Bochum, Ruhrgebiet. Die Klischees werden auf den ersten Blick bedient. Will man zu Steven Sloane, führt der Weg auf das Gelände der ehemaligen Zeche Prinz Regent, die längst zu einem Kulturzentrum strukturverwandelt wurde. Neben den Bochumer Symphonikern ist hier noch ein Off-Theater untergebracht und der legendäre Club »Zeche Bochum«.
Schotter auf dem Parkplatz. Durch den Hintereingang geht es in Sloanes Büro. Das Ambiente passt zu dem unprätentiösen Generalmusikdirektor, der den Besucher in Jeans und weißem Jackett empfängt und dessen Augen leuchten, wenn er von Bochum und dem Ruhrgebiet spricht.
grenzgänger Auch musikalisch geht die Nachbarschaft für Sloane in Ordnung. Aufgewachsen in Los Angeles, war er immer ein musikalischer Grenzgänger. Als Jugendlicher spielte er Bratsche in klassischen Orchestern, sang in Chören – und machte in einer Rockband mit: »Wir spielten jüdischen Rock.« Sloanes Familie war in einer Reformgemeinde aktiv.
Mit 17, nach seinem Highschool-Abschluss, besuchte er zum ersten Mal Israel, für ein ganzes Jahr, lernte Hebräisch in Jerusalem und lebte später in Tel Aviv: »Dort erwachte meine wirklich tiefe Beziehung zu Israel. Es war für mich als Jude sofort ein ganz besonderes Land.« Da war es nur folgerichtig, dass Sloane nach seinem Musikstudium – unter anderem bei Eugene Ormandy, Franco Ferrara und Gary Bertini – für neun Jahre nach Israel zurückkehrte – und Karriere machte: »Schon nach einem Jahr bekam ich die Chance, die Jerusalemer Philharmonie zu dirigieren. Da war ich gerade mal 22.«
Aber irgendwann wurde es Sloane in Israel zu eng: »Es ist ein kleines Land, und die Möglichkeiten sind begrenzt.« Mit Unterstützung seines Mentors Gary Bertini wurde er 1988 Erster Kapellmeister an der Frankfurter Oper. Nach Deutschland umzusiedeln, war für ihn kein Problem. »Deutschland ist noch immer weltweit das Zentrum für klassische Musiker. Nirgendwo sonst gibt es so viele hervorragende Orchester und Opernensembles wie hier.« Sein Vater, der 1981 gestorben ist, wäre allerdings nicht einverstanden gewesen, weiß Steven Sloane: »Er war Captain in der US-Armee und wurde am dritten Tag der Invasion schwer verletzt. Er hätte Deutschland nie besucht.«
ruhrpott 1994 dann der Wechsel ins Ruhrgebiet: Sloane wurde Generalmusikdirektor der Bochumer Symphoniker. Die Stadt begrüßte ihn mit einer Herzlichkeit, die er nicht erwartet hatte. »Ich war gerade in Bochum angekommen, als ich einen Bus sah, auf dem stand: ›Please Welcome Mister Steven Sloane‹. Ich war ja nicht berühmt und erst ein paar Mal in der Stadt gewesen, aber es gab sofort ein ganz besonderes Verhältnis zwischen Bochum und mir, und das ist bis heute so geblieben.«
Sloane schätzt das Publikum im Ruhrgebiet: Offen und interessiert sei es und bereit zu Experimenten. Und das Publikum schätzt Sloane, wenn er bei seinen Konzerten lockere und humorvolle Einführungen in die Stücke gibt und alle gemeinsam lachen. Oder wenn der Generalmusikdirektor mit den Symphonikern im Bochumer »Bermudadreieck«, dem Kneipenviertel des Ruhrgebiets, auftritt, in Schulen und Bürgerhäusern in den Vororten der Stadt. »Mir ist es wichtig, dass wir zu den Menschen gehen. Ich will ihnen zeigen, dass wir für sie da sind und dass wir für sie arbeiten.«
Sloane ist froh, dass es in Europa eine dichte, mit öffentlichen Geldern finanzierte Kulturlandschaft gibt. Allein die Pariser Oper, rechnet er vor, habe einen höheren Jahresetat als die gesamte staatliche Kulturfinanzierung der USA. »Aber weil das so ist, dürfen wir uns nicht ausruhen. Ich mag es nicht, wenn manche im Kulturbetrieb die Haltung haben, dass sie am Publikum vorbei arbeiten können, weil das Geld ja sowieso kommt.«
experimente Steven Sloane will sein Publikum überzeugen, auch mit mutigen Projekten jenseits des Mainstreams. Er hat Bernd Alois Zimmermanns Zwölfton-Oper Die Soldaten in der Jahrhunderthalle in Bochum aufgeführt und später noch einmal in New York. Ein sperriges Stück, das lange als unspielbar galt, von den Musikern und von dem Publikum viel verlangt.
Es wurde zum Triumph für die Bochumer Symphoniker und ihren Generalmusikdirektor. 2010, als das Ruhrgebiet europäische Kulturhauptstadt war und Sloane einer der vier künstlerischen Direktoren, organisierte er nicht nur das ruhrgebietsweite Gesangsfestival Sing, das mit einem großen Abend in der Schalke-Arena in Gelsenkirchen seinen Höhepunkt fand, sondern auch eine Aufführung von Mahlers Sinfonie der Tausend. Und bei Hans Werner Henze gab er damals eine Oper in Auftrag. Gisela – modern, außergewöhnlich und eine Ruhrgebietsgeschichte.
Heimstätte Sloanes großer Traum ist ein eigenes Haus für die Bochumer Symphoniker. »Es geht dabei nicht um mich, ich will mir kein Denkmal setzen, aber dieses Orchester hat es verdient, endlich eine eigene Spielstätte zu bekommen, die zu seiner Qualität passt.« Im Moment wandern die Musiker, spielen mal in den Kammerspielen des Bochumer Schauspielhauses oder im Audimax der Ruhr-Universität, wo das Orchester auch oft probt.
33 Millionen Euro soll das Haus kosten, über zwölf Millionen haben die Bochumer bereits gespendet. Das Geld kam von Großspendern, aber auch durch ein Benefizkonzert von Herbert Grönemeyer und zahllose Einzelspenden. In vielen Kneipen stehen Sammelbüchsen für das Konzerthaus auf den Tresen – andernorts undenkbar. »Das zeigt doch, dass die Menschen in dieser Stadt hinter der Idee eines Konzerthauses und hinter ihrem Orchester stehen.«
Vier Millionen Euro fehlen noch. Steven Sloane ist sich sicher, dass auch diese Summe noch zusammenkommen wird. Auch, dass er die Kritiker überzeugen kann, die der Ansicht sind, es gäbe bereits mehr Konzerthäuser als Publikum im Ruhrgebiet und eine Pleitestadt wie Bochum habe andere Sorgen. »Das wird ja nicht nur ein Haus für die Symphoniker. Es wird ein Haus für die Bürger. Die Musikschule wird es nutzen, es wird Jazzkonzerte geben, es wird ein offenes Haus sein.«
Demnächst zieht Steven Sloane, der die amerikanische und deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, nach Berlin. Seine Frau, die Bratschistin Tabea Zimmermann, ist dort Professorin an der Hanns-Eisler-Musikhochschule, die Kinder werden auf die Berlin International School gehen und sollen zweisprachig aufwachsen. Aber Bochum wird sein Zuhause bleiben, versichert der Dirigent. Wenn auch nicht seine Heimat. »Meine Heimat ist Israel.«