Frau Moch nervt. Sie ist Mitglied in Rabbi Kleins Zürcher Gemeinde und hält ihn mit spitzfindigen Fragen auf Trab. Mal möchte sie wissen, welchen Segensspruch sie sagen muss, wenn sie geröstetes Brot in ihre Suppe bröselt, mal schickt sie dem Rabbiner mitten in der Nacht eine E-Mail und fragt, ob es erlaubt sei, dass ihr Gärtner eine neue Lotusblumenart in ihrem Gartenteich kreuzt.
Was Frau Moch nicht ahnt: Mit ihren Fragen bringt sie Klein auf eine heiße Spur. Denn der Rabbi betätigt sich in einem Mordfall als Detektiv – und ist dabei klüger, als die Polizei erlaubt. »Herr Rabbiner, Sie mögen ein intelligenter Mann sein, aber Sie machen vieles falsch«, liest ihm Kommissarin Karin Bänziger die Leviten. Er solle sich heraushalten und die Ermittlungsarbeiten nicht behindern.
Ermittlungen Für Bänziger ist Klein nicht mehr als ein Zeuge. Der Rabbiner hingegen sieht in der Polizistin eine Art Kollegin, die er mitten in den Ermittlungen ungeniert fragt: »Gibt es schon eine Spur?« Und dieser Mordfall hat Klein gepackt – er kann sich nicht dagegen wehren. Schließlich war der bekannte Fernsehmoderator Kim Nufener in seinen Armen gestorben.
Nach Kains Opfer (2014), Das Ende vom Lied (2015) und Der Messias kommt nicht (2016) legt Alfred Bodenheimer nun Rabbi Kleins vierten Fall vor: Ihr sollt den Fremden lieben. Der Basler Professor für Jüdische Literatur- und Religionsgeschichte hat sich in den vergangenen Jahren einen Namen als Krimiautor gemacht. Seine Fangemeinde wächst – neuerdings weisen gar Reiseführer auf seine Krimis hin, denn sie vermitteln viel Zürcher Lokalkolorit.
Wie in den meisten Krimireihen steht auch bei Bodenheimer jeder Fall für sich. Hauptheld ist immer Rabbi Gabriel Klein, der es sich nicht verkneifen kann, zwischen Barmizwa-Vorbereitung, dem Schiur für Studierende und Gesprächen mit wohlhabenden Spendern Kriminalfälle zu lösen.
Mord Diesmal ist er selbst involviert: Der Gemeindevorstand, von dem er sich regelmäßig gegängelt fühlt, hatte ihm einen peinlichen Auftritt in der beliebten TV-Show Weisch no? eingebrockt – »als Bestandteil einer Imagekampagne für das Zürcher Judentum, den nur er übernehmen konnte, wie der Vorstand behauptete«. Schnell ausgeschieden, musste er bis zum Schluss hinter der Bühne warten und merkt erst beim Zubettgehen, dass er sein Telefon im Fernsehstudio liegen gelassen hat. Mitten in der Nacht macht er sich auf den Weg, um es zu holen. Auf dem dunklen Vorplatz des Studios stößt er auf den reglosen Körper des Moderators, der in einer Blutlache liegt.
Voller Spannung schildert Bodenheimer die Verstrickungen hinter dem Mord, die bis in die jüdische Gemeinde hineinreichen: Lejser Morgenroth, der eifersüchtige Ex-Partner des Toten, hat kein Alibi für die Nacht, aber durchaus ein Motiv.
Typisch für Bodenheimers Krimis ist, dass sich neben dem Mordfall noch ein zweites Thema durch das Buch zieht. Oft ist es ein halachisches oder historisches – in seinem vierten Krimi geht es um das Verhalten gegenüber Nichtjuden. Und auch in Bodenheimers neuem Buch begegnet der Leser Kleins Frau Rivka, die sich Sorgen um ihren Mann macht – und genervt ist, weil er sich wieder einmal in etwas hineinreitet. Sie ist die kluge Rebbetzin. Skeptisch und ihrem Mann intellektuell womöglich um eine Nasenlänge voraus, spöttelt sie über ihn und nennt ihn »Chief Inspector«.
Sex Ohne kitschig zu werden, zeichnet Bodenheimer die Ehe der beiden voller Zärtlichkeit (es gibt sogar eine Sexszene). Voller Wärme sind auch die Momente, in denen Bodenheimer hinter Kleins rabbinischer Fassade den Schalk durchscheinen lässt: »Klein sprach das Abendgebet nicht ganz so konzentriert, wie er sich das gewünscht hätte, wenn er Gott gewesen wäre.«
Seit 2014 veröffentlicht Bodenheimer jedes Jahr einen Krimi. Der Rezensent freut sich schon auf Rabbi Kleins fünften Fall. Hoffentlich erscheint er nächsten Sommer!
Alfred Bodenheimer: »Ihr sollt den Fremden lieben. Rabbi Kleins vierter Fall«. Nagel & Kimche, Zürich 2017, 192 S., 20 €