Der Konkurrenzdruck unter jungen Pianistinnen aus der ehemaligen Sowjetunion, die nach Deutschland ausgewandert sind, ist enorm hoch. Umso erfreulicher, dass sich viele von ihnen auf dem hart umkämpften Klassikmarkt durchsetzen. Dazu zählt auch die junge Pianistin Inga Fiolia, die als Kontingentflüchtling Anfang des Jahrtausends aus Georgien nach Deutschland kam. Ihr Erfolg lässt sich nicht nur daran ablesen, dass sie inzwischen einen Plattenvertrag mit einer renommierten Firma ergattert hat. Auch in der jüdischen Community ist sie beliebt, ist sie doch auch im Kulturprogramm des Zentralrates der Juden aufgetreten.
Musikerfamilie Musik hat schon immer eine zentrale Rolle in Inga Fiolias Leben gespielt. Das Klavierspielen hat sie als Kind von ihrer Großmutter in Tiflis gelernt. Und wie ihre in Zürich lebende Schwester Lika hat sie später das Instrument auch im Studium akademisch erlernt. Schon ihr Vater spielte Klavier, doch er entschied sich gegen eine Laufbahn als klassischer Musiker.
Bekannt wurde er vielmehr als kreativer Kopf der Bands »Orera« und »Dielo«, die man im Sowjetreich ähnlich wie die Beatles verehrte. Selbst Ingas Mutter, die zeitlebens als Chemikerin gearbeitet hat, ist spät zum Klavier zurückgekehrt. Sie unterrichtet heute in einer Musikschule im Bergischen Land.
Bereits mit sieben Jahren hat Inga Fiolia ihr Debütkonzert mit dem Staatlichen Georgischen Kammerorchester gegeben. Das war 1992, und die Welt der damals Zwölfjährigen schien noch in Ordnung. Doch dann begann der Unabhängigkeitskrieg, bei dem sich Georgien vom übermächtigen russischen Reich abnabelte und in dessen Folge Nationalisten an die Macht kamen. Die Mutter verlor ihre Stelle an der Uni Tiflis, weil sie Jüdin war, und so entschied sich die Familie, nach Moskau zu gehen, wo Inga sieben Jahre an der »Zentralen Musikschule für Hochbegabte des Tschaikowski-Konservatoriums« studierte.
»Ich habe Glück gehabt, dass ich dort aufgenommen wurde«, schwärmt die Pianistin rückblickend. »Mein Lehrer hieß Yuri Levin, ein Schüler des berühmten Heinrich Neuhaus. Von ihm habe ich gelernt, dass an erster Stelle nicht die technische Perfektion, sondern der musikalische Ausdruck steht.«
Lehrer Ihr musikalischer Ausdruck muss auf Anhieb überzeugt haben, als sich Inga Fiolia 2001 auf einem verstimmten Klavier für das Vorspiel an der Hochschule für Musik Köln bei dem Musikprofessor Vassily Lobanov vorbereitet hatte, denn sie wurde prompt angenommen. Glücklicherweise, denn in Moskau hatte sich seit dem Tschetschenienkrieg die Stimmung gegenüber dem sogenannten »Gesicht der kaukasischen Nationalität« verändert.
Da auch Georgier dazugezählt wurden, bestand Generalverdacht. »Wir konnten auf der Straße kein Georgisch mehr sprechen. Immer musste man Angst haben, von der Polizei angehalten zu werden«, erinnert sich Inga Fiolia an ihre letzte Zeit in Moskau. »Ich wurde sogar zwischenzeitlich aus dem Konservatorium geworfen und bin erst nach einem Monat wieder aufgenommen worden.«
Heute kann Inga Fiolia über die fadenscheinige Begründung, sie habe angeblich zu schlecht gespielt, laut lachen. »Doch damals hat mich das sehr verunsichert. Ich wollte nicht mehr in Russland bleiben, obwohl ich die russische Kultur sehr liebe.«
Entscheidung Als Inga Fiolia 16 Jahre alt war, nahm ihr Lehrer Yuri Levin eine Professur in den USA an. So stellte sich die Frage, ob ihm die Schülerin dorthin folgen solle. »Doch ich habe mich für Deutschland entschieden. Weil es ein so musikalisches Land ist.« Die Eltern kannten Deutschland bereits von einer Tournee durch die DDR, doch die Pianistin wusste, dass sie nach Köln will, weil dort Vassily Lobanov arbeitete, der später ihr Lehrer werden sollte.
Am Tag der Deutschen Einheit 2001 reiste die Familie schließlich per Bus nach Deutschland ein. »Ich hatte ja auch in Russland kein eigenes Instrument, und so musste ich nichts außer einem Koffer mitnehmen.« Die erste Zeit in den Heimen war schwer, besonders kurz vor der Aufnahmeprüfung. Inga Fiolia erinnert sich: Karneval in Köln, alle Geschäfte geschlossen, weit und breit kein Klavier. »Keine Ahnung, wie ich die Prüfung geschafft habe«, sagt sie heute.
Auszeichnungen Seither verfolgt sie ihr Aufbaustudium Konzertexamen, gewinnt Klavierwettbewerbe in Italien oder Deutschland und tritt im Fernsehen bei Stars von morgen des Opernstars Rolando Villazon auf. Für 2016 ist die Veröffentlichung von Inga Fiolias CD-Debüt geplant. Das Besondere daran ist die Auswahl der Stücke. Die Pianistin spielt nicht etwa wohlbekanntes Klassikrepertoire, sondern Komponisten, die ihre Herkunft verraten: Werke von Zinzadse, Gabunia, Kantscheli, Maschawariani und Lagidze. Daneben gibt es Glinka und Chopin zu hören.
Wer die Konzerte im Rahmen des Kulturprogramms des Zentralrats verpasst hat, sei getröstet. Fiolia freut sich auf jedes einzelne Konzert auch außerhalb der jüdischen Gemeinden: »Ich liebe klassische Musik, Bach und Beethoven, aber georgische Musik ist genial. Sie zu spielen, ist unbeschreiblich, diese Tiefe!«