»Jede Freundschaft mit mir ist verderblich«

Keine Freunde in der Not

Joseph Roths und Stefan Zweigs Briefwechsel 1927–1938

von Wolf Scheller  10.03.2014 17:11 Uhr

»Ich bin außer mir, ich bin am Ende meiner Kräfte, ich bin nahe am Selbstmord, zum ersten Mal in meinem Leben.« Joseph Roth Foto: Wallstein

Joseph Roths und Stefan Zweigs Briefwechsel 1927–1938

von Wolf Scheller  10.03.2014 17:11 Uhr

Im Juli 1934 trifft sich die Prominenz des literarischen Exils in Nizza. Hermann Kesten, Heinrich Mann, Joseph Roth mit ihren Frauen. Die drei Dichter schreiben, die Abende in Cafés und Bars sind ausgefüllt mit Diskussionen und Trinkereien. Roth wird an der Côte d’Azur von einer schweren Krise heimgesucht. An Zweig schreibt er: »Ich bin außer mir, ich bin am Ende meiner Kräfte, ich bin nahe am Selbstmord, zum ersten Mal in meinem Leben.«

Roth hatte am 30. Januar 1933 Deutschland fluchtartig verlassen: »Inzwischen wird es Ihnen klar sein, dass wir großen Katastrophen zutreiben. Abgesehen von den privaten – unsere literarische und materielle Existenz ist ja vernichtet – führt das Ganze zum neuen Krieg. … Machen Sie sich keine Illusionen. Die Hölle regiert.«

alkoholismus Doch Roths Hölle war auch privat. Der Briefwechsel der beiden Schriftsteller von 1927 bis 1938 zeigt auf bedrückende Weise, wie eine Freundschaft unter den oft erbärmlichen Lebensbedingungen des Exils, vor allem aber an der durch den Alkohol verursachten Selbstzerstörung Roths zerbröselt. Als im Frühjahr 1937 Friderike Zweig Roth mit seiner Gefährtin Irmgard Keun für einige Wochen nach Salzburg einlädt, hat Stefan Zweig kaum Zeit für den alten Freund. Roth ist verletzt und empört: »Es ist unerhört, was Sie mir antun. ... Mit Scheißkerlen verkehren Sie viel intimer, als mit mir. ... Sie wissen nicht, Sie ahnen nicht, wie miserabel ich bin; wie ich mich verliere, mehr und mehr, von Tag zu Tag; Sie ahnen gar nichts.«

Doch Zweig kann oder will ihm nicht mehr helfen. Der Briefwechsel mit seinem Freund lässt kaum noch etwas erkennen von den Ingredienzen seiner Prosa: Erbarmen, Witz, Poesie und Trauer. Er spiegelt stattdessen auf bestürzende Weise die existenzielle Not dieser beiden großen jüdischen Schriftsteller in der Zeit der Verfolgung. Und doch zeichnen beider Briefe auch das Szenario einer großen Freundschaft, in der beide zu retten versuchten, was nicht mehr zu retten war.

Joseph Roth/Stefan Zweig: »Jede Freundschaft mit mir ist verderblich« Briefwechsel 1927–1938, hrsg. v. Madeleine Rietra und Rainer-Joachim Siegel. Diogenes, Zürich 2014, 624 S., 18,90 €

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