TV-Tipp

Komödie mit Iris Berben zu Antisemitismus an Schulen

Samuel Benito spielt mit großer Sensibilität den jüdischen Jungen Max. Foto: ZDF und [F] Conny Klein ; [M] Ar

Der 15-jährige Max (Samuel Benito) rastet aus. Als er wiederholt von seinen Mitschülern wegen seines jüdischen Glaubens gemobbt wird, bricht er Reza (Victor Kadam) die Nase. »In Deutschland sieht man Juden nach der Schoah als Opfer. Ich wollte einen Jungen porträtieren, der sich wehrt. Auch wenn er vielleicht keine Chance hat«, erklärt Autor und Regisseur Leo Khasin den Ausgangspunkt seines Spielfilms »Das Unwort«.

Max droht ein Schulverweis, über den auf einem eilig einberufenen Treffen von Eltern, Schulvertretern und Schulaufsicht entschieden werden soll. In dem Krisengipfel prallen die Meinungen heftig aufeinander. «

Eltern kennen solche Elternabende, auf denen Themen tot geredet werden. Für mich sind sie ein idealer Aufhänger, um dieses tragische Thema aus einem anderen Blickwinkel zu erzählen«, erklärt Khasin.

KAMMERSPIEL Offenbar inspiriert von Yasmina Rezas »Der Gott des Gemetzels« und dem französischen Leinwanderfolg »Le Prenom«, den Sönke Wortmann 2018 kongenial in der Komödie »Der Vorname« nach Deutschland verlegte, macht Khasin aus dieser Ausgangslage ein intelligent unterhaltendes Kammerspiel über das Wiederaufkeimen des Antisemitismus in der hiesigen Gesellschaft. Das ZDF strahlt »Das Unwort« am 9. November um 20.15 Uhr aus.

Leo Khasin wurde 1973 in Moskau geboren, emigrierte nach Deutschland und gab mit »Kaddisch für einen Freund« sein Debüt.

Vor zwei Jahren entstand beim Zweiten die Idee, einen Film über den aufkeimenden Antisemitismus zu realisieren, die an die von Oliver Berben gegründete Produktionsfirma Moovie herangetragen wurde. Berben steckte Khasin mit seiner Begeisterung an. Der Filmemacher wurde 1973 in Moskau geboren, emigrierte nach Deutschland und gab mit »Kaddisch für einen Freund« sein Debüt. Damals thematisierte er den schwelenden Konflikt zwischen Juden und Palästinensern in Deutschland.

VORURTEILE Mit der Erklärung, durch die Zuwanderung aus dem arabischen Raum habe sich der Antisemitismus hierzulande verstärkt, gibt sich Khasin nicht zufrieden: »Das ist eine Ausrede. In einer toleranten Gesellschaft würde es vielleicht gar nicht so weit kommen.«

Der Streit zwischen den Schülern wird daher zum Ausgangspunkt eines genauen Blicks auf die deutsche Gesellschaft und ihre unter der Decke schwelenden Vorurteile.

Eine schweigende Mehrheit begünstige die Renaissance des Antisemitismus, so Khasins Beobachtung. Andererseits sei mit der Flüchtlingskrise 2015 der Nationalismus wieder aufgeblüht; alte Feindbilder seien wieder hoffähig geworden. »Es ist erschreckend, was im Verborgenen überlebte und wiederkommt.«

SCHULDGEFÜHLE So auch in der Komödie: Da ist die in ihren Schuldgefühlen angesichts der Schoah befangene Lehrerin (Anna Brüggemann), die jede jüdische Familie automatisch als Nachkommen von Holocaust-Überlebenden einstuft.

Auf der anderen Seite sieht sie ihre Schüler mit einem Migrationshintergrund aus dem arabischen Raum automatisch als Opfer Israels, denen Aufenthaltsstatus durch disziplinarische Maßnahmen gefährdet sein könnte. Sie lässt ihnen alles durchgehen.

Khasins grandioses Drehbuch und die exzellente Besetzung machen den Film zu einem Juwel des deutschen Fernsehens.

Ebenso bagatellisiert der Schulleiter (Devid Striesow) die Vorfälle. Er ist um den guten Ruf der Schule besorgt, die um Schüler buhlt. Nicht zuletzt ist auch die Toleranz der Schulinspekteurin (Iris Berben) am Ende des Tages zu Ende.

JUWEL Khasin hält in seinem Film der schweigenden Mehrheit den Spiegel vor. Und das macht er überaus intelligent, voll pointierter Dialoge und mit einer gehörigen Portion Humor. Sein grandioses, durchdachtes Drehbuch und die exzellente Besetzung machen den kurzweiligen Film zu einem Juwel des deutschen Fernsehens.

Es unterhält - legt aber zugleich den Finger in eine schmerzende Wunde und benennt Defizite beim Zusammenwachsen Deutschlands zu einer multikulturellen, toleranten Gesellschaft. Dabei gelingt es, Verständnis für die Standpunkte jedes Einzelnen zu wecken und einen hohen Wiedererkennungswert auszulösen. Viele Zuschauer werden sich schon bei solchen oder ähnlichen Gedanken ertappt haben.

Der Sendeplatz am geschichtsträchtigen 9. November ist gut gewählt. Die Geschehnisse der von den Nazis gesteuerten Pogromen an Juden gehören ebenso zur deutschen Geschichte wie die Öffnung der Mauer. Beide Ereignisse prägen die Gegenwart.

»Das Unwort«, Buch und Regie: Leo Khasin. ZDF, Mo 09.11., 20.15 - 21.45 Uhr.

Veranstaltungen

Sehen. Hören. Hingehen.

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 21. November bis zum 28. November

 21.11.2024

Liedermacher

Wolf Biermann: Ein gutes Lied ist zeitlos gut

Er irre sich zuweilen, gehöre habe nicht zu den »irrsten Irrern«, sagt der Liedermacher

 21.11.2024

Nachruf

Meister des Figurativen

Mit Frank Auerbach hat die Welt einen der bedeutendsten Künstler der Nachkriegsmoderne verloren

von Sebastian C. Strenger  21.11.2024

Berlin

Ausstellung zu Nan Goldin: Gaza-Haltung sorgt für Streit

Eine Ausstellung würdigt das Lebenswerk der Künstlerin. Vor der Eröffnung entbrennt eine Debatte

von Sabrina Szameitat  21.11.2024

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

 21.11.2024

Fachtagung

»Kulturelle Intifada«

Seit dem 7. Oktober ist es für jüdische Künstler sehr schwierig geworden. Damit beschäftigte sich jetzt eine Tagung

von Leticia Witte  20.11.2024

Meinung

Maria und Jesus waren keine Palästinenser. Sie waren Juden

Gegen den Netflix-Spielfilm »Mary« läuft eine neue Boykottkampagne

von Jacques Abramowicz  20.11.2024

Berlin

Von Herzl bis heute

Drei Tage lang erkundet eine Tagung, wie der Zionismus entstand und was er für die jüdische Gemeinschaft weltweit bedeutet

 20.11.2024

Antisemitismus

»Verschobener Diskurs«

Nina Keller-Kemmerer über den Umgang der Justiz mit Judenhass und die Bundestagsresolution

von Ayala Goldmann  20.11.2024