SCHWEDEN Peggy Parnass, die nach eigenen Angaben am 11. Oktober 92 Jahre alt wird, überlebte und widmete ihr Leben fortan dem Kampf gegen Ungerechtigkeit, Intoleranz und das Vergessen. Laut Munzinger wurde Parnass am 11. Oktober 1934 geboren.
Noch heute fällt es ihr schwer, zum Bahnhof zu gehen - zu schmerzhaft sind die Erinnerungen.
Mit einem der letzten Kindertransporte wird Peggy 1939 zusammen mit ihrem vierjährigen Bruder Gady nach Schweden verschickt - der Abschied von ihrer Mutter am Hamburger Hauptbahnhof hat sich für immer in ihrem Gedächtnis eingebrannt - noch heute fällt es ihr schwer, zum Bahnhof zu gehen - zu schmerzhaft sind die Erinnerungen.
LINKE In Schweden durchlebt Peggy Parnass, die alle nur Peggy nennen und die alle Menschen duzt, ein Martyrium: getrennt von ihrem geliebten Bruder Gady wächst sie in vielen verschiedenen Pflegefamilien auf. Kurz vor Kriegsende kommen beide zu ihrem Onkel nach London.
Später studiert sie in Stockholm, London und Paris - und kehrt doch wieder nach Hamburg zurück, »weil ich hier lauter dufte Leute getroffen habe, alles Linke, Antifaschisten und Widerstandskämpfer«. Mit dem Schriftsteller Peter Rühmkorf, »Konkret«-Gründer Klaus Rainer Röhl und Dick Busse lebt sie zusammen, sie gründen eine Studentenbühne und machen politisches Kabarett.
Peggy Parnass engagiert sich politisch, ist in zahlreichen Protestbewegungen aktiv, »weil es der Selbstrespekt verlangt, den Versuch zu machen, etwas zu bewegen«. Viele Jahre lang schreibt sie Kolumnen und Gerichtsreportagen für die linke Zeitschrift »Konkret«, in denen sie sich als genau beobachtende Moralistin erweist.
NS-PROZESSE Ihr Buch Prozesse 1970-1978 wird 1980 mit dem Fritz-Bauer-Preis der Humanistischen Union ausgezeichnet. »Eigentlich wollte ich über NS-Prozesse schreiben. Aber von den mehr als 500 Prozessen, über die ich berichtet habe, waren nur drei NS-Prozesse«, erzählt sie. Es folgen autobiografisch geprägte Anthologien (Unter die Haut etwa oder Süchtig nach Leben).
»Der Rechtsruck in ganz Europa macht mir Angst«, sagt Parnass.
Noch heute nimmt die zierliche Frau mit den roten Haaren an Demonstrationen teil, fährt dann aber meistens auf dem Wagen, weil ihr das Gehen langsam schwer fällt. »Der Rechtsruck in ganz Europa macht mir Angst«, sagt sie, »in Deutschland kann man noch gut leben«.
Ein Projekt, das ihr besonders am Herzen liegt, sind die Stolpersteine des Künstlers Gunter Demnig, die vor vielen Häusern an die ehemaligen jüdischen Bewohner erinnern - auch an ihre Eltern in der Methfesselstraße 13 im Stadtteil Eimsbüttel. Deshalb war sie entsetzt, als vor wenigen Wochen der Stolperstein, der an ihre Tante Renata Rahel Drehmel erinnert, zerstört wurde. »Schrecklich ist das, ganz schrecklich. Dass man Tote noch mal umbringt.«