Nachruf

Kein Blatt vor dem Mund

»Ich will ein schöner Leichnam sein«: Joan Rivers 1933–2014 Foto: dpa

Dass sie mit ihren 81 Jahren nicht mehr lange zu leben hatte, wusste Joan Rivers. Und wie es ihre Art war, machte sie darüber Witze: »Wenn ich eine Todesanzeige sehe ›Sadie Schwartz im Alter von 106 unerwartet gestorben‹, denke ich: Sadie Schwartz, 106? Es wurde auch mal langsam Zeit.«

Das war Joan Rivers: Knallhart, taktlos und genau auf den Punkt. Feinsinn war ihre Sache nicht. Die Frau war tough. Anders hätte sie in der jahrzehntelang von Männern dominierten Comedyszene nicht ihren Weg machen können.

karriere Wäre es nach ihren Eltern gegangen, hätte die 1933 in Brooklyn als Joan Alexandra Molinsky geborene Tochter einer jüdischen Mittelstandsfamilie einen ganz anderen Beruf gewählt: Ärztin. »Meine Mutter wollte, dass ich den Abschluss als M.D. mache. M.D. wie in ›Make Dollars‹«.

Aber Joan war ein Dickkopf. Nach dem Besuch eines Elite-College entschied sie sich für das Showbusiness. Erst in Off-Broadway-Theaterproduktionen, unter anderem an der Seite der damals unbekannten Barbra Streisand. Dann als Stand-Up-Comedian in kleinen Clubs in Greenwich Village. Dort wurde sie vom Fernsehen entdeckt. Johnny Carson holte sie 1965 in seine Tonight Show, eine der meist gesehenen Unterhaltungssendungen im US-TV. Bald war Joan Rivers Millionen Amerikanern ein Begriff. Ihre Shows waren ausverkauft, ihre Bücher und Platten wurden Bestseller.

Im privaten Leben lief es für sie nicht so glücklich. Ihr Ehemann Edgar Rosenberg, dessen gesamte Familie in der Schoa ermordet worden war, litt an Depressionen und beging schließlich Suizid. Joan Rivers stürzte in eine Krise, bekam Bulimie und war eine Zeit lang suizidal. Aus dem Tief arbeitete sie sich wortwörtlich heraus, durch Comedy-Auftritte: »Meine Bühnennummern basieren darauf, dass ich total unglücklich bin. Mein Publikum ist meine Gruppentherapie.« Ihre Schärfe, so analysierte sie sich selbst, sei »ein Symptom, um Gefühle auszudrücken, die man direkt nicht aushält – Verletztheit, Trauer und vor allem Angst«.

lästermaul Diese rücksichtslose Schärfe – »Comedy ist Wahrheit. Ich sage, was ich als wahr empfinde, und zwar ungeschönt« – machte vor nichts halt. Auch nicht vor der Schoa. Über Supermodel Heidi Klum beispielsweise lästerte sie, »so heiß waren Deutsche zuletzt an den Verbrennungsöfen«. Als daraufhin Abe Foxman von der ADL sie öffentlich angriff, schnauzte sie ihn an: »Nimm dir lieber die wirklichen Antisemiten vor!«

Auf ihre jüdische Ehre ließ Joan Rivers nichts kommen. Sie war stolz darauf, dass die zionistische Frauenorganisation Hadassah sie als »Frau des Jahres« geehrt hatte, und das, obwohl Rivers den Verein zuvor verspottet hatte: Die lose Haut an den Oberarmen älterer Damen nannte sie »Hadassah-Lappen«.

Sie hielt die Feiertage – auf ihre Art: »Wenn ich an Erew Jom Kippur nicht zur Synagoge gehe, fühle ich mich miserabel«, sagte sie in einem Interview. Besonders liebe sie das Fastenbrechen nach Ende des Versöhnungstags. »Sie fasten«, fragte die Interviewerin. »Nein. Habe ich noch nie. Ich glaube, Gott ist das egal.«

herzenssache Israel war Joan Rivers eine Herzenssache. Und auch dabei nahm sie kein politisch korrektes Blatt vor den Mund. Auf den Gaza-Krieg vor ein paar Wochen angesprochen, reagierte die lokalpatriotische New Yorkerin mit einem drastischen Vergleich: »Wenn New Jersey Raketen auf uns abfeuern würde, würden wir es plattmachen.« Den Israelis riet sie, auf Kritik von außen selbstbewusst zu reagieren: »Wenn sie euch nicht mögen, sagt ihnen, dass sie sich selbst f... sollen.«

Berühmt-berüchtigt war Joan Rivers wegen ihrer unzähligen Schönheitsoperationen. Vom Gesicht über den Busen bis zum Hintern gab es keinen Körperteil, der nicht mindestens einmal, meist öfter, geliftet worden war. Sie wolle, sagte sie, eine gut aussehende Leiche sein. Am Mittwoch, den 4. September, ist Joan Rivers 81-jährig in New York gestorben.

Aufgegabelt

Mazze-Sandwich-Eis

Rezepte und Leckeres

 18.04.2025

Pro & Contra

Ist ein Handyverbot der richtige Weg?

Tel Aviv verbannt Smartphones aus den Grundschulen. Eine gute Entscheidung? Zwei Meinungen zur Debatte

von Sabine Brandes, Sima Purits  18.04.2025

Literatur

Schon 100 Jahre aktuell: Tucholskys »Zentrale«

Dass jemand einen Text schreibt, der 100 Jahre später noch genauso relevant ist wie zu seiner Entstehungszeit, kommt nicht allzu oft vor

von Christoph Driessen  18.04.2025

Kulturkolumne

Als Maulwurf gegen die Rechthaberitis

Von meinen Pessach-Oster-Vorsätzen

von Maria Ossowski  18.04.2025

Meinung

Der verklärte Blick der Deutschen auf Israel

Hierzulande blenden viele Israels Vielfalt und seine Probleme gezielt aus. Das zeigt nicht zuletzt die Kontroverse um die Rede Omri Boehms in Buchenwald

von Zeev Avrahami  18.04.2025

Ausstellung

Das pralle prosaische Leben

Wie Moishe Shagal aus Ljosna bei Witebsk zur Weltmarke Marc Chagall wurde. In Düsseldorf ist das grandiose Frühwerk des Jahrhundertkünstlers zu sehen

von Eugen El  17.04.2025

Sachsenhausen

Gedenken an NS-Zeit: Nachfahren als »Brücke zur Vergangenheit«

Zum Gedenken an die Befreiung des Lagers Sachsenhausen werden noch sechs Überlebende erwartet. Was das für die Erinnerungsarbeit der Zukunft bedeutet

 17.04.2025

Bericht zur Pressefreiheit

Jüdischer Journalisten-Verband kritisiert Reporter ohne Grenzen

Die Reporter ohne Grenzen hatten einen verengten Meinungskorridor bei der Nahost-Berichterstattung in Deutschland beklagt. Daran gibt es nun scharfe Kritik

 17.04.2025

Interview

»Die ganze Bandbreite«

Programmdirektorin Lea Wohl von Haselberg über das Jüdische Filmfestival Berlin Brandenburg und israelisches Kino nach dem 7. Oktober

von Nicole Dreyfus  16.04.2025