Es gibt Themen, die wohl nie an Brisanz verlieren. Die deutschen Medien und ihr Umgang mit Israel ist so eines. Vor wenigen Tagen lieferte Bento, ein Angebot von Spiegel Online, das sich an jüngere Leser richtet, ein Musterbeispiel. Unter der Überschrift »Israel sucht Freiwillige, die Jagd auf Flüchtlinge machen« wurde auf eine Stellenanzeige der israelischen Migrationsbehörde verwiesen und berichtet, »Interessenten können umgerechnet einen Bonus von bis zu 7000 Euro (30.000 Schekel) verdienen, wenn sie Jagd auf Flüchtlinge machen«. Daneben war eine Lupe zu sehen, mit der man Menschen sucht. Das sollte die Unmenschlichkeit der Israelis im Umgang mit Flüchtlingen skandalisieren.
»Aber die Lupe mit dem darin abgebildeten Piktogramm ist das Logo, das auf allen Stellenausschreibungen von israelischen Behörden zu finden ist – egal, welche Position dabei zu besetzen ist«, betont Gisela Dachs. »Offensichtlich wollte ein Journalist ohne große Vorkenntnisse etwas Meinungsstarkes zu Israel produzieren und transferierte dabei seine eigenen Befindlichkeiten in den Text hinein.«
Minenfeld Damit war man mitten im Thema des Vortrags »Herausforderungen der Auslandsberichterstattung: Das Israel-Bild in den deutschen Medien«, den die langjährige »Zeit«-Korrespondentin in Israel am vergangenen Donnerstag auf Einladung des Instituts für Publizistik und Kommunikationswissenschaften an der FU Berlin hielt. Doch sie wollte keinesfalls nur ein »Best of« der Verleumdungen präsentieren. »Auch hätte ich gerne über etwas Einfacheres als dieses Minenfeld geredet«, so Dachs. »Aber das Ganze ist einfach zu wichtig, weil heute wieder in Deutschland auf offener Straße Töne zu hören sind, die wir alle längst als Teil der Vergangenheit abgehakt glaubten.«
Gemeint sind die zahlreichen antisemitischen Vorfälle wie das Verbrennen der israelischen Flagge und das Brüllen von Hassparolen auf Demonstrationen hierzulande. Deshalb stehen bei ihr die Rahmenbedingungen journalistischer Arbeit im Vordergrund.
»Israel löst bei vielen klare Reflexe aus«, erklärt Dachs und verweist darauf, dass unter Artikeln dazu im Unterschied zur Berichterstattung über andere Länder sofort unzählige Kommentare zu finden sind, die sich vor Hass und Häme überschlagen. »Das ist, als ob manche schon in den Startlöchern stehen.« Allerdings: »Wenn man dann von der Redaktion gebeten wird, auf einige davon zu reagieren, hat das häufig eine mäßigende Wirkung.«
Herdenverhalten Als erfahrene Journalistin kennt Dachs nicht nur die Fettnäpfchen, die für Berichterstatter in Israel lauern. Darüber hinaus ist sie auch promovierte Kommunikationswissenschaftlerin mit Lehrauftrag an der Hebräischen Universität Jerusalem, was ihr eine Außenperspektive auf das journalistische Arbeitsumfeld erlaubt. »Oftmals sind die Überschriften, die eine Redaktion den Artikeln ohne Absprache mit den Journalisten gibt, das eigentliche Problem. Oder die dazu ausgewählten Fotos.«
Ferner gibt es eine Art Herdenverhalten in der Berichterstattung. »Die Digitalisierung sowie der Zeit- und Kostendruck beschleunigen diesen Trend. Vielfach wird nur darauf geachtet, was andere zu einem Thema bereits veröffentlicht haben. Dann springt man auf den Zug auf, lässt gleichfalls eine Geschichte schreiben, in der aber nichts wesentlich Neues zu finden ist.« So entstehen Klischees und Stereotype, die immer wieder reproduziert werden.
Verantwortung Das Gängigste und zugleich Problematischste ist das Bild von den starken Israelis und den schwachen Palästinensern. »Das führt zu einer Übervorsichtigkeit im Umgang mit der palästinensischen Seite«, so ihre Beobachtung. »Aber warum soll für sie nicht die gleiche Akribie gelten wie gegenüber den Israelis?« Ein Beispiel dafür war die Rezeption der Rede von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas vor über zwei Wochen, in der er die Zweistaatenlösung sowie den Friedensprozess angesichts der aktuellen amerikanischen und israelischen Politik für tot erklärte. Darüber wurde auch ausführlich in deutschen Medien berichtet. Was aber nicht erwähnt wurde, waren die gleichfalls von Abbas geäußerten Zweifel, ob zwischen Juden und Jerusalem überhaupt eine Verbindung bestehe, sowie seine Hasstirade auf europäische Politiker, die – von Oliver Cromwell im 17. Jahrhundert bis zu Winston Churchill – nichts anderes im Sinn gehabt hätten, als Juden in Palästina anzusiedeln, um den Arabern zu schaden.
»Palästinenser sind aber auch Akteure in dem Konflikt und tragen Verantwortung für ihr Handeln«, sagt Dachs. »Wenn man dies nicht zur Kenntnis nehmen will, ist das eine Art umgekehrter Orientalismus.« Ihre Forderung: »Nicht nur die Israelis, sondern auch die Palästinenser sollten von den Medien auf Augenhöhe wahrgenommen werden.«