Der Göttinger Politikwissenschaftler und Autor dieser Zeitung Samuel Salzborn gehört zu den Vielschreibern. Ein unkundiger Leser mag denken, dass hier möglicherweise immer wieder dasselbe Thema nur unter anderem Titel verkauft wird. Weit gefehlt. Salzborn ist ein sehr produktiver Forscher und Denker. Sein kürzlich neu erschienenes Buch zeugt von dieser Produktivität.
Kampf der Ideen ist ein Versuch, die Geschichte politischer Konzepte im großen Überblick darzustellen, eine, so Salzborn selbst, »methatheoretische Skizze zur Entstehung und Wechselwirkung politischer Ideen im internationalen Rahmen« zu erstellen. Der Autor räumt ein, dass er den Abriss lediglich als Debattenbeitrag versteht, da vermutlich kein einzelner Wissenschaftler, auch er nicht, in der Lage sei, alle politischen Ideen die es auf der Welt gibt oder gab, im großen Überblick zu resümieren.
Kontroverse Der faszinierende und überzeugende Zugang Salzborns zum Thema besteht darin, die Geschichte der wesentlichen politischen Ideen und Ideensysteme – wie Liberalismus, Konservatismus, Sozialismus, Anarchismus – als Kontroverse um das, wie er es sieht, »halbierte Versprechen der Aufklärung« zu skizzieren, als Kontroverse um die Ausgestaltung, Reform oder Zerstörung der westlichen Demokratie.
Das Buch zeichnet sich aus durch den geweiteten Blick auf die internationale politikwissenschaftliche Forschung und Debatte und seinen explizit nicht normativen Zugang zu ihr. Das »Politische«, so Salzborn, sei nicht definitorisch und auch nicht ein für alle Mal zu fassen. Die aufgeklärte Debatte über das Politische beginne mit einer Loslösung der Wissenschaft von der Theologie, mit einer »Entmoralisierung der Theorie« wie Salzborn formuliert, sonst werde sie notgedrungen zur Ideologie.
Dennoch formuliert der Politikwissenschaftler seinen Durchgang durch die Vielfalt politischer Ideen und ihren Streit miteinander nicht voraussetzungslos. Den wesentlichen Ausgangspunkt für eine »reflexive« oder »zweite« Moderne sieht Salzborn in der Frage, wie »alle Bestrebungen, die die NS-Barbarei wiederholen und plagiieren wollen, zu verhindern sind«. Der Autor richtet seinen Blick auch deshalb besonders kritisch auf solche politische Ideen, die – meist im Namen der Gleichheit – die westliche Demokratie abschaffen oder zerstören wollen.
Seitenhiebe Eines der wichtigsten Desiderate politischer Wissenschaft sieht Salzborn gerade in einer fehlenden Auseinandersetzung mit politischen Ideen und Ideensystemen, die hinter die Erkenntnisfortschritte der Aufklärung zurückfallen. Die verschiedenen Spielarten des Antisemitismus, Rassismus, Islamismus, Antiamerikanismus und Postkolonialismus werden deshalb ausführlich behandelt.
Auf ein Charakteristikum der Publikation ist besonders hinzuweisen. Sie schließt an die großen »linken« Werke der politischen Wissenschaft, insbesondere der Kritischen Theorie, an und beharrt auf ihren Hinweisen zum halbierten Versprechen der Aufklärung. Sie setzt sich aber in ihrer Darstellung von deren nicht selten auch vorhandenen zivilisationskritischen und antiaufklärerischen Tendenzen ab. Um es kurz zu sagen: Karl Marx, Lenin und die linke Theoriebildung der 60er- und 70er-Jahre, die an sozialistische Theoriedebatten der 20er-Jahre anschloss und sie fortführte, sind bei Salzborn nicht sakrosankt.
Diese knappe Darstellung ist auf rund 170 Seiten (ohne Literaturverzeichnis) randvoll mit neuen Gedanken, Ideen, Seitenhieben und unerwarteten Exkursen. Ein großer Wurf und ein Appell zur Verteidigung der westlichen Demokratien. Ein Ansinnen, das, bei einem kurzen Blick in die Zeitung, nur allzu geboten erscheint.
Samuel Salzborn: »Kampf der Ideen. Die Geschichte politischer Theorien im Kontext«. Nomos, Baden-Baden 2015. 201 S., 29 €