Auf den ersten Blick hätte man es für eine Alltagsmeldung aus der Start-up-Nation halten können: Ende Februar wurde in Jerusalem das »Bizmax Business Center for Innovation« eingeweiht, ein Brutkasten für IT-Firmen, wie es so viele gibt in Israel. Doch statt der jungen Männer und Frauen in Jeans und Sneakers, die solche Räume üblicherweise bevölkern, erschien zur Eröffnung ein gänzlich anderes Publikum: Hunderte bärtige Männer in schwarzen Mänteln mit Kippa, dazu einige wenige Frauen in langen Röcken. Denn das Bizmax wurde speziell für ultraorthodoxe Männer gegründet, die Charedim.
Charedim und Hightech? Was zunächst paradox klingen mag, hat sich in den letzten Jahren zu einem regelrechten Trend entwickelt, der von der Regierung nachdrücklich gefördert wird – aus ökonomischer Notwendigkeit. Derzeit machen die Charedim rund elf Prozent der israelischen Bevölkerung aus. Doch aufgrund ihrer hohen Geburtenrate von durchschnittlich fast sieben Kindern pro Frau wird ihr Anteil in den kommenden Jahren steigen, laut offiziellen Schätzungen auf 27 Prozent bis 2059. Das traditionelle Modell, nach dem ultraorthodoxe Männer ihr Leben dem Tora- und Talmudstudium widmen und dafür ein Stipendium beziehen, ist langfristig nicht lebensfähig.
Arbeitsmarkt Israelische Ökonomen drängen deshalb darauf, vor allem ultraorthodoxe Männer in den regulären Arbeitsmarkt zu integrieren. Viele ihrer Frauen arbeiten bereits, wenn auch oft im Niedriglohnbereich. Besondere Hoffnungen ruhen auf dem Hightech-Sektor: Er ist der Motor der israelischen Wirtschaft, verantwortlich für über 50 Prozent aller Exporte, und bietet gute Gehälter. Zugleich suchen Israels Hightech-Firmen händeringend Programmierer.
Der Schritt vom Tora- zum Informatikstudium ist jedoch kein leichter. In ultraorthodoxen Schulen werden vor allem religiöse Schriften studiert, säkulare Fächer wie Englisch und Mathematik allenfalls gestreift. IT-interessierte Charedim müssen in Crashkursen nachholen, was ihre nicht-orthodoxen Altersgenossen in mehreren Schuljahren gelernt haben. Hinzu kommen psychologische Hürden – auf beiden Seiten: Manche Firmen haben Vorbehalte, die Strenggläubigen einzustellen, fürchten soziale Spannungen oder trauen ihnen nicht die nötigen Kompetenzen zu. Viele Ultraorthodoxe fühlen sich ihrerseits nicht wohl in Büros, in denen Männer und Frauen zusammenarbeiten und Kolleginnen womöglich in luftiger Kleidung erscheinen. Eine wachsende Zahl von staatlichen und privaten Initiativen bietet deshalb Fortbildungen und Arbeitsräume speziell für ultraorthodoxe Frauen und Männer an.
Raum »Wir schaffen einen Raum, in dem Charedim sich sicher fühlen«, erklärte der Unternehmer Marc Shimmel, der das Bizmax über die Familienstiftung Achim Global unterstützt. Weitere Gelder kommen von der Jerusalemer Entwicklungsbehörde sowie der Kemach-Stiftung, die die ökonomische Integration der Charedim fördert.
Was Einrichtung und Ausstattung angeht, muss sich das Center nicht vor der säkularen Konkurrenz verstecken: Es verfügt über einen Co-Working-Raum, eine offene, moderne Küche, Sofa-Ecken in warmen Gelb-Braun-Tönen, mehrere kleinere Büros, Konferenzräume mit Flachbildschirmen an der Wand sowie ein Auditorium mit 200 Sitzplätzen. Gegen eine geringe Monatsgebühr können angehende IT-Entrepreneure die Räume nutzen, Workshops und Vorträge besuchen und an Mentorenprogrammen teilnehmen. Der 33-jährige Yitzik Crombie, einer der Pioniere der ultraorthodoxen Gründerszene, wird das Center leiten.
Noch herrscht Skepsis in Teilen der vielschichtigen ultraorthodoxen Gemeinde; manche Rabbiner bestehen auf dem traditionellen Ideal des Vollzeit-Torastudenten und warnen vor moderner Technik als Quelle »unmoralischer« Gedanken. Doch offizielle Zahlen legen nahe, dass das alte Misstrauen aufbricht: Ging 2003 nur ein Drittel aller ultraorthodoxen Männer einer Arbeit nach, knackte ihr Anteil 2015 erstmals in der Geschichte Israels die 50-Prozent-Marke.
Unterstützung Das Wirtschaftsministerium unterhält eine eigene Abteilung, um Charedim für den Hightech-Sektor fit zu machen. Welche Priorität das Projekt genießt, ließ sich an der Rednerliste zur Einweihung des Bizmax ablesen: Im bis zum letzten Platz gefüllten Auditorium des Zentrums traten unter anderem Israels Staatspräsident Reuven Rivlin sowie die Direktorin der israelischen Zentralbank, Karnit Flug, ans Rednerpult. »Dass mehr und mehr Charedim arbeiten, ist wichtig für die Zukunft Israels«, sagte der Präsident. »Dieses Center ist ein Schritt auf diesem Weg.«
Anschließend ergriff Aryeh Deri das Wort, Innenminister und Vorsitzender der ultraorthodoxen Schas-Partei. Unter deren Mitgliedern und Anhängern gibt es durchaus solche, die den Rufen nach ökonomischer Integration mit Abwehr begegnen. Der Auftritt des Parteivorsitzenden gab jedoch einen Hinweis auf den Kulturwandel, der sich in der Gemeinde vollzieht. »Wir brauchen noch viel mehr solcher Orte«, rief Deri, »und zwar in ganz Israel!«
Tatsächlich reicht die Unterstützung des Projekts bis in die höchsten geistlichen Ränge: In einer hochsymbolischen Geste brachte Israels aschkenasischer Oberrabbiner David Lau die Mesusa am Eingang des Business Center persönlich an.