Kann man das Judentum ausstellen? Frankfurt/Main hat es 1961 mit der Schau Synagoga versucht, Köln 1963 mit Monumenta Judaica, Berlin bemühte sich 1992 Jüdische Lebenswelten anschaulich werden zu lassen. Stets war es eine zwiespältige Erfahrung. Denn was für das Judentum als Religion wesentlich ist, kann man nicht zeigen. Ausstellen lassen sich die heiligen Bücher, das Ritualgerät, Bilder des Gottesdienstes und des häuslichen Brauchs. Doch das sind nur Spuren, Spiegelungen des Glaubens.
Hinzu kommt, dass das Judentum sich nicht in monumentalen Objekten manifestiert, die, wie etwa barocke Kirchen, den Betrachter mit Prunk und Größe zu überwältigen trachten. Heinrich Heine hat die Tora einmal »das tragbare Vaterland des jüdischen Volkes« genannt. Dabei dachte er an ein Schicksal, das durch die Jahrhunderte Verfolgung und Vertreibung hieß. Deshalb sind auch die Zeugnisse jüdischer religiöser Kunst oft »tragbar«, klein und leicht genug, dass sie notfalls im Fluchtgepäck verstaut werden könnten.
Trotzdem gibt es immer wieder Ausstellungen, die sich an die – eigentlich paradoxe – Aufgabe wagen, das Volk des Buches und seinen Glauben in Bilder und Objekte zu fassen. So jetzt auch in der Nieuwe Kerk in Amsterdam, wo bis zum 15. April die Ausstellung Jodendom – Een boek vol verhalen (Das Judentum – Ein Buch/eine Welt voller Geschichten) mit rund einem halben Tausend Exponaten ausgebreitet wird.
bücher Dabei kommt der Ort – obwohl eine Kirche und das Judentum kaum vereinbar scheinen – der Sache entgegen. Der säkularisierte sakrale Raum aus dem 16. Jahrhundert mit Chor, Chorumgang, Seitenkapellen und der Kanzel in der Halle, erleichtert die Gliederung der Schau. Die Höhe des Kirchenschiffs nutzen riesige Banner mit Zitaten aus Tanach und Talmud in den unterschiedlichsten Sprachen und Schriften. Sie begleiten den Rundgang, der im Chorumgang mit Zeugnissen der dreitausendjährigen Geschichte und Artefakten des Alltags beginnt, um sich dann in der Halle den Festen des Lebens – Geburt, Bar Mizwa, Hochzeit, Tod – sowie den Festen des Jahres zuzuwenden.
Den Kern aber bildet der Chor. Hier liegen die Bücher in all ihrer Vielfalt, von heiligen und belehrenden Schriften bis zu moralischen Traktaten und populären Drucken. Darunter ist eine Esther-Rolle aus Österreich von 1746, in klarer Fraktur gesetzt und mit Figuren und Randzeichnungen geschmückt, in denen Ahasver, Esther, Mordechai und Haman als barocke Fürsten erscheinen.
Zu sehen sind daneben mal Codices, die nur den reinen Text enthalten, dann illuminierte Handschriften, die das zweite Gebot farbenfroh und mit Fantasie auslegen, indem Ornamente mit Pflanzen und Tieren und gelegentlich auch biblischen Gestalten die Seiten zieren. Darunter ist auch ein Sefer Kad ha-Kemach, 1515 in Konstantinopel auf Papier geschrieben, mit Streichungen eines christlichen Zensors, weil Zeilen dieses Textes sich angeblich gegen die christlichen Wahrheiten richteten.
altertümer Das große Rechteck der Büchervitrinen umgibt eine Zelle mit den Prunkstücken der Ausstellung. Zu ihnen zählt eine der ältesten erhaltenen Torarollen, die Erfurter Tora aus dem 13. Jahrhundert, heute im Besitz der Staatsbibliothek Berlin. Zu sehen sind auch drei Fragmente der Schriftrollen vom Toten Meer. Münzen mit hebräischen Inschriften aus der Zeit der Zerstörung des zweiten Tempels, der Reliefstein einer Synagoge aus Priene mit einer Menora über zwei Torarollen oder der Boden eines goldverzierten Glases mit Menora, Toraschrein und zwei Löwen aus dem 3./4. Jahrhundert erzählen von der fortdauernden Kraft der jüdischen Symbole.
Sie ermöglichen auch Besuchern, denen der Glaube und das vom Glauben geprägte Leben der Juden fremd ist, den Zugang zu einer Religion, aus der Christentum wie Islam ihre eigene Vision der Schöpfung ableiten – auch wenn sie diese Wurzeln bis heute nur widerwillig eingestehen. Typisch ist dafür die christliche Ikonografie, die der personifizierten Ecclesia eine Synagoga mit verbundenen Augen gegenüberstellt. In einem Siddur um 1300 wird dieses Bild ironisch umgekehrt. Synagoga mit dem charakteristischen Judenhut reicht da der unwissenden Ecclesia, bekrönt zwar, aber mit verbundenen Augen, die Hand.
toravorhänge Zu der »Welt voller Geschichten«, die die Ausstellung verspricht, gehört eine Vitrine mit Torazeigern. Zwischen vielen kunstvollen silbernen Stäben liegt dort der hölzerne Zeiger einer ostjüdischen Gemeinde, die sich den Luxus des edlen Metalls nicht leisten konnte. Auch eine Auswahl von Toramänteln und -vorhängen reicht von einfach bis opulent bestickt.
So ist ein Toravorhang zu sehen, für den Wilhelmine von Preußen, Nichte Friedrichs des Großen und Frau des Statthalters der Niederlande, Wilhelm V. von Oranien, eines ihrer Kleider stiftete. Zu den textilen Zeugen der Vergangenheit gehört aber auch ein gelber Stoffballen mit Sternen, die die Juden in den Niederlanden nach der deutschen Besatzung 1941 für vier Cent kaufen und sichtbar tragen mussten.
Nachbildungen von Synagogen deuten an, dass es keinen architektonischen Kanon für diese Bauten gab und gibt – wenngleich Gerhard Schott im späten 17. Jahrhundert mit seinem großen Holzmodell des Tempels dem Urbild nahegekommen zu sein hoffte. Es steht hier neben einer Miniatur der Prager Alt-Neu-Schul, der ältesten erhaltenen Synagoge Europas und dem von Torarollen inspirierte Bau, den Mario Botta 1997/98 für den Campus der Universität Tel Aviv errichtete.
Vom Selbstbewusstsein der sefardischen Gemeinde in Amsterdam zeugt die Nachbildung der Portugiesischen Synagoge von 1675, deren Original eben erst, nach langer Restaurierung, am Vorabend von Chanukka in Anwesenheit der niederländischen Königin wiedereröffnet wurde.
Bilder Bilderreich ist die Schau nicht, obwohl Gemälde von Moritz Oppenheim, des ersten jüdischen Malers, den eine Akademie aufnahm, die Festtage dokumentieren und zwölf Tafeln aus dem Sitzungssaal der Prager Chewra Kaddischa Tod und Bestattung schildern.
Nicht um ein Abbild, sondern um ein Bild des Jüdischen geht es dem Moskauer Maler Grischa Bruskin, der seit 1989 in New York lebt. In einer Seitenkapelle hängen, wie in einem Meditationsraum, die 20 Tapisserien seines Alefbet, ein 2,80 mal 10,50 Meter großer Reigen von 160 Figuren, die, umgeben von fiktiven Schriftzeichen, auf die mystische Welt der Kabbala und des Chassidismus verweisen.
Amsterdamer bietet keine Blockbuster-Ausstellung. Dafür eignet sich das Thema Judentum auch nicht. Aber die Schau ermöglicht den Besuchern, die dazu bereit sind und Zeit sowie Geduld mitbringen, teilzuhaben an dem, was Heine – um ihn nochmals zu zitieren – »eine Zivilisation des Herzens durch eine ununterbrochene Tradition von zwei Jahrtausenden« nannte.
»Jodendom – Een boek vol verhalen«, Nieuwe Kerk, Amsterdam, bis 15. April
www.nieuwekerk.nl