Seit Daniel Donskoys Freitagnacht Jews weiß das Publikum, was »L’Chaim« bedeutet oder was »Kiddusch« ist. Mit seinen Gästen diskutierte Donskoy unter anderem über Traditionen und zeigte, wie viele unterschiedliche Arten es gibt, jüdisch zu leben.
Ein so abwechslungsreiches Bild ist in den Medien selten zu finden, wenn es um Jüdinnen und Juden in Deutschland geht. Warum ist das so? Weshalb gibt es Freitagnacht Jews nicht als wöchentliche Sendung? Und warum ist Normalität so schwierig? Darum und um noch viel mehr ging es vergangene Woche in Berlin beim Thementag »Medienbild im Wandel: Jüdinnen und Juden in Deutschland«.
FRAGEN Der Thementag, der zum zweiten Mal im Gedenken an den Anschlag auf die Synagoge von Halle am 9. Oktober 2019 stattfand, wurde aus der W. Michael Blumenthal-Akademie im Jüdischen Museum Berlin gestreamt und näherte sich den Fragen in Diskussionen, Gesprächen und Redebeiträgen. Von Shelly Kupferberg pointiert moderiert, kamen der ARD-Vorsitzende Tom Buhrow, die Journalisten Esther Schapira und Richard C. Schneider, die Stellvertretende Direktorin für Europäische Angelegenheiten bei der Anti-Defamation League, Dalia Grinfeld, Kulturstaatsministerin Monika Grütters sowie Zentralratspräsident Josef Schuster zu Wort.
Dieser erinnerte an die Vorbildfunktion der Medien: »Juden im Schtetl-Look des 19. Jahrhunderts, Fotos von Moscheen als vermeintliche Synagogen – wenn es um die Bebilderung jüdischen Lebens in den Medien geht, ist die Liste der Fehler und Klischees lang. Ursache ist in der Regel keine böse Absicht, sondern meistens Unwissenheit.« Die Medien sollten ihrer Verantwortung gerecht werden und ein realistisches Bild von Juden zeichnen, sagte Schuster.
Dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk komme dabei mit seinem Informations-, Bildungs- und Kulturauftrag eine Schlüsselfunktion zu, betonte Monika Grütters. »Wir brauchen eine differenzierte Berichterstattung über Jüdinnen und Juden. Für das Thema bei ›Machern‹ wie Nutzern zu sensibilisieren und Klischees und Stereotype aufzubrechen, ist eine wichtige Aufgabe.«
Grütters nannte den Grimme-Preis-prämierten Kurzfilm Masel Tov Cocktail als gelungenes Beispiel für das Aufbrechen von Klischees. Regisseur Arkadij Khaet erzählt darin anhand des Schülers Dima, wie es sich anfühlt, in Deutschland als Jude aufzuwachsen.
TATORT Bei antisemitischen Vorfällen ist oft eine Kippa zu sehen, und wenn es religiös wird, sind Strejmel nicht fern – Verkürzungen, die nicht sein müssen. Das deutete auch der ARD-Vorsitzende Tom Buhrow an. Man müsse zwischen Aktualität und Fiktionalem unterscheiden. Aktuelle Berichterstattung muss schnell sein, die Bildsprache das herüberbringen, was vorgefallen ist.
Der Griff ins Archiv berge daher die Gefahr, voller Klischees zu sein. »Wir sind aber dabei, die Datenbanken so zu erweitern, dass dort mehr Bildmaterial zur Auswahl steht«, sagte der Journalist. Im Fiktionalen, wie bei der Tatort-Kommissarin Nina Rubin (Meret Becker), würde jüdisches Alltagsleben »ganz normal in einen Krimi verpackt, wo sie in ihrem Privatleben eben mit Barmizwas und anderen Dingen zu tun hatte«.
Die Darstellung der Figur Nina Rubin empfindet auch der Journalist Richard C. Schneider als »extrem angenehm, weil dieses Judentum einfach so nebenbei daherkommt«.
Wie Schneider, der überwiegend in Israel lebt, die Abbildung jüdischen Lebens beobachtet und wie seine Kollegin Esther Schapira dies tut, darüber sprachen die beiden nach einem Vortrag der Filmwissenschaftlerin Lea Wohl von Haselberg. Als Schapira den Beruf der Journalistin ergriff, habe für sie festgestanden, sich auf keinen Fall mit jüdischer Thematik zu befassen. »Das sollen bitte die anderen machen.« Doch musste sie feststellen, dass es die anderen eben nicht taten.
SCHRÄGE DISKURSE Und wenn doch, dann häufig schräg oder befangen. Schräge Diskurse – die gebe es oft, wenn es in deutschen Medien um Israel oder das Judentum gehe. Aber an die dürfe man, betonte Schneider, nicht denken, wenn man Korrespondent ist und aktuell berichte. In seinen erfolgreichen Videoblogs hatte er die Gelegenheit, »Selbstverständlichkeiten, Nebensächlichkeiten, Kleinigkeiten« zu erzählen. Gerade bei der jüngeren Generation kam das gut an, berichtete er.
Wenn es religiös wird, sind Strejmel nicht fern.
Um die Darstellung von Diversität im Judentum, die Verwendung von Sprache und das Bild junger Jüdinnen und Juden ging es in dem Gespräch von Dalia Grinfeld und der Sprachwissenschaftlerin Monika Schwarz-Friesel. Wie gehen Schülerinnen damit um, wenn sie von Freundinnen plötzlich antisemitische Kommentare in den sozialen Medien erhalten? Was macht das mit ihnen? Ein Problem, das immer virulenter wird.
VORBEHALTSFILME Darüber, wie Filme die Wahrnehmung prägen, sprachen Doron Kiesel, der wissenschaftliche Direktor der Bildungsabteilung im Zentralrat der Juden, und die ehemalige FSK-Geschäftsführerin Christiane von Wahlert am Beispiel des 1940 entstandenen NS-Spielfilms Die Rothschilds.
Zunächst waren zwei Sequenzen aus dem Film, der sich im Besitz der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung befindet, zu sehen. Stiftungsvorstand Wahlert erläuterte, dass der antisemitische und volksverhetzende Streifen bis heute neben 43 weiteren NS-Spielfilmen auf der ursprünglich von den Alliierten initiierten sogenannten Vorbehaltsliste steht.
»Bisher war es Politik des Zentralrats, die Vorbehaltsfilme auch als solche zu behandeln. Solche Filme durften und dürfen bisher nur gezeigt werden, wenn sie politisch und pädagogisch begleitet werden«, berichtete Kiesel. Die Bundeszentrale für politische Bildung wolle solche Filme aber einem größeren Publikum präsentieren. Es sei schwierig, dies im Kontext einer politischen Bildungsmaßnahme zu tun, mahnte Kiesel, denn: »Wir wissen um die Langlebigkeit dieser Bilder.«
Der Zentralrat diskutiert mit der Bundeszentrale für politische Bildung und der Murnau-Stiftung, ob und unter welchen Bedingungen solche NS-Filme zugänglich werden könnten. Im Umgang mit solchen Filmen könne man nur zusammen agieren, betonte auch die Leiterin der Murnau-Stiftung, Christiane von Wahlert. Sie verwies aber auch darauf, dass etwa Jud Süß auf YouTube frei zugänglich ist: »Die Filme sind in der Welt!« Das Problem sei, dass sie unkommentiert verfügbar sind.
MUSEEN Über die Verantwortung jüdischer Museen diskutierten anschließend die Berliner Museumsdirektorin Hetty Berg und ihre Frankfurter Kollegin Mirjam Wenzel. »Es ist wichtig, dass Juden und Jüdinnen selbst zu Wort kommen«, erläuterte Berg den Ansatz der neuen Dauerausstellung im Jüdischen Museum Berlin. Die Auseinandersetzung mit Antisemitismus als Bestandteil der deutschen Geschichte hingegen sei, so Wenzel, Aufgabe der historischen, nicht der jüdischen Museen. »Wir sind vielmehr eine Plattform für Stimmen, die heute hier leben«, betonte sie.
Zum Abschluss des Thementages sprach der Tel Aviver Soziologe Natan Sznaider. Anhand aktueller kultureller Phänomene wie der Netflix-Serie Unorthodox reflektierte er über das Spannungsverhältnis von Universalismus und Partikularismus. In Unorthodox etwa befreie Berlin die Jüdin Esti aus den »partikularen Klauen der Ultraorthodoxen«. »Steht Esti hier vielleicht stellvertretend für den Staat Israel?«, fragte Sznaider rhetorisch. Israel sei ein partikularistischer Staat par excellence.
Der aus Tel Aviv zugeschaltete Soziologe mahnte: »Die Tatsache, dass wir Juden sind, heißt, dass wir uns nicht vollkommen dem Universalismus ergeben, sondern weiter auf unsere Partikularität pochen.« Der Traum von einer perfekten Assimilation sei eine uneinlösbare Illusion.