100 Jahre wäre er am 2. April geworden: Hans Rosenthal, der legendäre Moderator von Rundfunk-Sendungen wie »Dalli Dalli«, »Spaß muss sein« oder »Allein gegen alle«. Nicht wenige der Rate- und Unterhaltungsshows, durch die er mit viel Charme und guter Laune führte, hatte der Quizmaster selbst entworfen; sein »Sonntagsrätsel« läuft bis heute im Deutschlandfunk Kultur.
Doch es gab auch eine andere Seite im Leben von Hans Rosenthal: die als verfolgter Jude in der Nazi-Zeit, die er nur dank dreier Frauen überlebte - sie halfen ihm beim Untertauchen in einer Berliner Kleingartenanlage. Hans‹ zehn Jahre alter Bruder Gert wurde von den Nazis ermordet, ebenso andere Angehörige. Über seine Vergangenheit sprach Rosenthal später kaum - bis er 1980 seine Autobiografie »Zwei Leben in Deutschland« veröffentlichte.
Ein ZDF-Film mit Florian Lukas in der Hauptrolle erzählt nun von dieser Zerrissenheit: »Rosenthal« wird am 7. April ab 20.15 Uhr ausgestrahlt. Dort wie auch im Interview kommen seine Kinder zu Wort: Der 66-jährige Gert Rosenthal und die 74-jährige Birgit Hofmann sprechen über missverständliche Filmszenen, Lieblingserinnerungen, den wachsenden Antisemitismus in Deutschland - und darüber, warum sie sich noch heute manchmal über ihren 1987 verstorbenen Vater wundern.
Frau Hofmann, Herr Rosenthal, das Drehbuch zum Film sei in enger Abstimmung mit Ihnen beiden entwickelt worden, heißt es von Seiten des ZDF - wie sah das aus?
Birgit Hofmann: »Enge Abstimmung« finde ich ein bisschen übertrieben. Wir haben das Drehbuch zu lesen bekommen. Und konnten sagen, nee, so war unser Vater nicht, so etwas hätte er nie gesagt. Das ist auch berücksichtigt worden, die Filmemacher waren offen für Vorschläge und Einwände unsererseits.
Gert Rosenthal: Am Drehbuch hatten wir drei, vier Änderungen. Aber natürlich ist der Film eine Fiktion - und eine gewisse Zuspitzung ist schon richtig. Insofern finden wir unseren Vater da auch wieder und mussten, als wir den Film gesehen haben, bei einzelnen Szenen sogar lachen. Eine große Angst hatten wir: Es gibt eine Szene in einem Strandkorb, wo der alltägliche Antisemitismus dargestellt werden soll. Wir hatten die Sorge, kann man das missverstehen? Haben uns aber dafür entschieden, das man es so machen kann ...
Hofmann: Da sind wir uns nicht ganz einig. Mir wäre lieber gewesen, die Szene wäre nicht im Film.
Warum?
Hofmann: Weil sich Zuschauer bestätigt fühlen könnten von dem, was die Leute in dem Strandkorb sagen. So in die Richtung: »Alle Juden sind reich.« Und: »Das ist ein guter Jude« - sind die anderen dann schlecht? Es könnte sein, dass Leute nicht genau hinsehen, das missverstehen und sagen: »Ach guck mal, die sehen das auch so.« Man muss vorsichtig sein heute. Aber ich weiß natürlich, dass die Filmemacher das nicht so gemeint haben.
»Ich glaube, er wäre fasziniert davon, dass heute noch an ihn gedacht wird.«
Gert rosenthal
Hätte ihrem Vater der Film gefallen?
Hofmann: Ich denke schon.
Rosenthal: Ich glaube, er wäre fasziniert davon, dass heute noch an ihn gedacht wird. Ich erinnere mich daran, wie er kurz vor seinem Tod zu mir sagte: »Man wird mich in kurzer Zeit vergessen haben. Das liegt daran, dass man, anders als bei Filmen, Quizsendungen nicht wiederholen kann.« Dass man heute noch sein - ja wirklich bemerkenswertes - Leben aufgreift und darstellt, das hätte ihm gefallen.
Hofmann: Und noch ein Aspekt: Ich glaube, dass es eine Genugtuung für ihn gewesen wäre, zu sehen, dass das ZDF heute einen Film macht, der gar nicht lobhudelnd mit dem ZDF umgeht. Sondern in dem deutliche Kritik daran steckt, wie sich die ZDF-Oberen damals meinem Vater gegenüber verhalten haben.
Im Film sagt Ihre Mutter Traudl, dass sie die Einzige sei, die seine Geschichte kenne. Wann haben Sie beide Näheres über seine Vergangenheit erfahren?
Rosenthal: Da muss man unterscheiden zwischen einzelnen Sätzen, wenn er gelegentlich kurz erzählt hat, und der gesamten Geschichte. Die habe ich tatsächlich erst mit seiner Autobiografie erfahren.
Hofmann: Wir wussten, dass er versteckt war im Krieg, was mit der Verwandtschaft passiert war. Aber er hat davon nie ausführlich erzählt, das war eigentlich kein Gesprächsthema zu Hause.
Wie hat es Ihr Vater geschafft, nach dem Holocaust als in Deutschland lebender Jude so menschenfreundlich zu bleiben?
Hofmann: Je älter ich werde, desto mehr wundere ich mich auch darüber (Rosenthal lacht). Als Kind war es für mich normal, dass er Leute auf die Bühne holte und mit denen lustige Interviews führte. Erst später, als ich das ganze Ausmaß so halbwegs begriffen hatte, habe ich mir gedacht, Mensch, ist in seinem Hinterkopf nicht doch etwas abgelaufen, ob das nicht alte Nazis oder so waren? Aber letztlich glaube ich, dass sein Erleben - dass er eben auch Leute kennengelernt hat, die anders dachten, die ihn versteckt haben - ihm sehr dabei geholfen hat, nicht alle in eine Schublade zu stecken. Sonst hätte er bestimmt nicht in Deutschland bleiben können.
Rosenthal: Und er war ein positiver Mensch. In seinem Buch lässt er auch andere sprechen, die erzählen ihm, dass er immer lustig war, gesungen hat und Späße machte, in den schlimmsten Situationen - ich glaube, das war einfach sein Naturell. Mein Vater strahlte eine sehr positive Atmosphäre aus, ob hinter oder auf der Bühne. Da fällt mir noch etwas ein: Jeden Geburtstag beendete er, wenn er eine kurze Rede gehalten hatte, mit den Worten: »Mir geht es gut, ich bin ein glücklicher Mensch.« Ich glaube, das war er tatsächlich. Und er hat vielleicht auch ein bisschen was verändert: Einige Leute wussten ja, dass er jüdisch war, und haben ihn gewissermaßen trotzdem bejubelt.
Derzeit wächst der Antisemitismus allerdings wieder deutlich - wie erleben Sie das?
Rosenthal: Ich glaube, mein Vater hätte in der jetzigen Situation sehr viele Gespräche geführt, zum Beispiel mit Schülern. Um zu zeigen, dass Juden nicht anders sind als andere Menschen. Mir macht der heutige Antisemitismus Angst, wie vielen anderen auch. Ich würde heute nicht mit einer Kippa durch Neukölln laufen. Und wenn ich meinen Davidstern unter dem Hemd trage und der herausrutscht, kenne ich viele, die mittlerweile sagen: »Steck den bloß weg!« All das macht Angst. Ich bin zuletzt zu den hohen Feiertagen nicht in die Synagoge gegangen, was ich sonst immer gemacht habe. Weil ich in der jetzigen Situation ein schlechtes Bauchgefühl habe.
Hofmann: Dass die Situation so schlimm ist, hängt auch damit zusammen, dass Religion so sehr mit Politik vermischt wird. Dass die Kritik an der Politik der israelischen Regierung umschlägt in Antisemitismus. Dabei haben die Juden hier in Deutschland nichts damit zu tun, und auch in Israel gibt es sehr viele, die gegen ihre Regierung demonstrieren. Aber die Leute halten das nicht mehr genügend auseinander.
Ihr Vater war trotz seiner schrecklichen Erfahrungen versöhnlich und großherzig. Wie geht man als Kind mit einem solch fast überlebensgroßen Vorbild um?
Rosenthal (zu Hofmann): Du hast dich mehr abgegrenzt (lacht).
Hofmann: Bei der Frage können wir, glaube ich, nicht aus einem Mund sprechen. Natürlich grenzt man sich ab, um seine eigene Identität zu finden. Was nicht heißt, dass man kritisiert, wie der Vater ist oder was er macht. »Dalli Dalli« war bestimmt keine Sendung, die ich in dem Alter laufend verfolgt hätte - das war eben sein Ding. Rein menschlich gab es keinen Grund, sich von ihm abzusetzen. Trotzdem war es wichtig, eine eigene Identität zu entwickeln, weil man nicht nur »die Tochter von« sein wollte. Insofern war ich sehr froh, als ich früh geheiratet habe, einen anderen Namen hatte und Leuten begegnen konnte, ohne dass die mich gleich in eine Schublade gesteckt haben.
»Ich habe nicht die eine, sondern viele schöne Erinnerungen.«
birgit hofmann
Rosenthal: Ich bin schon jemand, der sein Andenken hoch hält und viel dafür tut, dass man nicht vergisst, was er erlebt, getan und bewirkt hat - zum Beispiel auch in meiner Arbeit für die Hans-Rosenthal-Stiftung.
Wie aktiv ist die Stiftung derzeit?
Rosenthal: Wir unterstützen jedes Jahr etwa 40 bis 50 Familien. Im Lauf der Zeit haben wir 4.000 Fälle mit insgesamt 12,2 Millionen Euro unterstützt - und setzen damit das fort, was bei »Dalli Dalli« immer gemacht wurde: dass unverschuldet in Not geratene Familien finanziell unterstützt werden. Wir finanzieren uns über Spenden oder Nachlässe; vor allem die Einnahmen aus Letzteren nehmen zu. Natürlich bewegt sich das in Kurven: Wenn vor Weihnachten eine »Dalli Dalli«-Sendung mit Johannes B. Kerner läuft, gehen die Spenden hoch. Und in diesem Jahr, zum 100. Geburtstag meines Vaters, wird das hoffentlich auch so sein.
Haben Sie eine Lieblingserinnerung an ihren Vater?
Rosenthal: Ja. Wir hatten ein kleines Segelboot, sieben Meter lang, damit habe ich meinen Vater einmal von einer Veranstaltung abgeholt, ich glaube, das war in Friedrichstadt. Wir wollten nach Föhr segeln. Aber vor Pellworm sind wir aufgrund der Ebbe aufgelaufen und haben - das Boot kippte, da kann man ganz schlecht schlafen - die ganze Nacht über gequatscht. Bis es hell wurde, das Wasser wieder da war und wir weiterfahren konnten nach Föhr. Wir hatten ein altes Funkgerät dabei, damit sagte Vater all seine Telefonate ab: »Ich kann jetzt nicht telefonieren, ich bin noch da und da« (lacht).
Hofmann: Ich habe nicht die eine, sondern viele schöne Erinnerungen. Ich war ja Assistentin bei der von ihm moderierten Hörfunk-Sendung »Allein gegen alle«. Für die Proben haben wir uns einmal im Monat getroffen; er ist aus Berlin angereist, ich aus dem Ruhrgebiet. Und dann waren wir Donnerstag bis Sonntag zusammen und hatten viel Zeit, miteinander zu reden, das war einfach gut. Ich erinnere mich, dass er mir immer wieder zu verstehen gegeben hat, dass er schätzt, was ich tue, und auch wie ich bin. Er war ein guter Vater, der einem ein gutes Selbstbewusstsein mitgegeben hat.
Ausstrahlung des ZDF-Films »Rosenthal« am 7. April ab 20.15 Uhr