Die erste seriöse Monografie zum »Nationalsozialistischen Untergrund« (NSU) legten im Juni John Goetz und Christian Fuchs unter dem Titel Die Zelle vor. Die beiden Journalisten starten mit den politischen Anfängen des Terror-Trios Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe, die als Jugendliche Anfang der 90er-Jahre beginnen, sich in der rechten Szene Jenas zu radikalisieren.
Die rassistischen Pogrome von Hoyerswerda und Rostock, mörderische Brandanschläge, die Untätigkeit der Sicherheitsbehörden, der Populismus insbesondere der CDU, die mit Verweis auf die Mordbrennerei eine große Koalition zur Einschränkung des Asylrechts schmiedet, und damit einhergehend das Gefühl bei jungen Neonazis, »gesiegt« zu haben – all diese Hintergründe schildern Goetz und Fuchs. Auch das stümperhafte Agieren von Polizei und Verfassungsschutz Thüringens bei den Ermittlungen gegen Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe – die nach dem Auffliegen ihrer Bombenwerkstatt abtauchen – wird dargestellt.
Bundeskriminalamt Das ist wichtig zum Verständnis der Vorgeschichte des NSU, der in den folgenden Jahren neun Migranten und eine Polizistin ermordete. Dennoch macht dieses Buch ein wenig ärgerlich. Offensichtlich stützen sich Goetz und Fuchs in erheblichem Maße auf Akten der Ermittlungsbehörden, doch Hinweise auf diese Quellen finden sich kaum. Fast wöchentlich zeigen jedoch neue Enthüllungen, dass beim Verfassungsschutz von Bund und Ländern, aber auch in örtlichen Polizeibehörden und im Bundeskriminalamt in erheblichem Umfang geschlampt wurde: Vernichtung von Akten, rechte Tendenzen unter Beamten, das Ignorieren von Hinweisen auf rechtsextreme Täter.
Dennoch finden sich bei Goetz/Fuchs kaum Hinweise auf Widersprüche, Ungereimtheiten oder offene Fragen. Stattdessen scheinen die Autoren ganz genau zu wissen, was in den Köpfen der drei Haupttäter vorging, zuweilen schimmert fast Empathie durch. So heißt es an einer Stelle: »Es sind nur noch ein paar Wochen bis zu Beate Zschäpes 37. Geburtstag. Sie hat gerade alles verloren.« Zumindest bietet Die Zelle eine flott geschriebene Komprimierung der offiziellen Version der Ereignisse.
fragen Die Berliner Journalisten Maik Baumgärtner und Marcus Böttcher wählen mit ihrem im September erschienenen Buch Das Zwickauer Terror-Trio eine ähnliche Herangehensweise. Auch sie orientieren sich im Wesentlichen an der Chronologie der Ereignisse. Sie benennen aber immerhin kursorisch ihre Quellen und lassen offene Fragen als solche stehen, anstatt sich implizit als allwissend zu präsentieren.
Einen anderen Ansatz verfolgen drei weitere Publikationen. Toralf Staud und Johannes Radke betrachten in ihrem Buch Neue Nazis das Phänomen NSU im Kontext des Rechtsextremismus in Deutschland insgesamt. Die Geschichte des Rechtsterrorismus wird dabei genauso betrachtet wie die NPD und neuere Erscheinungen wie die Autonomen Nationalisten oder die islamfeindlichen Rechtspopulisten von der »Pro-Bewegung«. Sie stützen sich dabei auf eine Fülle früherer Veröffentlichungen. Tipps zum praktischen Umgang mit Neonazis, ein umfangreiches Literaturverzeichnis und Register sowie eine Offenlegung der Quellen in einem ausführlichen Fußnotenapparat erhöhen den Nutzwert des Bandes.
Ähnlich aufgebaut ist das Buch Rechter Terror in Deutschland von Olaf Sundermeyer. Erst vor zwei Wochen erschienen, stützt es sich ebenfalls auf frühere Recherchen des Autors – was kein Nachteil ist, sondern die inhaltliche Qualität und thematische Bandbreite erhöht. Im Schlusskapitel geht Sundermeyer besonders mit den Verfassungsschutzbehörden hart ins Gericht und stellt die Frage nach deren Nutzen und somit deren Existenzberechtigung. Einem Verbot der NPD hingegen steht er skeptisch gegenüber – es sei nur schwer umzusetzen, außerdem befinde sich die Partei ohnehin im »allmählichen Niedergang«.
Nutzwert Patrick Gensing, der das Blog Publikative.org betreibt, ist in dieser Frage wesentlich skeptischer. Er schreibt in seinem Buch Terror von rechts, die NPD-Fraktionen in den Landtagen von Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen seien »die Schaltzentren der Bewegung«, die NPD »eine Organisation, die die Privilegien einer Partei genießt, um das demokratische System ›abzuwickeln‹«. NPD und NSU seien »zwei Knotenpunkte in einem braunen Netz«. Gensing, dessen vorzügliches Buch ebenfalls erst im Oktober erschienen ist, plädiert für die Stärkung zivilgesellschaftlicher Initiativen, die Anerkennung der Sachkompetenz antifaschistischer Gruppen und die Abschaffung von Kristina Schröders »Extremismus-Klausel«.
Die Zukunft des Verfassungsschutzes, der Umgang mit der NPD, die Geschichte des rechten Terrors – all das ist auch Thema in dem Sammelband Made in Thüringen? Herausgegeben von Bodo Ramelow, Fraktionschef der Linkspartei im Landtag des Freistaates, versammelt das Buch Beiträge verschiedener Autoren zu einzelnen Aspekten. Trotz des Schwerpunktes auf Thüringen und Sachsen sowie der bei einem Sammelband fast unvermeidlichen Doppelungen ist es für einen umfassenden Überblick ebenfalls gut geeignet.
Brauchbar sind letztlich alle genannten Publikationen, besonders empfehlenswert allerdings die Werke von Gensing und Sundermeyer.
M. Baumgärtner/M. Böttcher: »Das Zwickauer Terror-Trio. Ereignisse, Szene, Hintergründe«. Das Neue Berlin, Berlin 2012, 255 S., 14,95 €
C. Fuchs/J. Goetz: »Die Zelle. Rechter Terror in Deutschland«. Rowohlt, Reinbek 2012, 265 S., 14,95 €
P. Gensing: »Terror von rechts. Die Nazi-Morde und das Versagen der Politik«. Rotbuch, Berlin 2012, 236 S., 14,95 €
B. Ramelow (Hrsg.): »Made in Thüringen? Nazi-Terror und Verfassungsschutzskandal«. VSA, Hamburg 2012, 222 S., 12,80 €
T. Staud/J. Radke: »Neue Nazis. Jenseits der NPD: Populisten, Autonome Nationalisten und der Terror von rechts«. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2012, 272 S., 9,99 €
O. Sundermeyer: »Rechter Terror in Deutschland. Eine Geschichte der Gewalt«. C.H. Beck, München 2012, 271 S., 16,95 €