Graphic Novel

Kein Widerstand auf Mallorca

Katrin Bacher erzählt von ihrer »Tante Wussi«

von Georg Patzer  07.10.2016 15:58 Uhr

Foto: Carlsen

Katrin Bacher erzählt von ihrer »Tante Wussi«

von Georg Patzer  07.10.2016 15:58 Uhr

Es beginnt in Freiburg. Tante Wussis Vater ist Fotograf, er ist krank, und der Arzt empfiehlt ihm einen Klimawechsel. Zufällig sieht er Fotos von Mallorca und weiß: Da will ich hin. Gesagt, getan. Er sucht ein Haus und richtet ein Fotostudio ein, verkauft Postkarten und Porträtfotos.

Im Spätsommer fährt die Familie hinterher, seine Frau und ihre Kinder Wussi, Werner, Lilo, Trudl und »Kleinchen«, die Jüngste. Sie wohnen am Stadtrand von Palma, halten sich Hühner und Kaninchen und müssen anfangs sparsam leben – sie essen vor allem Sardinen. Dann bricht der Bürgerkrieg aus. »Auf Mallorca gab es keinerlei Widerstand.«

Katholizismus Die Geschichte, die Tante Wussi erzählt, ihre eigene Geschichte, ist, wie viele aus jener Zeit, verwirrend und schmerzhaft. Die Familie sieht keine Zukunft mehr auf Mallorca, die »Dragones de la muerte« morden, plündern und vergewaltigen, dann kommen Flugzeugangriffe. Ungewöhnlich ist, dass sie nach Deutschland zurückkehren, obwohl die Mutter aus einer jüdischen Familie kommt und zum Katholizismus konvertiert ist. Allerdings rät der Konsul dem Vater, sich scheiden zu lassen. Was natürlich überhaupt nicht infrage kommt.

Natürlich geht die Rückkehr für die meisten nicht gut aus. Die Familie fährt nach Karlsruhe zu Tante Sofie, Kleinchen muss mit der Kinderfrau nach Hannover und später zurück nach Mallorca, und Wussi wird zu einem Onkel, einem Pfarrer, aufs Land geschickt und erlebt mitten im Krieg sogar noch idyllische Wochen mit ihm.

Katrin Bacher erzählt (wohl autobiografisch getönt), wie eine junge Frau ihrer alten Großtante Wussi beim Umzug hilft und sie neugierig ausfragt. Sie zeigt sie beim gemütlichen Teetrinken im himmelblauen und friedlichen Mallorca von heute, während die eher grauschwarzen und feuerroten Bilder das mörderische Nazideutschland malen.

Atmosphäre Dem Illustrator Tyto Alba gelingt es, mit aussagekräftigen Aquarellfarben und sparsamen Strichen sowohl die düstere als auch die entspannt heitere Atmosphäre wiederzugeben und die Geschichte auf seine eigene dynamische Art zu erzählen. Besonders eindrucksvoll sind die ganzseitigen Bilder, die Menschen im Dunkel der Nacht ganz winzig werden lassen oder das Paar in sich versunken tanzend an ihren Hochzeitstagen porträtieren.

Der Band endet mit Fotos von zwei Stolpersteinen in Karlsruhe und Bildern von Demonstranten gegen die »Islamisierung Europas«: Die Geschichte beginnt, sich zu wiederholen.

Katrin Bacher und Tyto Alba: »Tante Wussi«, Graphic Novel. Carlsen, Hamburg 2016, 128 S., 17,50 €

London

Hart, härter, Aaron Taylor-Johnson

Ein Marvel-Schurke zu sein, ist körperlich extrem anstrengend. Dies räumt der jüdische Darsteller nach dem »Kraven The Hunter«-Dreh ein

 11.12.2024

PEN Berlin

»Gebot der geistigen und moralischen Hygiene«

Aus Protest gegen Nahost-Resolution: Susan Neiman, Per Leo, Deborah Feldman und andere verlassen den Schriftstellerverein

 11.12.2024

Medien

»Stern«-Reporter Heidemann und die Hitler-Tagebücher

Es war einer der größten Medienskandale: 1983 präsentierte der »Stern« vermeintliche Tagebücher von Adolf Hitler. Kurz darauf stellten die Bände sich als Fälschung heraus. Ihr »Entdecker« ist nun gestorben

von Ann-Kristin Wenzel  10.12.2024

Imanuels Interpreten (2)

Milcho Leviev, der Bossa Nova und die Kommunisten

Der Pianist: »Ich wusste, dass ich Bulgarien verdammt zügig verlassen musste«

von Imanuel Marcus  10.12.2024

Glosse

Der Rest der Welt

»Mein kleiner grüner Kaktus« – ein Leitfaden für Frauen von heute

von Nicole Dreyfus  10.12.2024

Gelsenkirchen

Bayern-Trainer Kompany: Daniel Peretz genießt mein Vertrauen

Daniel Peretz soll Manuel Neuer bis zum Jahresende im Bayern-Tor vertreten. Trainer und Mitspieler vertrauen dem Israeli. Neuer könnte in einem Monat in Gladbach zurückkehren

 10.12.2024

Meinung

PEN Berlin war kurz davor, auf der Seite der Feinde Israels zu stehen

Nur knapp konnte verhindert werden, dass die Schriftstellervereinigung eine Resolution annahm, die von glühender »Israelkritik« geprägt war

von Stefan Laurin  10.12.2024

Beverly Hills

Zahlreiche Juden für Golden Globes nominiert

Darsteller, Regisseure und Komponisten stehen auf der Liste

von Imanuel Marcus  10.12.2024

Kontroverse

»Da sind mittlerweile alle Dämme gebrochen«

PEN Berlin-Gründungsmitglied Lorenz Beckhardt über den Streit über Israel und den Nahostkonflikt

von Michael Thaidigsmann  10.12.2024