Mieczyslaw Weinberg (1919–1996) zählt zur Riege der hochkarätigen Komponisten, die im Sozialismus unter die ideologischen Räder kamen. Seit einigen Jahren wird das Œuvre des polnisch-jüdischen Komponisten wiederentdeckt und ihm sein gebührender Rang in der Musikgeschichte zuteil. Das spiegelt sich auch in der Qualität der Musiker, die sein Werk interpretieren.
Den direkten Vergleich hat man nun bei zwei Aufnahmen: Zzum einen eingespielt vom jungen Geiger Linus Roth, zum anderen vom alten Hasen Gidon Kremer. Roth findet schon wegen seiner Jugend einen frischen, politisch unverstellten Zugang zum Werk. Kremer hat als litauischer Jude bis zu seiner Übersiedelung in den Westen 1980 die sowjetischen Verhältnisse selbst durchlebt. Er nähert sich Weinberg also aus eigener Anschauung.
drama Auf beiden Alben findet sich neben einer Vielzahl weiterer Stücke die Sonatina op. 46 aus dem Jahr 1947, die also in der Lebensmitte Weinbergs entstanden ist. Beim Hören dieser Komposition wird das Drama des Musikers in seiner gesamten Tragweite spürbar: Eingeklemmt zwischen dem Etikett, lediglich im Windschatten Schostakowitschs zu segeln, und dem Vorwurf des »Kosmopolitismus« durch die sowjetischen Kulturfunktionäre, offenbart sich hier ein Komponist, der heute als »konservativer Modernist« gehandelt wird.
Mieczyslaw Weinberg, der der Schoa durch Flucht aus Polen in die Sowjetunion entkam, durfte dort nicht durch allzu fortschrittliche Kompositionsverfahren auffällig werden, um nicht im Gulag zu landen. Vielleicht war bei einer solch dramatischen Biografie nicht mehr Avantgardismus drin. Wie viel Schönheit in Weinbergs Noten mitschwingt, beweisen jedenfalls diese beiden Aufnahmen – Anlass und Gelegenheit, einen der großen Tondichter unserer Zeit jenseits kulturhistorischen Schubladendenkens zu genießen.
Mieczyslaw Weinberg: Complete Sonatas and Works. Linus Roth, Violin. Challenge Classics 2013
Mieczyslaw Weinberg: Kremerata Baltica. Gidon Kremer, Violin. ECM New Series 2014