Redezeit

»Kein Mensch ist gern Opfer«

Christian Berkel über den Start der siebten Staffel von »Der Kriminalist«, Viktimologie und gesellschaftliches Engagement

von Katrin Richter  22.10.2012 11:11 Uhr

Christian Berkel Foto: Stephan Pramme

Christian Berkel über den Start der siebten Staffel von »Der Kriminalist«, Viktimologie und gesellschaftliches Engagement

von Katrin Richter  22.10.2012 11:11 Uhr

Herr Berkel, Sie spielen seit sieben Jahren den Hauptkommissar Bruno Schumann in der TV-Serie »Der Kriminalist«. Am vergangenen Freitag ist die neue Staffel gestartet. Was war für Sie der emotionalste Moment beim Dreh?
Es gibt ganz viele. Aber eigentlich geht es auch mehr darum, wie die Figur Schumanns funktioniert. Nämlich über Empathie, was ja das Gegenteil von Kälte ist. Es gab unterschiedliche Folgen, die für mich besonders interessant waren. Am spannendsten ist es, wenn die Figur sich emotional in andere Personen hineinversetzt und phasenweise deren Identität übernimmt.

»Der Kriminalist« ist eine Serie, in der die Opfer von Gewaltverbrechen im Mittelpunkt stehen. Wie real ist das?
Ganz am Anfang, als ich mir überlegt habe, welche Nuance man dem Krimigenre in Deutschland noch hinzufügen kann - denn keiner erfindet das Rad neu –, habe ich mich weniger durch die Film- als vielmehr durch die Fachliteratur gelesen. Dabei bin ich auf die Viktimologie gestoßen. Eine recht junge Wissenschaft. Darin geht es um die Frage, welcher Mensch zieht welchen Tätertypus an? Wo ist seine Verletzlichkeit? Nicht, inwieweit er an der Tat eine Mitschuld hat, sondern, wo im ganz individuellen Bereich die Verletzbarkeit liegt. Zu über 90 Prozent sind es Beziehungstaten.

Die Serie spielt in Berlin. Gerade in den vergangenen Wochen ist die Hauptstadt mit gewalttätigen Übergriffen in die Schlagzeilen geraten. Wie wird in der Realität mit Opfern umgegangen?
Normalerweise kümmern sich alle immer um den Täter. Beim klassischen Profiling überlegt man, welche Zeichen er hinterlässt. Welches ist seine Handschrift? Wir haben eine ganz starke Tendenz, den Täter zu psychologisieren. Nicht, dass man das nicht tun sollte, aber es gibt Grenzen. Der Vorfall am Alexanderplatz beschreibt eine dieser Grenzen: Wenn sieben Menschen auf einen eintreten, bis er tot ist, dann gehe ich zwar davon aus, dass diese Leute eine wie auch immer geartete problematische Biografie haben. Aber diese berechtigt sie nicht, einen jungen Menschen umzubringen. Das muss man in aller Deutlichkeit sagen. Die Gesellschaft sollte sich fragen: Was ist passiert? Was läuft bei uns falsch, dass solche Übergriffe immer häufiger werden? Allerdings nicht in dem Sinne, dass wir den Täter entschuldigen.

Die Opfer allerdings bleiben meistens allein.
Kein Mensch ist gern Opfer, und wir distanzieren uns schnell von ihnen. Es ist wie eine ansteckende Krankheit. Man will mit ihnen nichts zu tun haben.

Auf Schulhöfen gilt der Spruch »du Opfer« als Schimpfwort.
Das ist richtig. Offenbar ist es ein Ausdruck von Schwäche. Und das ist ein Riesenproblem. Wir durchleben eine gesellschaftliche Entwicklung, die dafür steht, dass man eigene Schwäche verleugnen will. Aber das funktioniert nicht.

Wäre ein Fall wie der am Alexanderplatz Stoff für eine Folge des »Kriminalisten«?
Das würde mich sehr reizen, obwohl das Thema nicht einfach zu behandeln wäre.

Die Serie spielt in Berlin Friedrichshain-Kreuzberg, einem sozialen und kulturellen Brennpunkt. Wie fühlt es sich an, gerade dort zu drehen?
In Berlin kann man am deutlichsten erkennen, was in Deutschland los ist. Es gibt Städte im Süden, da merkt man das nicht so sehr. Nehmen wir zum Beispiel den Mauerfall. An manchen Orten hat sich rein gar nichts verändert. Aber in Berlin war das anders: Es ist beinahe so, als ob die Stadt auf jede Veränderung seismografisch reagiert, und das ist spannend. Wir haben an rund 1000 verschiedenen Schauplätzen gedreht – größtenteils in Privaträumen. Und da gibt es gewaltige Unterschiede.

Welche?
Wenn ich in Kreuzberg oder Friedrichshain drehe, dann gleichen sich die Wohnungen gar nicht. In Dahlem allerdings ist alles sehr ähnlich. In Gegenden mit hohem Einkommen ist Geld nicht gleichbedeutend mit Individualität. Man könnte denken, dass jemand, der Geld hat, keine finanzielle Grenze bei der Realisierung seiner Wünsche hat, was zum Beispiel die Einrichtung betrifft. Aber offenbar scheinen die Bedürfnisse sehr homogen zu sein. Ikea in teurer. Menschen mit geringem finanziellen Spielraum sind einfach kreativer.

Mit dem Schauspieler sprach Katrin Richter.

Christian Berkel wurde am 28. Oktober 1957 in Berlin geboren, lebte in Paris und absolvierte eine Ausbildung an der Deutschen Film- und Fernsehakademie. Der Sohn eines ehemaligen Militärstabsarztes und einer jüdischen Mutter ist mit der Schauspielerin Andrea Sawatzki verheitratet. Das Paar hat zwei Kinder. Berkel spielte in Filmen wie »Der Untergang«, »Mogadischu« und »Inglorious Basterds« mit.

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