»In schicksalsernster Stunde ruft das Vaterland seine Söhne unter die Fahnen. Dass jeder deutsche Jude zu den Opfern an Gut und Blut bereit ist, die die Pflicht erheischt, ist selbstverständlich.« Das ist das Erste, was man liest, betritt man im Münchner Jüdischen Museum die diese Woche eröffnete jüngste Sonderausstellung. Gewidmet ist sie dem Ersten Weltkrieg. Der Aufruf, aus dem die beiden Sätze voll spätwilhelminischem Pathos stammen, wurde am 1. August 1914 verfasst und verbreitet vom Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens. Diese Positionierung will die Schau ausleuchten. Die Pole dabei lauten: Begeisterung – Ausschluss, Aufopferung – Ende der Assimilation, Alltag im Krieg – Verleugnung der Leistung.
diskriminierungIn sieben Stationen hat die Kuratorin Ulrike Heikaus die Schau unterteilt. Es ist schon länger her, dass die zwei Münchner Sonderausstellungssäle dermaßen üppig bestückt worden sind. Sonst huldigt dieses Haus eher dem asketischen Maßhalten. Diesmal nicht. Was guttut. Der Schau, dem Haus und, vor allem, dem Thema.
Geht man die Treppen hoch, durchschreitet man die fünf Wochen von der Ermordung Franz Ferdinands bis zu den Kriegserklärungen der ersten Augustwoche. Die Daten sind auf die Stufen geschrieben. Sie werden anhand einer nachzulesenden Korrespondenz mit der so klug wie nachhaltig untermauerten Kernthese konfrontiert: Der deutsche Antisemitismus war im Krieg besonders virulent, die assimilierten deutschen Staatsbürger jüdischen Glaubens wurden diskriminiert.
Zum Beispiel Max Rothmann, Internist am Berliner Urban-Krankenhaus und Außerordentlicher Professor an der Universität. Er scheitert daran, seinen Sohn Hans ins preußische Kadettenkorps aufnehmen zu lassen. Die letzte von mehreren Repliken des Kriegsministeriums auf seine patriotische Hartnäckigkeit verrät den Grund: sein Judentum. Auf das Bitterste enttäuscht begeht Rothmann 1915 Selbstmord, zwei Jahre später wird Hans, inzwischen 17 Jahre, eingezogen – als einfacher Soldat.
In vielen Facetten zeigt die Schau den Antisemitismus auf, der im Lauf der Kriegsjahre immer unverhüllter auftrat. Besonders eindringlich im zweiten Obergeschoss mit der »Judenzählung« 1916 und vielen Eingaben jüdischer Soldaten, die massive Ressentiments beklagten. Der immer radikalere Judenhass der folgenden Jahrzehnte kamen keineswegs aus dem Nichts.
biografien Dokumentiert wird auch jüdisches Leben jenseits der Front: fränkische Spielzeugproduzenten, die sich auf nationalistische Produkte verlegten, ein Gebetsschal, bestickt mit einem Eisernen Kreuz. Die Schau endet mit sieben, in langen Vitrinen nachgezeichneten Biografien jüdischer Soldaten: ein Anwalt, der im KZ umkommt, ein Künstler, der 1916 als Flieger abgeschossen wird, andere, die nach 1933 ins Ausland fliehen können. Und mit dem »Krieg der Erinnerung«: Das Gedenken an die 92.000 deutsch-jüdischen Soldaten, von denen 12.000 fielen, wurde in den 20er-Jahren zum Politikum. Und nach 1933 bot ein Fronteinsatz keinen Schutz mehr.
Manchmal, wie beim Thema Antikriegsproteste, wäre eine größere Einbettung gut gewesen. Eine Handvoll Poeme als Subkapitel zu präsentieren, erweist der winzigen Gruppe von Münchner Bohemiens wie Erich Mühsam oder Lion Feuchtwanger, damals noch Theaterkritiker, etwas zuviel der literaturhistorischen Ehre. Merkwürdig auch, dass sich, anders als in der Erste-Weltkrieg-Schau des Wiener Jüdischen Museums, kein Verweis auf den Zionismus findet, der doch eine so starke wie logische Reaktion auf den mit dem Kriegsende und den Revolutionen 1918/19 noch vehementer einhergehenden Antisemitismus war.
»Krieg! Juden zwischen den Fronten 1914–1918«. Jüdisches Museum München, bis 22. Februar 2015
www.juedisches-museum-muenchen.de