Früher war eine Konsole ein Möbelstück im Flur. Heute ist es das Reizwort einer Generation von Computerspielern, die ohne ihre soge- nannten Spielkonsolen à la »Playstation« oder »wii« nicht mehr leben können. Vor allem Fantasie-Rollenspiele boomen: Man wird sein eigener Spielkamerad auf der Jagd nach dem verlorenen Ich.
Der Klassik-Pianist Benyamin Nuss hat nun die Musik des wohl berühmtesten Abendteur-Computerspiels »Final Fantasy« für sein Instrument arrangieren lassen und debütiert damit auf CD und im Konzertsaal. So positioniert er sich als Klavierkünstler clever in der Entertainment-Welt von heute. Und rehabilitiert gleichzeitig ein Genre, das es sonst klischeehaft meist nur in Verbindung mit paramilitärisch-pubertierenden Amokläufern an Schulen ins Feuilleton schafft: Computerspiele.
Hörerlebnis Aber darf ein Steinway wie eine Playstation klingen? Für Nuss stellt sich die Frage so nicht: »Die Musik von Final Fantasy arbeitet mit Leitmotiven, wie die Oper. Sie ist schon aufgrund der Länge viel intensiver: ein ganzes Spiel dauert 80 Stunden. Es ist auch deshalb ein intensiveres Hörerlebnis, weil man aktiv spielt und nicht nur zuhört. Der Art des Spiels ist leitmotivartig angelegt, die Charaktere und die Themen der Melodien sind eine interaktive Hörwelt.«
Schon als Sechsjähriger wird der 1989 in Bergisch-Gladbach geborene Benyamin Nuss im Elternhaus mit Musik geradezu infiziert: Vater Ludwig ist Posaunist in der WDR Big Band, Onkel Hubert Jazzpianist. Improvisation ist im Hause Nuss grooviges Grundnahrungsmittel. Und bald wird der kleine Nuss die Vibes auch in den eigenen Fingern spüren. So lernt er E- und U-Musik als einen ganzheitlichen Kosmos kennen, ohne zu wissen, dass es solche absurden Pseudo-Parameter überhaupt gibt.
Der kleine Benyamin spielt innerhalb der Familie in Jazzcombos und lernt klassisches Klavier. Mit einer besonderen Vorliebe für Claude Debussy und Maurice Ravel. Auch die Werke von Rachmaninow und Liszt studiert der junge Mann eifrig. Und er gewinnt Preise: »Jugend musiziert« (2005), den »Steinway-Klavierspiel-Wettbewerb« und den »Prix d’amadeo de piano«, mit dem er erstmals eine internationale Tasten-Trophäe erringt. Seit 2008 studiert Nuss an der Kölner Hochschule für Musik. Und zwar bei Professor Ilja Scheps. Nuss setzt so auch eine russisch-jüdische Klaviertradition fort.
Gameboy Doch klassische Pianisten sind heutzutage ebenso wenig Mangelware wie Jazzer. Und so fand Nuss für sein musikalisches Wirken eine ungewöhnliche Nische: eigene Klavier-Arrangements von Computerspiel-Soundtracks. Auch Nuss senior verbringt viel Zeit vor dem Bildschirm. »Mein Vater spielte Gameboy oder Tetris, als ich klein war. Ich bin mit Jazzmusik und Computerspielen aufgewachsen«, erinnert sich Nuss und erklärt: »Es gibt da viel Trash, Spiele wie Egoshooter oder Supermario. Und es gibt Anspruchsvolles wie etwa Final Fantasy.«
Die Deutsche Grammophon bringt nun das erste Album von Benyamin Nuss heraus, mit dem jazzartigen Titel Benyamin Nuss plays Uematsu. Denn die Musik zu »Final Fantasy« stammt von dem japanischen Komponisten Nobuo Uematsu. In Asien ist der Mann ein Superstar. Seit der ersten Folge des Spiels im Jahre 1987 schreibt Uematsu die Musik, mittlerweile mit Ko-Autoren. Eine Art »Hans Zimmer der Computerspielmusik« aus dem Land des Lächelns. »Please Smile« heißt passenderweise seine Firma. Heute hat Uematsu Millionen von Alben mit dem Final Fantasy-Soundtrack verkauft. Jetzt hat er dank Benyamin Nuss den Schritt in die Welt der klassischen Konzertsäle geschafft: Nuss wird im Herbst seine CD auf prominenten deutschen Musikbühnen vorstellen. Man darf gespannt sein, ob tatsächlich die Games-Community in die Säle der Klassik strömt und zu kreischen anfängt, sobald die wohlbekannten Melodien aus der Spielwelt erklingen.
Das hat Nuss schon einmal erlebt. 2009 spielt er in der Kölner Philharmonie ein Klavierkonzert aus einem Games-Soundtrack als Solist, das auch auf CD erscheint (Symphonic Fantasies). So, als wären Computerspiele schon immer ein Teil des klassischen Konzertrepertoires gewesen.
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