Richard-Wagner-Jahr

Kein Grund zum Feiern

Am heiligen Gral: Hitler mit Winifred und Wieland Wagner bei der Eröffnung der Festspiele in Bayreuth 1938 Foto: dpa

Der Kulturbetrieb begeht 2013 das 200-jährige Jubiläum eines Problems: Richard Wagner, der größte Komponist unter den Antisemiten und der größte Antisemit unter den Komponisten, wurde am 22. Mai 1813 in Leipzig geboren. Die Auseinandersetzung mit seiner Judäophobie wird wahrscheinlich wieder nur den Charakter einer Pflichtübung annehmen – um desto ungestörter vor ihm das Knie beugen zu können.

Es verwundert stets aufs Neue, wie bei Wagner Kunst und Person gegeneinander aufgerechnet werden, mit dem Ziel, die Kunst vor ihrem Schöpfer in Schutz zu nehmen. Wenn zum Beispiel Daniel Barenboim von den »berüchtigten inakzeptablen antisemitischen Äußerungen« spricht, ist das eine unzulässige Beschönigung. Wagners Antisemitismus beschränkt sich keineswegs auf einige »Äußerungen«. Er ist im Gegenteil ein wesentlicher Bestandteil seines Denkens (wovor die Wagner-Philologie immer noch die Augen schließt).

Theodor W. Adorno notiert in seinem »Versuch über Wagner«, des Komponisten Judenhass versammle »alle Ingredienzien des späteren in sich. Der Hass führt so weit, dass die Nachricht vom Tode von 400 Juden beim Wiener Ringtheaterbrand ihn zu Witzen inspirierte. Selbst den Gedanken von der Vernichtung der Juden hat er bereits konzipiert.« Wagners Judenfeindschaft ist weit entfernt davon, eine vernachlässigbare Größe zu sein. Er gehört zu den Ersten, die in den theologisch und sozial-ökonomisch geprägten Antijudaismus einen völkisch-rassistischen Ton bringen.

gewaltfantasien Um das »unwillkürlich Abstoßende des jüdischen Wesens« zu erklären, verweist der Komponist schon in seiner ersten (und bekanntesten) Schmähschrift Das Judentum in der Musik (1850) auf einen »unbesieglichen« und »instinktmäßigen Widerwillen gegen das jüdische Wesen«, von dem Nichtjuden, selbst wenn sie es wollten, sich schlechterdings nicht befreien könnten. Wagner hofft, diese »unbewusste Empfindung, die sich im Volke als innerlichste Abneigung gegen jüdisches Wesen kundgibt«, möge ihren Weg ins allgemeine Bewusstsein finden.

Was freilich erfordere, »unsren natürlichen Widerwillen öffentlich kundzugeben«. Er beschwört ein dumpf-primitives Gefühl, das die Nationalsozialisten später als »gesundes Volksempfinden« bezeichnen werden: eine fiktive gemeinschaftliche Verantwortung, den »Volksgeist« vor schädlichen Einflüssen zu schützen und dessen Feinde zu eliminieren.

Nichts Geringeres als »die Freiheit des Volkes« steht für Wagner auf dem Spiel. Es sei ein Gebot der Selbsterhaltung, sich vom »Drucke des Judentums« zu befreien. Er vergleicht das infolge seiner »Verjüdung« geschwächte deutsche Volk mit einem Organismus, dessen Fleisch sich in eine »wimmelnde Viellebigkeit von Würmern auflöse«.

Weil man »den Juden« nicht daran gehindert habe, sich des Volkskörpers zu bemächtigen, bleibe nurmehr, seinen parasitären Einfluss auf deutsche Kunst und deutsches Wesen zu bekämpfen: »Ob der Verfall unsrer Kultur durch eine gewaltsame Auswerfung des zersetzenden fremden Elementes aufgehalten werden könne, vermag ich nicht zu beurteilen, weil hierzu Kräfte gehören müssten, deren Vorhandensein mir unbekannt ist.« Dass der Komponist Hitler und dessen willigen Vollstreckern applaudiert hätte, darf angesichts solcher Sätze als wenigstens sehr wahrscheinlich gelten.

motivation Eher zweitrangig ist die Frage, welche Ursachen Wagners Judengegnerschaft gehabt hat. Ein »linker« Motivationsstrang ist seine Gleichsetzung von Kapitalherrschaft und Judentum. In dieser Logik erscheint ihm folgerichtig, dass in dem Augenblick, da »die sonderliche Hartnäckigkeit des jüdischen Naturells« überwunden sein würde, auch der Kapitalismus fiele. Ein anderer Grund ist Wagners Germanomanie – eine Erblast der politischen Romantik à la Johann Gottlieb Fichte, Ernst Moritz Arndt, Jakob Friedrich Fries, Friedrich Ludwig Jahn. Ihnen folgend, preist Wagner einen »wirklichen Volksgeist«, einen »unbewussten Naturtrieb«, den er gegen den Dreiklang Gleichheit-Freiheit-Brüderlichkeit ins Feld führt. Das Ziel: eine allgermanische Blut-und-Boden-Gemeinschaft.

Nicht zu unterschätzen ist Wagners tiefer, verbissener Neid auf seine jüdischen Kollegen Giacomo Meyerbeer und Felix Mendelssohn Bartholdy. Meyerbeer – dem Hauptmeister der Grand Opéra – kreidete er dessen Monopolstellung und den eigenen Misserfolg in Paris an. Dem musikalischen Wunderknaben Mendelssohn Bartholdy warf er vor, unfähig zu sein, jene »Herz und Seele ergreifende Wirkung auf uns hervorzubringen, welche wir von der Kunst erwarten«.

Versucht wurde auch, Wagners Judenhass psychoanalytisch zu deuten. Tatsächlich konnte lange Zeit nicht ausgeschlossen werden, dass Richard nicht der Sohn des Leipziger Polizei-Protokollanten Carl Friedrich Wagner gewesen ist, sondern das uneheliche Kind des jüdischen Künstlers Ludwig Geyer (dessen Name er bis zum 14. Geburtstag trug).

epigonen Dass Wagners Überzeugung »die jüdische Rasse für den angeborenen Feind der reinen Menschheit und alles Edlen in ihr« zu halten, nicht nur eine private Marotte, sondern er damit ein wichtiger Vorreiter des modernen, in letzter Konsequenz mörderischen Antisemitismus war, belegen seine Epigonen. Zu ihnen gehörte nicht nur die deutsche Antisemitenelite (Paul Anton de Lagarde, Otto Glagau, Wilhelm Marr, Adolf Stoecker). Sympathisanten fanden sich in ganz Europa. Ein Name ist in diesem Zusammenhang von besonderer Bedeutung: Houston Stewart Chamberlain.

Der gebürtige Engländer und naturalisierte Deutsche Chamberlain tat sein Bestes, Wagners krude Judäophobie in seinem 1899 erschienenen Buch Die Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts einer umfänglichen Rassen- und Kulturlehre einzuverleiben. 1908 ehelichte Chamberlain Wagners Tochter Eva. Unterstützt durch die hagiografische Propaganda der 1878 gegründeten »Bayreuther Blätter« gelang es Chamberlain, zu dessen größten Verehrern Kaiser Wilhelm II. zählte, Richard Wagner zur nationalen Symbolfigur zu verklären.

Bayreuther Kreis Im Oktober 1923 sorgte er für die überaus gastliche Aufnahme Adolf Hitlers in den Bayreuther Kreis. Von Wagner-Chamberlain übernahm Hitler das Ideal des rassisch reinen Volkskörpers und die Vorstellung, die bloße Existenz des Judentums sei »ein direktes verbrecherisches Attentat auf alle Völker der Erde« (Chamberlain).

Ab 1933 avancierte Wagner endgültig zum Kronzeugen im Kampf gegen den »Judendreck« (Hitler). Bereits 1929 hatte der Naziführer verkündet: »Was der Meister der Töne einst nicht zu ertragen vermochte, das wollen wir, die wir Kämpfer sind, auskämpfen.«

So wie Wagner auf der Basis einer blutideologischen Heilslehre sein »Gesamtkunstwerk« schuf, so trieb es Hitler dazu, ein politisches Pendant zu errichten. Gewiss: Wagner für Hitler verantwortlich zu machen, wäre albern. Und dennoch: Ohne Richard Wagner und dessen Gefolgsleute hätte der völkisch-rassistische Wahn nie jenes Ausmaß erreicht, das den Nationalsozialismus überhaupt erst ermöglichte.

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