Medien

Keine Angst vor der Wahrheit?

War mehrere Jahre lang Pressesprecher der israelischen Armee: Arye Sharuz Shalicar Foto: Uwe Steinert

In meiner langjährigen Funktion als Pressesprecher der israelischen Armee hatte ich mit Dutzenden, wenn nicht Hunderten deutschsprachigen Journalisten zu tun – während Krisensitua­tionen täglich.

Zugegeben: Ich war immer wieder erstaunt, zu erleben, wie ein ganz bestimmtes Narrativ Ausgangspunkt für die Lagebeschreibung vieler Journalisten war.

Ein Beispiel: Immer wieder wurde Israels Reaktion zuerst erwähnt und nur im zweiten Satz, oftmals kleingedruckt, kurz angegeben, was die Gegenseite »mutmaßlich« zuvor getan hatte. »Mutmaßlich«? Der Raketenbeschuss aus Gaza erfolgt – leider – nicht mutmaßlich, sondern ist bittere Realität in Israel. Und zwar Tag für Tag.

Aber das Problem ist vielschichtig, und um es zu verstehen, unterteile ich es in mehrere Punkte, die zu der schrägen Berichterstattung beitragen.

Erstens Das Profil mancher Auslandskorrespondenten lässt zu wünschen übrig. Ein gutes Beispiel dafür sind die Auslandskorrespondentinnen des »Spiegel« zwischen 2010 und 2016. Eine Dame nach der anderen, die hier in Tel Aviv ihren Dienst für das Magazin antrat, wusste zwar, wie sie mit einem netten Lächeln sympathisch rüberkommt, mehr aber war da leider nicht. Denn außer einem Abschluss kurz vorher an der Journalistenschule hatten alle drei Damen keinen Background in Nahostgeschichte, Konfliktmanagement, Politik, Theologie, Militär oder Sicherheit. Sie verstanden weder Hebräisch noch Arabisch, auch nicht Türkisch oder Farsi.

Wie kann eine 28-jährige Journalistin, die all das nicht kann, ein korrektes Bild vom Geschehen hier im Nahen Osten wiedergeben? Auf welche Quellen bezieht sie sich? Wer übersetzt ihr Material und interpretiert für sie? Wie kann man sie überhaupt ernst nehmen, wenn sie nicht weiß, was die Ränge im Militär sind, und das, wo jeder zweite ihrer Berichte vom Militär und dem Konflikt handelt, mal direkt, mal indirekt?

Wie kann man ihren Artikeln Glauben schenken, wenn man weiß, dass sie Teile ihrer Aussagen und Interpretationen nicht selbstständig, sondern über Dritte erhalten hat? Wie kann man das von ihr Produzierte wirklich lesen wollen, wenn man mit der Zeit mitbekommt, dass höchstens einer von zehn Berichten ein etwas neutraleres Licht auf Israel und die Juden wirft?

Die langjährige Auslandskorrespondentin der »Frankfurter Rundschau« in Jerusalem arbeitet schon seit vielen Jahren nach diesem Muster, und es scheint die Leserschaft nicht zu stören.

Warum auch? Israel ist der Aggressor, die Palästinenser die Opfer – das war das Bild, das ist das Bild. Alles andere würde stören, den Leser durcheinanderbringen und unnötige Fragen aufwerfen. Also lieber beim Israel-Bashing bleiben. Damit kann man allem Anschein nach nichts falsch machen.

Zweitens Auslandskorrespondenten leben gerne in Israel. Sie lieben Tel Aviv und fahren auch gerne mal hoch nach Jerusalem. Alles andere in der Region ist für sie der Wilde Westen und wird aus der Ferne wahrgenommen, wenn überhaupt. Somit hat man eine enorme Anzahl an Journalisten aus aller Welt, die in diesen zwei Städten angesiedelt sind. Keine andere Stadt rings um Israel herum hat auch nur annähernd eine so große Zahl von internationalen Journalisten zu beherbergen.

Das ist alles schön und gut, denn ich gönne den deutschen Journalisten, die vorwiegend in Tel Aviv leben, natürlich das schöne und weltoffene Leben dort, aber wieso kommt das denn nicht hin und wieder in der Berichterstattung durch?

Der langjährige Korrespondent der »Süddeutschen Zeitung« (SZ), den ich persönlich sehr mochte, war kaum aus Tel Aviv wegzubekommen. Wenn man sich jetzt aber seine Berichte über einen längeren Zeitpunkt durchliest, dann bekommt man tatsächlich einen anderen Eindruck vom Leben in Israel.

Plötzlich handelt es sich, wie auch beim »Spiegel«, um böse Juden, in erster Linie Siedler, Soldaten und die Politiker der rechten Netanjahu-Regierung. Sie alle werden immer wieder förmlich auseinandergenommen. Jeder Bericht aus einer anderen Perspektive und zu einem neuen Anlass, aber immer wieder mit dem Ziel, diese spezifischen Juden in einem negativen Licht darzustellen.

Das ist ungefähr so, als ob eine Gruppe von israelischen Auslandskorrespondenten in Deutschland jeden Tag über die AfD berichten würde, und wie faschistisch sich Deutschland doch entwickle. Und das jahrelang. Nach nur wenigen Jahren würde kein Israeli mehr ein positives Bild von Deutschland haben, weil er nur noch Anti-, Anti- und nochmals Anti-Berichte zu lesen bekäme, und irgendwann würde man einfach kein anderes Deutschland mehr kennen. Kennt der SZ- und »Spiegel«-Leser ein anderes Israel?

Drittens Eine deutsche Journalistin war einmal so frei und sagte mir, dass Journalismus natürlich auch ein Business ist und sie als Journalistin alles daran setzen müsse, nicht die Leserschaft zu verlieren. Mit anderen Worten: Man muss ihnen das liefern, was sie erwarten.

Im Falle des jüdischen Staates erwartet man ein knallhartes Vorgehen. Meine These und mein Eindruck ist: Man erwartet Artikel, die zeigen, dass Israel kaum besser ist, als es die Nazis früher waren. Diese ganz bestimmte Leserschaft hat weiterhin ein Problem mit der Vergangenheit.

Viertens Mit Verlaub: Journalisten sind ein faules Volk. Zumindest einige von ihnen. Das traue ich mich hier zu schreiben, weil sie es von sich selbst behaupten und mir gesagt haben. Warum sich anstrengen und nach Quellen suchen, wenn man abschreiben und paraphrasieren kann?

Die beliebteste israelische Zeitung ist in den Augen deutscher Journalisten die englischsprachige Ausgabe der linksliberalen »Haaretz«. Das ist die einzige Zeitung, die von den meisten Journalisten gelesen wird. Auf den Berichten dieser einen Zeitung beruht ein Großteil ihrer Artikel. Aber andere israelische Zeitungen haben auch eine englischsprachige Ausgabe, zumindest online.

Die zwei größten Zeitungen Israels, »Yedioth Ahronoth« und »Israel Hayom«, haben beide einen englischsprachigen Auftritt im Netz. Darüber hinaus existieren zwei israelische Zeitungen ausschließlich auf Englisch: die »Jerusalem Post« und die »Times of Israel« (nur online), und man kann sogar das rechte Gegenstück zur linksliberalen »Haaretz«, »Israel National News«, auf Englisch lesen.

All diese Zeitungen haben eine größere Zirkulation als die »Haaretz«. Nichtsdestoweniger beziehen sich Auslandskorrespondenten fast ausschließlich auf dieses eine Blatt. Es ist das Blatt, das am meisten israelische Selbstkritik äußert und somit genau das liefert, was der Endempfänger in Deutschland vom »Spiegel«, den »Tagesthemen« oder dem ARD-Radio erwartet.

Das ist eine traurige Realität. Genauso falsch wäre es, wenn israelische Journalisten sich in Deutschland einzig und allein auf das »Neue Deutschland« oder Jakob Augsteins »Freitag« beziehen würden. Absurderweise ist ihre Reichweite höher als die der »Haaretz«, aber kein internationaler Journalist nimmt diese zwei deutschen Zeitungen ernst. Wieso sollte er auch? Es sind Zeitungen, die eine krasse Minderheit der Gesellschaft widerspiegeln. Genauso wie die »Haaretz«.

Fünftens Sogenannte »Nahostexperten« wie Michael Lüders und Jürgen Todenhöfer verstärken die anti-israelische Stimmung und unterstützen somit indirekt – und womöglich unbewusst – antisemitische Tendenzen in der Bevölkerung.

Michael Lüders, ein deutscher Politik- und Islamwissenschaftler und seit 2015 Präsident der Deutsch-Arabischen Gesellschaft, ist so naiv-kindlich verliebt in die Geschichten aus 1001 Nacht, dass er in seinen Werken und Interviews mehr wie eine Art Sprecher der arabisch-muslimischen Welt rüberkommt, als wie jemand, der imstande ist, sich tatsächlich ausgewogen über islamischen Terror, iranische Atombedrohung und palästinensische Selbstmordattentäter zu äußern.

Jürgen Todenhöfer hat mit rund 750.000 Followern auf Facebook einen enormen Einfluss beim Thema Nahost. Er ging wahrscheinlich den umgekehrten Weg des ehemaligen deutschen Außenministers Joschka Fischer. Fischer, ein 68er und Linker, musste Anfang des neuen Jahrtausends bei einem Besuch in Israel ein Selbstmordattentat in der Nähe seines Hotelzimmers in Tel Aviv miterleben. Ein palästinensischer Attentäter hatte sich in der Warteschlange vor einer Disko in die Luft gesprengt und Dutzende jüdische Jugendliche in den Tod gerissen. Seitdem hat es bei Fischer »switch« gemacht, und er versteht Israels Position besser als zuvor.

Todenhöfer hat ungefähr im selben Zeitraum einen Wandel vom ehemaligen konservativen CDU-Politiker zum radikalen Kritiker des Westens und Israels gegenüber der muslimischen Welt gemacht. Das in Deutschland unter muslimischen Jugendlichen weit verbreitete Motto »Kindermörder Israel« basiert implizit auch auf einem Foto von ihm auf den Trümmern eines zerstörten Hauses in Gaza 2014, auf dem er manipulativ eine glänzende rosafarbene Puppe und einen neuen Kinderwagen positioniert hat.

Gaza und die Palästinenser sind somit als armes Opfer, Israel und seine Armee hingegen als kindermordende Übeltäter gebrandmarkt. Ein Bild, wie manipulativ es auch sein mag, ist in den Gedächtnissen der Antisemiten hängen geblieben, ähnlich wie das Foto des armen kleinen palästinensischen Jungen Mohammed al-Dura, der, neben seinem Vater Schutz suchend, angeblich von israelischen Soldaten getötet wurde.

Es spielt absolut keine Rolle, wie al-Dura im September 2000 getötet wurde. Vielleicht waren es Schüsse eines Hamas-Militanten, die ihn absichtlich oder nicht beabsichtigt getroffen haben. Vielleicht aber wurde er nie von einer Kugel getroffen, und das Ganze war eine gelungene Inszenierung. Kaum jemand interessiert sich für die Fakten, am allerwenigsten die Straße Deutschlands, weder im Falle al-Dura noch bezüglich der Puppe Todenhöfers, solange es ein ganz bestimmtes Narrativ fördert.

Antisemitismus bildet und stärkt sich auch aus Frust und Wut beim Anblick derartiger Fotos beim nicht-muslimisch-arabischen Deutschen, denn er hat sich ja schließlich »Nie wieder Täter« geschworen, und Derartiges darf man nicht dulden, nicht unbeantwortet durchgehen lassen. Da ist der Jude nicht besser als die Nazis damals. So wurde es mir schon mehrmals von Deutschen ohne Migrationshintergrund erklärt.

Der Text basiert auf Arye Sharuz Shalicars neuem Buch, das am 24. September erscheint: »Der neu-deutsche Antisemit. Gehören Juden heute zu Deutschland?«. Hentrich & Hentrich, Leipzig 2018, 164 S., 15 €

Shalicar war lange Zeit Pressesprecher der israelischen Armee und ist heute Direktor für Auswärtige Angelegenheiten in Israels Ministerium für Nachrichtendienste im Büro des Ministerpräsidenten.

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