Für die einen ist sie ein Markenzeichen, für die anderen ein Problem: die Glatze. Wenn das Haar immer dünner wird und sich an bestimmten Stellen am Kopf lichte Stellen auftun, dann bekommen manche Männer die Krise. Denn gegen Geheimratsecken, kreisrunden Haarausfall oder den Totalverlust scheint es kein wirklich wirksames Mittel zu geben.
Viele der frei verkäuflichen Arzneimittel sind reine Abzocke oder haben unangenehme Folgen für die Libido. Einige stehen sogar im Verdacht, Prostatakrebs auszulösen. Und der jüngst von Forschern in Kalifornien entdeckte Ansatz, sich Haare einfach auszureißen, damit sogenannte Entzündungsproteine an den derart frei gerupften Stellen verstärktes Wachstum generieren, klingt eher schmerzhaft als zur Nachahmung verlockend.
»Ich habe bereits unzählige Pillen oder Tinkturen ausprobiert und dafür eine Menge Geld ausgegeben«, berichtet Oz Bodenheimer. »Aber geholfen hat es nichts«, sagt der 28-jährige Software-Entwickler aus Tel Aviv resigniert. »Jetzt habe ich die preiswerteste Lösung gefunden: einen elektrischen Rasierer, mit dem ich mir einfach eine Glatze rasiere.«
jünger »Da gibt es mittlerweile eine riesige Industrie mit Umsätzen in Milliardenhöhe, die eigentlich nur Müll herstellt«, lautet dazu das Urteil von Alex Ginzburg, einem Dermatologen und Spezialisten für Haartransplantationen in Raanana. »Gerade Männer haben ein Problem damit, wenn der Haarausfall einsetzt.« Es kratzt ordentlich an ihrem Selbstwertgefühl. Viele fühlen sich deswegen ganz plötzlich richtig alt. Rund 1,5 Milliarden Menschen weltweit sind davon betroffen. Aber: Bei Juden, vor allem solchen aschkenasischer Herkunft, verabschieden sich die Haare vergleichsweise häufiger als bei anderen und das immer öfter auch in jüngeren Jahren.
»Wir werden definitiv früher kahl als noch vor vielleicht zwei oder drei Jahrzehnten«, so Ginzburg. »Als ich selbst Anfang 20 war, zeigte keiner meiner Freunde die Tendenz zur Glatzenbildung. Heute beginnt der Haarausfall bereits bei zwei von drei israelischen Männern im Alter von unter 30 Jahren.« Über die Gründe wird munter spekuliert. Stress mag als Faktor eine Rolle spielen. Schließlich hat dieser negative Auswirkungen auf Herz und Psyche. Warum also nicht auch auf die Haare? So klagen Studenten vor schwierigen Prüfungen nicht selten über Haarausfall. Und neuere Forschungen an Mäusen haben ergeben, dass es Nervenbahnen gibt, die das Hirn mit den Haarfollikeln verbinden. Setzt man die Nager nun mit unangenehmen Geräuschen unter Stress, kommt es zur Ausschüttung entzündungsfördernder Substanzen, die das Haarwachstum beeinträchtigen oder gar stoppen. »Aber Stress gab es ja auch schon früher«, wiegelt der Experte ab. »Ich vermute eher einen Zusammenhang mit industriell verarbeiteter Nahrung. Beweisen kann ich es aber nicht.«
Nun hat eine Gruppe junger Wissenschaftler vom Technion in Haifa ein Verfahren entwickelt, das das Problem sprichwörtlich an den Wurzeln packt. »Unser Ansatz zielt auf die eigentlichen medizinischen Ursachen ab«, erklärt Alexey Tomsov. Denn der normale androgenetische Haarausfall ist eine erblich bedingte Empfindlichkeit der Haarfollikel gegen ein Derivat des Sexualhormons Dihydrotestosteron. Dieses ist wiederum für die sexuelle Reifung des Mannes während der Pubertät wichtig, ab einem bestimmten Alter aber lässt es die Kopfhaare rieseln.
genetik Tomsov und sein Team veränderten die Genstruktur eines Bacillus subtilis, einem auch auf der Kopfhaut weit verbreiteten Bakterium, das das Enzym 3alfa-Hydroxysteroid-Dehydrogenase absondert und das Dihydrotestosteron so in seine Schranken weist. Darüber hinaus manipulierten sie Darmbakterien vom weit verbreiteten Typ Escherichia coli, das stattdessen die enzymatischen Reaktionen übernehmen soll. »Desweiteren haben wir ein System entwickelt, das beide genetisch veränderten Bakterien kombiniert und über einen Spezialkamm, der mit einem 3D-Drucker hergestellt wird, auf die Kopfhaut bringt«, so Tomsov.
Mit ihrer Idee konnten sie sich vor wenigen Wochen auf dem prestigeträchtigen Biotech-Wettbewerb »iGEM 2015 Jamboree« in Boston gegen über 250 andere junge Forscherteams aus aller Welt durchsetzen und einen ersten Preis abräumen. Nun folgt der nächste Schritt: die Gründung eines Start-ups. Betreut werden sie dabei von ihrem Mentor, Roee Amit von der Fakultät für Bio- und Lebensmitteltechnologie des Technion.
»Wir behandeln das Problem mit dem Dihydrotestosteron ganz lokal und nicht mittels eines Arzneimittels, das erst einmal vom ganzen Körper absorbiert werden muss, bevor es seine Wirkung erzielen kann«, bringt es Tomsov auf den Punkt. »Dabei machen wir uns die Mikroflora auf der Kopfhaut zunutze.«
Nebenwirkungen wie bei anderen Medikamenten gibt es keine. Genau deshalb rechnen sich die Jungwissenschaftler aus Haifa auch gute Marktchancen für ihre Erfindung aus. »Natürlich können wir keine Haarpracht auf eine Glatze zaubern.« Vielmehr richtet sich der Wirkstoff an Männer mit beginnenden Haarproblemen. »So wie für mich selbst«, sagt Tomsov lachend. »Mein Vater ist bereits kahl, und mein eigenes Haar wird zunehmend dünner. So kam ich überhaupt erst auf die Idee für das Projekt.«