesem Punkt des Star-Wars-Kanons, fünf Jahre nach Zerstörung des zweiten Todessterns, setzt nun die Serie The Mandalorian an. Achtung, ab hier ein Spoiler Alert für all diejenigen, die die Serie noch nicht gesehen haben! Denn die Neue Republik befindet sich im Aufbau sowie im andauernden Konflikt mit den Ausläufern des Imperiums, das sich unter verschiedenen Warlords versammelt hat, unter anderem dem für die Serie wichtigen Moff Gideon, dessen Name alle Kenner des Buches Schoftim (Richter) aufhorchen lässt, dessen Rolle aber auch nach Ablauf der dritten Staffel noch nicht ganz klar ist.
HELD Ein mandalorianischer Held, auch er Kopfgeldjäger, tritt auf den Plan, für den wir sogleich Zuneigung empfinden, weil er den Auftrag der Entführung eines unschuldig wirkenden Wesens an ruchlose Klonforscher nicht mit seinen ethischen Grundsätzen vereinbaren kann und fortan die Rolle eines Beschützers des Kleinen übernimmt. »Mando«, wie unser Held von seinen Freunden genannt wird, war selbst einmal ein Waisenkind, wurde von einer Gruppe streng am Kodex lebender Mandalorianer aufgenommen und ist seitdem einer von ihnen.
Favreau lässt nun seinen Protagonisten tief in die mandalorianische Geschichte einsteigen und nach einer Rückkehr auf den Planeten Mandalore streben. Dabei können Zuschauer dann schon einmal Teile der Verse 10, 5–6 des Buches Exodus auf einer Steinplatte sehen, die das Findelkind Mando in den Ruinen von Mandalore entdeckt. »Dann wandte sich Mose um und verließ den Pharao.«
Wer wie Mando einmal gegen die Gebote des Kodex verstoßen hat – er hat seinen Helm in der Öffentlichkeit abgenommen –, kann sich, um wieder in den strengen Clan aufgenommen zu werden, in den sogenannten »living waters« auf Mandalore von seinen Sünden reinwaschen, ganz ähnlich wie beim jüdischen Ritualbad Mikwe.
botschaften Neben den beschriebenen – und sogar noch einigen weiteren – kleineren und größeren »Easter Eggs«, wie im Film-Jargon versteckte Besonderheiten oder Botschaften genannt werden, enthält The Mandalorian aus der Feder Favreaus eine größere Analogie, die in diesen eher unterhaltsamen Kontext doch eine politische Note hineinbringt und wohl deswegen in den sonstigen Artikeln dazu nicht auftaucht.
Denn den großen Traum der Rückkehr nach Mandalore können die zersplitterten und häufig verfeindeten Gruppen der Mandalorianer nur gemeinsam verwirklichen. Dafür ist ein Denken notwendig, das sich selbst nicht wichtiger nimmt als die Sache. So ist es die Anführerin des strengen Clans um Mando, die die gemäßigtere letzte Herrscherin Mandalores, und zwar die, die ihren Helm abnimmt, darum bittet, das Volk zurück auf den Heimatplaneten zu führen.
Das große Trauma der Mandalorianer ist die Zerstörung ihres heiligen Tempels.
Zunächst gelingt dieses Vorhaben. Doch damit ist die Story noch nicht abgeschlossen. Zu Beginn der dritten Staffel sagte Favreau, man befände sich in der Mitte einer wirklich großen Geschichte. Wir sollten gespannt sein, was die vierte, allerdings erst für 2025 angekündigte, Staffel für uns bereithält. Auch die Produktion eines Spielfilms ist bereits angekündigt.
szene-podcasts Die Diskussion über das Jüdische an The Mandalorian findet auf dieser Ebene hauptsächlich im englischen Sprachraum statt, von Szene-Podcasts wie beispielsweise »Nerdizismus« einmal abgesehen. Dabei steht eine »embedded Jewishness« in The Mandalorian eigentlich außer Frage, also das Einweben jüdischer Konzepte in die Story.
Coolness und jüdisches Leben gehen im deutschen Medienbetrieb aber oft getrennte Wege. Hier eine böse Absicht zu unterstellen, wäre ketzerisch. Häufig herrschen historisch tradierte Berührungsängste. Das muss nicht sein. Jüdischkeit, egal ob orthodox, liberal oder egalitär, kann modern sein. Und dieses moderne Judentum ist bereits vielerorts längst ein Teil der Pop- und Unterhaltungskultur – warum soll man also nicht darüber schreiben?
Im kleinen privaten Kreis sind wir in vielen Fällen womöglich sogar schon so weit. Nur erlebt man häufig Hemmungen, wenn es um den öffentlichen Raum geht. Aber Konzepte des Jüdischseins müssen auch dort nicht immer nur ernst oder bedeutungsschwanger sein, sie können sogar großen Spaß machen. Abstraktionen und respektvolle Interpretationen lassen unseren Blick auf jüdisches Leben und jüdische Werte durchaus greifbarer und verständlicher werden.
BESCHÄFTIGUNG Das große Trauma der Mandalorianer ist die Zerstörung ihrer als Heiligtum (Tempel) geltenden Schmiede auf Mandalore, in der sie ihre Rüstung aus dem seltenen Metall Beskar herstellten. Im Finale der dritten Staffel sieht man, wie ebenjene Schmiede von Mandalore wieder in Betrieb genommen und ihr ewiges Feuer (Licht) entzündet wird.
Vielleicht macht es ein solcher Zugang auch für jemanden, der sich bisher kaum mit der Geschichte und Gegenwart des Jüdischen beschäftigt hat, einfacher, zumindest im Ansatz nachzuvollziehen, welchen kurzen Moment der Ehrfurcht Juden beim Anblick des Ner Tamid in einer Synagoge oder beim Entzünden einer Chanukkakerze empfinden müssen. Und ganz vielleicht führt das sogar zu einer weiterführenden Beschäftigung mit genau dieser Thematik.
Dafür muss dieser Zusammenhang einem aber erst einmal bewusst sein. Der befreite öffentlich-mediale Umgang mit dem Einfluss jüdischer Kultur und Religion auf Formate der Unterhaltungsindustrie kann in diesem Sinne nicht nur dem Fortschreiben einer Geschichte helfen, sondern beinhaltet auch die Option, Empathie zu erzeugen – eine Fähigkeit, die in den angespannten gesellschaftlichen Konflikten unserer Zeit so notwendig wie kaum eine andere ist.