1923 erschien in Berlin das Buch Der jüdische Witz und seine Philosophie, in dem Alexander Moszkowski seine Grundüberzeugung formulierte, der jüdische Witz sei das Fundament und die Krone allen Witzes: »Fast will es mir scheinen, als ob der Begriff ›jüdischer Witz‹ auf einen Pleonasmus hinausläuft, auf eine Tautologie, denn die Grundelemente dieses Begriffes sind tatsächlich nicht zu trennen.
KONTRAST Was das Wesen des Witzes begründet, der Kontrast, das bildet auch das Kennzeichen des Judentums, in guter wie in übler, in elegischer wie in launiger Bedeutung. In den Martyrien dieses Kontrasts hat sich die brennende Denkweise entwickelt, aus der die Witzfunken in Garben emporschlagen.«
Der jüdische Witz lebt sich nicht allein in der Pointe aus, sondern schon vor ihr in der Freude am Geschichtenerzählen – ob die Geschichten von Geschäftsleuten aus Krakau oder von anderen handeln: Zwei Juden treffen sich auf einem Bahnsteig. »Wohin fährst du?« – »Ich fahr nach Krakau.« – »Wenn du sagst, du fährst nach Krakau, willst du, ich soll denken, du fährst nach Lodz. Du fährst aber doch nach Krakau. Also, warum lügst du?«
Moszkowski wies in einem Vortrag über die Philosophie des jüdischen Witzes, der den ersten Teil seines Buches bildet, darauf hin, dass die
RELATIVITÄTEN Relativitäten, in weiterem Sinne genommen, im jüdischen Humor eine so ausgedehnte Rolle spielen, dass der Betrachter in Verlegenheit gerät, wenn er eine besondere Auswahl treffen soll: Ein Jude im Restaurant. »Kellner, ein Teller Borscht!« Der Kellner bringt einen Teller Suppe, der Gast beginnt zu essen. »Kellner, die Borscht is nich sauer genug!« – »Das is keine Borscht, das is Buljong.« – »Is es Buljong, is es sauer genug.«
Jan Meyerowitz hat auch über das Problem der Osmose zwischen Judentum und Deutschtum nachgedacht. »Darüber«, so sagt er, »gibt eine Geschichte fast blitzartig erhellenden Aufschluss, in der das Problem der Assimilation der Juden und die Gefahr des Verjudens der Deutschen wie zwei Fliegen mit einer Klappe erwischt werden«:
INTERNAT Nach einigen Monaten kommt der Vater zu Besuch und wird beim Prior vorgelassen. »Herr Prior, was macht mein Sohn?« Der Prior schaut aus dem Fenster, wiegt sich milde und träumerisch hin und her und sagt: »De Kindlach spillen im Gurten.«
Wie lässt sich das Wesen des jüdischen Witzes am besten erklären? Max Präger und Siegfried Schmitz publizierten 1928 in Wien und Leipzig Jüdische Schwänke, eine für deutsche Leser bearbeitete Übersetzung eines Werkes von Immanuel Olsvanger (1888–1961).
Der hatte 1920 in Basel eine Aus der Volksliteratur der Ostjuden betitelte Sammlung von Erzählungen, Sprichwörtern und Rätseln ediert, die 1931 überarbeitet als Rosinkess mit Mandlen erschien und Worte des Herausgebers enthält, die uns nachdenklich machen: »Speziell im Lachen, im Thema, welches das Lachen hervorruft, und in der Art, wie das Volk über sich und die Ereignisse und Schicksalsschläge des Lebens lacht, gibt sich die Eigenart eines Volkes kund.«
JIDDISCH Olsvanger, der berühmte Werke der Weltliteratur ins Hebräische übersetzte, war ein Kenner jüdischer Folklore. Wir genießen den Ausspruch über den jüdischen Witz in der jiddischen Originalversion aus seiner Sammlung: As me darzejlt a majsse a pauer, lacht er draj mol. Dem erschten mol lacht er, wen men darzejlt em di majsse, dem zwejten mol, wen men darklert em, un dem driten mol, wen er farschtejt di majsse.
A porez lacht zwej mol. Ejn mol lacht er, wen men darzejlt em, un a zwejten mol, wen men darklert em, worem farschtejn farschtejt er si ssajwissaj nit.
An ofizer lacht nor ejn mol, b’schass me darzejlt em, worem darkleren losst er sach nit, un farschtejn farschtejt er nit.
A id, as me darzejlt em a majsse, macht er: Wejss ich wos! Alte majssess! Un er ken di majsse besser darzejlen.