Der Sommer meinte es bisher nicht wirklich gut mit Berlin und Brandenburg. Umso erfreulicher, dass ausgerechnet jetzt die Sonne ein wenig Erbarmen zeigt und der Himmel über Groß Glienicke aufreißt. »Erbarmen hatte 2014 letztendlich auch das Brandenburgische Landesamt für Denkmalpflege«, berichtet Thomas Harding und verweist auf eine kleine blau-weiße Plakette aus Blech an dem leicht ramponiert wirkenden Holzhaus am Ufer des Groß Glienicker Sees.
Denn eigentlich sollte das Alexanderhaus, benannt nach seinem Urgroßonkel, dem Mediziner und Präsidenten der Berliner Ärztekammer, Alfred Alexander, der es 1927 errichten ließ, abgerissen werden. Einfamilienhäuser sollten dort stattdessen gebaut werden. Auch die Denkmalschutzbehörde gab ihre Zustimmung.
Doch Harding, Nachfahre der jüdischen Arztfamilie, die 1936 noch rechtzeitig nach England hatte fliehen können, sah das anders. Er wollte das ehemalige Sommerhaus, wo die Alexanders einst unbeschwerte Wochen verbrachten, retten. »Aber wie kann man eine deutsche Behörde davon überzeugen, dass ein so unscheinbares Holzhaus einen echten Denkmalwert besitzt?«
whiskey Also begann Thomas Harding zu recherchieren. Er selbst war 1993 erstmals mit seiner Großmutter Elsie in Groß Glienicke gewesen, hatte sie auf die Reise an die Orte ihrer Kindheit begleitet. So auch zu dem alten Holzhaus am See. »Damals lebte darin noch Wolfgang Kühne, ein ehemaliger Straßenreiniger, mit seiner Frau.«
Das Ende der deutschen Teilung lag gerade einmal vier Jahre zurück, die Mauer selbst verlief genau unterhalb der Terrasse des ehemaligen Anwesens der Alexanders quer durch den Garten und trennte es vom Groß Glienicker See. »Über Jahrzehnte hinweg war es also ein Haus am See ohne Zugang zum See.« Und der jüdische Besuch aus England schien seine Bewohner sehr zu beunruhigen. »Meine Großmutter erklärte ihnen aber, dass wir das Haus nicht wiederhaben wollten und überreichte sogar eine Flasche Whiskey als Geschenk.«
2013 kehrte Harding dorthin zurück. Aber alleine und aus einem anderen Grund. »Der Heimat- und Geschichtsverein Groß Glienicker Kreis hatte mittlerweile angefangen, sich mit der Historie des Dorfes zu beschäftigen, und zu seiner Überraschung festgestellt, dass vor 1933 rund ein Viertel seiner Bewohner Juden waren.« Nun wollte man ihren Schicksalen nachforschen. »So wurde auch ich kontaktiert und erfuhr auf diese Weise, wie es um das Haus bestellt war.«
Denn Kühne lebte schon seit 1999 nicht mehr. Dafür war sein Enkel eingezogen, der dort wohl einige sehr wilde Partys geschmissen hatte, bevor er sich nach drei Jahren einfach aus dem Staub machte. Dann entdeckten einige Drogenabhängige das leer stehende Haus und bezogen dort Quartier. »Es sah absolut verheerend aus, als ich es zum ersten Mal nach dem Besuch mit meiner Großmutter wieder betrat. Überall Müll und Spritzen.«
familie Harding fing an, die Geschichte des kleinen Holzhauses zu recherchieren, und legte dabei sukzessive alle Schichten der Erinnerung frei. Daraus entstand am Ende sogar ein Buch mit dem Titel Sommerhaus am See. Fünf Familien und 100 Jahre deutscher Geschichte. Doch der Anfang war schwer. »Ich wollte meine gesamte Familie für die Rettung des Hauses mobilisieren und rief sie alle zu einem Treffen zusammen.« Jedoch war niemand von der Idee begeistert, eher das Gegenteil schien der Fall. »Sie wollten nicht verstehen, warum ich überhaupt an den Ort zurückgekehrt bin«, erzählt er. »Doch ein Cousin zeigte Interesse.«
Vor allem, nachdem sie auf einem Dachboden alte Filme der Alexanders aus den Jahren zwischen 1932 und 1935 fanden, die sie am Groß Glienicker See gedreht hatten, kam die Sache ins Rollen. »Wir erfuhren, dass das kleine Gebäude am See eines der ersten Häuser der sogenannten Wochenendbewegung war. Mein Urgroßonkel war sozusagen der Pionier, es folgten viele weitere Juden, die sich hier gleichfalls kleine Fluchten für den Sommer schufen.«
Und Alfred Alexander, der unter anderem Marlene Dietrich zu seinen Patienten zählte, empfing dort prominente Gäste wie den Physiker Albert Einstein, den Theaterintendanten Max Reinhardt oder die Fotografin Lotte Jacobi.
1936 verpachtete er das Haus an den bekannten Musikverleger Will Meisel, einen Arisierungsprofiteur, der es letztendlich für nur ein Viertel des Wertes kaufen sollte. 1944 suchte Meisel mit seiner Familie darin Zuflucht vor den Bombenangriffen auf Berlin und lebte dort bis 1952. Weil aber Westberliner in Ostdeutschland keinen Grund und Boden besitzen durften, bat er eine Familie Fuhrmann, dort einzuziehen und nach dem Rechten zu schauen.
luftbrücke Zu dieser gesellten sich dann die Kühnes. »Bis zu 13 Menschen lebten damals in diesem kleinen Holzhaus ohne richtige Heizung.« Und während der Luftbrücke rauschte alle 90 Sekunden in nur 50 Meter Höhe ein Flugzeug nach dem anderen über das Dach zum nahen Flughafen in der britischen Zone.
Bis 2014 hatte Harding so viel Überzeugungsarbeit geleistet, dass er mit 14 Familienangehörigen und Bewohnern von Groß Glienicke eine erste Aufräumaktion starten konnte. Am Ende erkannte denn auch die Denkmalschutzbehörde den historischen und architektonischen Wert des Holzhauses an. »Doch wir wollen es nicht zurück«, betont er. »Nachdem wir so viel Engagement gesehen hatten und daraus neue Kontakte entstanden waren, beschlossen wir, ein Zeichen zu setzen.«
Geplant ist eine internationale Begegnungsstätte mit Ausstellungen und Seminaren. »Das Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerk (ELES) und Avicenna, ein Begab- tenförderungswerk, das sich vor allem an Muslime richtet, sind bereits als Partner mit an Bord. Rabbiner Walter Homolka hat ebenfalls Interesse an einer Zusam- menarbeit signalisiert.« Besonders Flüchtlinge will man ansprechen. Integrationsprojekte sollen angeschoben werden. »Meine Schwester ist mit einem Syrer verheiratet und lebte lange in Damaskus«, skizziert Harding die Motive dahinter. »Nun sind mehrere Angehörige unserer Familie aus Syrien nach Berlin geflohen.«
Nicht nur für ihn hat das einen hohen Symbolwert. »Wir verließen Berlin als Flüchtlinge, nun kehren einige von uns als Flüchtlinge zurück.«