Frau Funk, vor einigen Wochen ist Ihr jüngstes Buch erschienen: »Who cares! Von der Freiheit, Frau zu sein«. Sie rechnen darin mit der Opferhaltung im deutschen Feminismus ab. Dafür werden Sie nun kritisiert – ein Vorwurf lautet, nicht jede Frau habe so viel Energie wie Sie.
Dass ich mehr Energie hätte als andere Frauen, ist eine Behauptung.
Die im Buch beschriebene Frau Funk geht sehr zielgerichtet vor, weiß sehr genau, was sie will, und hat auch eine Idee davon, wie sie da hinkommt.
Ist das Energie? Für mich ist das Kraft, Zielstrebigkeit. Bestimmt habe ich davon viel, aber es ist wichtig zu verstehen, dass der Text eine Antwort auf die »Es geht gar nicht anders«-Haltung im deutschen Feminismus ist.
Eine sehr persönliche Antwort.
Ich bin jetzt 41, und ich kenne alle möglichen existenziellen Nöte. Auf meine eigene Biografie zu rekurrieren, schien mir logisch. Auch weil mir seit Jahren vorgeworfen wird, ich sei privilegiert. Aber arbeiten zu müssen, ist kein Privileg.
Werfen Sie den Aktivistinnen vor, zu jammern anstatt anzupacken?
Der Vorwurf ist an Frauen gerichtet, die sich mit Absicht in eine finanzielle Abhängigkeit zu ihrem Partner begeben haben. Nicht arbeiten zu müssen, das muss man sich auch leisten können.
Sind das alles verwöhnte Frauen?
Frauen, die in einem sicheren Setting aufgewachsen sind und leben und die sich aus dieser Position heraus über ihr Leben und die Unmöglichkeit ihrer Freiheit beschweren. Da sage ich: Okay, Leute, Moment mal!
Aber vielleicht ist es gerade deshalb so.
Absolut. Ich wäre nicht da, wo ich heute bin, wenn ich ein bequemes Leben gehabt hätte. Ich spiele zum Beispiel Lotto (lacht). Unregelmäßig, aber immer, wenn ich so richtig gestresst bin. Gewinne dennoch nie etwas. Und dann denke ich, ich sollte besser auch nichts gewinnen. Denn dann würde ich all meine Social-Media-Accounts löschen, mir zwei Wohnungen kaufen, eine in Berlin und eine in Tel Aviv, und würde fix und fertig sein ob meiner totalen Langeweile. So ein bequemes Leben ist eigentlich furchtbar.
Ein unbequemes Leben auch.
Ich war irgendwann an einem Punkt, an dem ich nicht mehr konnte. Ich kenne das alles sehr gut. Ich war auch mal fertig, ich war auch mal krank, ich war auch auf Hartz IV. Ich lag auch im Bett und hab geweint. Aber da kann man dann liegen, bis man tot ist, oder man sagt sich: »Sterben tue ich noch früh genug, dann lass jetzt einfach machen. Egal was. Und wenn ich mich nackt vom Fernsehturm hänge. Es spielt ja keine Rolle.« Das Verständnis der eigenen Endlichkeit hat für mich eine große Relevanz. Uns wurde dieses begrenzte Leben geschenkt. Es zu füllen und zu gestalten, liegt in unserer Verantwortung.
Sie ernten immer wieder Kritik. Warum, glauben Sie, gibt es im deutschen Feminismus diese Aggressivität unter Frauen?
Das hat viel damit zu tun, dass dort Frauen aus unterschiedlichen sozialen Milieus aufeinandertreffen. Durch die unterschiedliche Sozialisierung gibt es ganz unterschiedliche Vorstellungen von Frausein, Familie und Beruf. Damit meine ich nicht nur Ost und West. Im Westen gab und gibt es Klassen. Keine Frau aus einer Arbeiterfamilie ist mit einer Hausfrau-Mutter aufgewachsen.
Gibt es aktuelle Ursachen für diese Entwicklung?
Die große Aggressivität hat auch mit aktuellen Tendenzen zu tun. Wir sehen gerade starke identitäre Kollektive. Kollektive können großartige Dinge schaffen, Aufklärung bringen, böse Menschen entmachten. Am anderen Ende der Skala können sie aber auch dafür sorgen, dass sechs Millionen Menschen ermordet werden. Nach der Super-Individualisierung der 80er- und 90er-Jahre erleben wir jetzt eine Renaissance des Kollektivs. Und Gruppendynamiken brauchen immer einen Feind, um die Gruppe zu stärken. Das Kollektiv hat recht, der Feind muss bekämpft werden, alles andere ist reaktionär. Dabei gibt es keinerlei Bewusstsein dafür, wie seltsam das eigentlich ist!
Woher kommt das?
Weil der Mensch Macht liebt! Und jeder glaubt immer, einem selbst würde das nicht passieren, der Machthunger, dass man besser ist als alle anderen. Aber das ist natürlich Quatsch! Wissen Sie, bei meiner Buchpremiere waren 200 Fangirls, und ich habe denen gesagt: Ich will nicht, dass ihr alles glaubt, was ich schreibe. Ihr sollt für euch selbst denken. Ich habe ein Buch geschrieben, weil ich gemerkt habe, dass da eine Stimme zu laut ist und dass es zu wenige Gegenstimmen gibt. Ich habe keine Angst vor Gegenwind, also habe ich eine Stimme kreiert, die dagegenhält, um ein Gleichgewicht zu schaffen. Das sind Positionen und Thesen, die ich vertrete, klar. Aber mir muss niemand 100 Prozent zustimmen. Ach, mir soll gar niemand zu 100 Prozent zustimmen! Keiner hat die Wahrheit gepachtet. Auch ich nicht!
Gibt es eigentlich Tage, an denen Ihre Kraft auch mal nachlässt?
Selbstverständlich.
Und dann machen Sie einfach weiter?
Was bleibt mir denn anderes übrig?
Mit der Schriftstellerin und Journalistin sprach Sophie Albers Ben Chamo.