David Grossman wird immer wieder für seine Gabe gerühmt, sich in andere Menschen hineinversetzen zu können. »Ich empfinde das Schreiben als feines, unbeschwertes Schweben um die Achse der Fantasie«, sagte unlängst der Schriftsteller, der am heutigen Freitag seinen 65. Geburtstag feiert. »Es trägt mich vom Kind, das ich einmal war, zum Greis, der ich einmal sein werde. Vom Israeli, der ich bin, zum Palästinenser, der ich hätte sein können, wäre ich nur 500 Meter weiter östlich geboren.«
Grossmans Bücher behandeln oft Themen, die seiner Biografie entspringen. In Eine Frau flieht vor einer Nachricht (2009) beschreibt Grossman die Angst einer Mutter um ihren Sohn beim Militär. Sie bricht zu einer Reise auf in dem irrationalen Glauben, sie könnte durch die Flucht vor der schlimmen Nachricht den Tod selbst verhindern.
Oft kritisiert er die israelische Politik und setzt sich für einen Frieden mit den Palästinensern ein.
VERLUST Grossmans Sohn Uri wurde im Sommer 2006 im Libanonkrieg getötet, zwei Tage vor dem Ende der Kämpfe. Kurz zuvor hatte der Autor zusammen mit anderen eindringlich zu einem Stopp des gegenseitigen Beschusses aufgerufen. 2013 erschien wiederum sein Buch Aus der Zeit fallen, in dem es um die Trauer um enge Angehörige geht.
»Ich kann über dieses Buch nur sagen, dass es für mich der Weg war, kein passives Opfer zu sein, paralysiert von der absoluten Willkür des Todes und der Trauer«, schrieb Grossman im Februar 2018 in einem Beitrag auf der Nachrichtenseite »ynet«. Er hatte diesen als Kandidat des Israel-Preises verfasst, den er kurz darauf auch erhielt. Der Preis ist die höchste Auszeichnung des Staates Israel.
In seinem 2016 auf Deutsch erschienenen Roman Kommt ein Pferd in die Bar erzählt Grossman die Geschichte eines Comedian, der in seiner letzten Vorstellung in einer israelischen Kleinstadt eine tragische Geschichte aus seiner Jugend preisgibt. Dabei spielen die Traumatisierungen der eigenen Eltern durch Vertreibung und den Holocaust eine entscheidende Rolle.
Sein Vater war 1936 aus Polen nach Palästina gekommen, seine Mutter wurde dort geboren.
MAN-BOOKER-PREIS Grossman erhielt gemeinsam mit der US-amerikanischen Übersetzerin Jessica Cohen für den Roman 2017 den renommierten Man-Booker-Preis. »Wir waren überwältigt von Grossmans Bereitschaft, sowohl emotionale als auch stilistische Risiken einzugehen«, erklärte die Jury damals. Es handele sich um eine schockierende und atemberaubende Lektüre.
Grossman wurde 1954 in Jerusalem geboren. Sein Vater war 1936 aus Polen nach Palästina gekommen, seine Mutter wurde in Palästina geboren. Schon mit zehn Jahren wurde Grossman als Hörspielsprecher engagiert.
Später studierte er an der Hebräischen Universität Philosophie und Theater. Danach arbeitete er beim israelischen Hörfunk. Berühmt wurde er mit seinem Roman Stichwort: Liebe (1986). Grossman bekam mit seiner Ehefrau Michal drei Kinder und ist inzwischen auch Großvater. In Israel sind auch seine Kinderbücher sehr beliebt.
Grossmans Sohn Uri wurde im Sommer 2006 im Libanonkrieg getötet, zwei Tage vor dem Ende der Kämpfe.
TOLERANZ Der Autor ist politisch sehr engagiert. Oft kritisiert er die politischen Entwicklungen in seinem Land und setzt sich für einen Frieden mit den Palästinensern ein. »Das Wesen der Toleranz liegt in der Bereitschaft, den Text der Realität – die einundfünfzigjährige Besetzung palästinensischer Gebiete durch Israel – nicht nur aus der eigenen nationalen Perspektive zu betrachten, sondern gleichfalls aus der Perspektive des Gegenspielers«, sagte Grossman im November in Berlin, als er den Preis für Verständigung und Toleranz des Jüdischen Museums erhielt.
Es gehe darum, auch einmal die Position der anderen Seite einzunehmen, auch das Leid des anderen nachzuempfinden. »Einer solchen Sicht könnten Verständnis und Toleranz entwachsen, vielleicht sogar die Akzeptanz der Andersartigkeit des anderen.«
Außenminister Heiko Maas (SPD) lobte Grossman in Berlin für seine klare Kritik an Problemen im eigenen Land: »Dabei scheuen Sie keine Auseinandersetzung und gehen mit Ihrer Heimat, mit der israelischen Politik und Gesellschaft teilweise hart ins Gericht.«
ISRAEL In einem Beitrag für die israelische Zeitung »Haaretz« etwa verurteilte Grossman im Sommer das Nationalstaatsgesetz als rassistisch. »Sie wollen, dass die arabischen Bürger in Israel mit einem gewissen und fortwährenden Gefühl der existenziellen Unsicherheit leben«, kritisierte er die Regierung. »Einer Unsicherheit über ihre Zukunft. Dass sie sich ständig daran erinnern, jeden einzelnen Moment, dass sie vom guten – oder bösen – Willen der Regierung abhängen.«
Am Freitag wird der israelische Bestsellerautor und Friedensaktivist 65 Jahre alt.