Hanns Eisler

»Karl Marx auf musikalischem Gebiet«

Vor 125 Jahren wurde der Komponist in Leipzig geboren – die Konversion seiner Mutter machte ihn als Dreijährigen zum Juden

von Gerhard Haase-Hindenberg  06.07.2023 08:41 Uhr

Hanns Eisler (1898–1962) Foto: ullstein bild - ullstein bild

Vor 125 Jahren wurde der Komponist in Leipzig geboren – die Konversion seiner Mutter machte ihn als Dreijährigen zum Juden

von Gerhard Haase-Hindenberg  06.07.2023 08:41 Uhr

Als Hanns Eisler am 6. Juli 1898 in Leipzig geboren wurde, hieß er noch Johannes und war nach den Bestimmungen der Halacha kein Jude. Zwar stand in der Geburtsurkunde seines Vaters, des österreichischen Philosophen Rudolf Eisler, dieser gehöre dem »mosaischen Glauben« an. Doch verstand er sich als Atheist. Die Mutter, Tochter eines Metzgergesellen, war evangelisch.

Letzteres änderte sich am 31. Dezember 1900, als Elfriede Eisler in Wien, wohin die Familie inzwischen umgezogen war, ihren Austritt aus der evangelischen Kirche erklärte. Am 26. August 1901 wurde ihre Konversion von der jüdischen Gemeinde bestätigt. An diesem Tag also wurde der kleine Johannes als Sohn einer nun jüdischen Mutter ebenfalls Jude, wie seine älteren Geschwister Ruth und Gerhard, die später kommunistische Politiker wurden, wenngleich in verfeindeten Richtungen.

jugendjahre Hanns, wie Eisler sich seit seinen Jugendjahren nannte, nahm im Gymnasium am jüdischen Religionsunterricht teil. Es ist nicht überliefert, ob er jemals eine Barmizwa hatte, wohl aber, dass er schon im Alter von 16 Jahren aus der jüdischen Gemeinde in Wien austrat. Vom sozialistisch eingestellten Vater geprägt, suchte Eisler schon früh Kontakt zu politisch linken Gruppierungen.

Hanns, wie Eisler sich seit seinen Jugendjahren nannte, nahm im Gymnasium am jüdischen Religionsunterricht teil.

Obwohl im »Sprechsaal Wiener Mittelschüler«, der ersten linken Organisation, der er angehörte, von 500 Mitgliedern 450 jüdisch waren, wird Eisler seine Herkunft öffentlich nie thematisieren. Manch einer seiner künstlerischen Mitstreiter wird überhaupt nur dann davon erfahren, wenn Eisler gelegentlich mit ironischem Unterton erwähnt, dass er väterlicherseits von Rabbi Löw, dem Erfinder der Golem-Legende, abstamme.

Bertolt Brecht hat die Jüdischkeit seines seit den frühen 30er-Jahren bevorzugten Komponisten lediglich einmal in seinem »Arbeitsjournal«, einer Art künstlerischem Tagebuch, erwähnt. Am 22. Oktober 1944 berichtet der Dramatiker von einem »gespräch mit einigen jüdischen linken« und zählt dabei neben Schönberg, Einstein, Freud, Eisenstein, Meyerhold und Döblin auch Eisler auf. In diesem Kreis aber legte kaum einer Wert darauf, als Jude wahrgenommen zu werden. Arnold Schönberg, Eislers wichtigster musikalischer Lehrer, und auch Alfred Döblin hatten sich gar taufen lassen. Die Nazis freilich beeindruckte das nicht. Im von der Reichsleitung der NSDAP in Auftrag gegebenen »Lexikon der Juden in der Musik« wurde Schönberg als Jude und Eisler als »Halbjude« geführt.

Der Historiker Isaac Deutscher hatte für säkulare Leute wie Eisler den Begriff des »nichtjüdischen Juden« geprägt, der »über das Judentum hinausgelangt«, gleichwohl aber »in jener jüdischen Tradition des modernen Denkens« stehe, wie er es bei Spinoza, Heine, Rosa Luxemburg, Trotzki und Freud sah. »Sie alle hielten das Judentum für zu beschränkt, zu archaisch und einengend. Sie alle suchten jenseits von ihm nach Idealen und Zielen, und sie sind der Inbegriff für viele der bedeutendsten Leistungen des neuzeitlichen Denkens …« Für Hanns Eisler und seine Geschwister waren diese Ziele bald identisch mit denen von Weltrevolution und Kommunismus.

OSCARNOMINIERT Das musikalische Werk des Hanns Eisler ist mannigfaltiger, als viele von denen ahnen, die seine Kampfgesänge wie etwa das »Einheitsfrontlied« singen und angesichts der Filmmusik für den Agitprop-Film Kuhle Wampe und der Bühnenmusik für das dramatische Werk des Bertolt Brecht leuchtende Augen bekommen. Zu Eislers künstlerischem Œuvre gehören zahlreiche kammermusikalische Kompositionen, auch Filmmusiken, die überwiegend im kalifornischen Exil entstanden. Mit dem Film Hangmen also die von Fritz Lang wurde eine Komposition Eislers sogar für den Oscar nominiert.

Mehr als 500 Lieder hat Eisler vertont, vom Arbeiterlied bis zum zwölftonigen Kunstlied.

Mehr als 500 Lieder hat Eisler vertont, vom Arbeiterlied bis zum zwölftonigen Kunstlied. In dem Bändchen In der Musik ist es anders haben die Geigerin Andrea F. Bohlmann und der Pianist Philip V. Bohlmann den sympathischen Versuch unternommen, Hanns Eisler über sein Gesamtwerk zu einem »Mitgestalter der jüdischen Geschichte des 20. Jahrhunderts« zu definieren. Eisler wurde darin dort verortet, wo er sich selbst nur selten sah: in einer Reihe mit prominenten jüdischen Persönlichkeiten.

Trotz der gelegentlichen Distanzierung von betonköpfigen Parteifunktionären (wie seinem Bruder Gerhard) hat Hanns Eisler seinen Platz immer in den Reihen der Kommunisten gesehen.

Und genau das bescherte ihm im Jahr 1947 eine Ladung vor das »Komitee für unamerikanische Umtriebe«. Der Ausschussvorsitzende begründete die Anklage damit, dass »Mr. Eisler der Karl Marx des Kommunismus auf musikalischem Gebiet« sei. Die Antwort des Komponisten: »Sie schmeicheln mir!«

Haushaltslage im Land Berlin

Topographie des Terrors befürchtet Einschränkungen

Stiftungsdirektorin Andrea Riedle sieht vor allem die Bildungsarbeit gefährdet

 26.12.2024

Rezension

Fortsetzung eines politischen Tagebuchs

In seinem neuen Buch setzt sich Saul Friedländer für die Zweistaatenlösung ein – eine Vision für die Zeit nach dem 7. Oktober ist allerdings nur wenig greifbar

von Till Schmidt  26.12.2024

Medien

Antisemitische Aggression belastet jüdische Journalisten

JJJ-Vorsitzender Lorenz Beckhardt fordert differenzierte und solidarische Berichterstattung über Jüdinnen und Juden

 26.12.2024

Rezension

Ich-Erzählerin mit böser Wunde

Warum Monika Marons schmaler Band »Die Katze« auch von Verbitterung zeugt

von Katrin Diehl  25.12.2024

Bräuche

»Hauptsache Pferd und Kuh«

Wladimir Kaminer über seine neue Sendung, skurrile Traditionen in Europa und das Drecksschweinfest in Sachsen-Anhalt

von Nicole Dreyfus  25.12.2024

Dessau

Was bleibt

Am Anhaltinischen Theater setzt Carolin Millner die Geschichte der Familie Cohn in Szene – das Stück wird Anfang Januar erneut gespielt

von Joachim Lange  25.12.2024

Kolumne

Aus der Schule des anarchischen Humors in Minsk

»Nackte Kanone« und »Kukly«: Was mich gegen die Vergötzung von Macht und Machthabern immunisierte

von Eugen El  24.12.2024

Rezension

Die Schönheit von David, Josef, Ruth und Esther

Ein Sammelband bietet Einblicke in die queere jüdische Subkultur im Kaiserreich und der Weimarer Republik

von Sabine Schereck  24.12.2024

Kultur

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 19. Dezember bis zum 2. Januar

 23.12.2024