Sprachgeschichte(n)

Jüdeln mit Goethe

Besuch in der Judengasse: der junge Goethe Foto: c. h. beck

Um 1750 standen in der Frankfurter Judengasse etwa 350 Häuser. Den Menschen, die in diesem Ghetto lebten, attestierte ihr Mitbürger Johann Wolfgang Goethe in seiner Autobiografie Dichtung und Wahrheit den »Akzent einer unerfreulichen Sprache«, die »verdorben«, »verzerrt« und »barock«, sprich, überladen, verschroben und seltsam sei. »Judensprache hat etwas Pathetisches«, fügte der deutsche Dichterfürst später hinzu.

purimspiel Dabei hatte Goethe in seiner Jugend großes Interesse an dem »unerfreulichen« Idiom gezeigt. Für die Hochzeit seines Onkels Johann Jost Textor 1766 dichtete der damals 17-Jährige ein mythologisches jüdisch-deutsches Lied. Die Inspiration dazu stammte möglicherweise aus einem Buch in der väterlichen Bibliothek, den Jüdischen Merckwürdigkeiten des Lutheraners Johann Jacob Schudt. Darin fand sich – so Walter A. Berendsohn, der 1921 Goethes Knabendichtung untersuchte, auch ein jüdisch-deutsches Purimspiel mit dem Titel Mechirus Joseph, »rechts in hebräischen Lettern, links in Hoch-Teutscher Übersetzung«.

Der junge Goethe nahm sogar Unterricht in der Ghettosprache, wie der Gießener Franz J. Beranek erforschte: »Wie aus seinem lateinisch geführten ›Liber domesticus‹ hervorgeht, zahlte Goethes Vater am 6. Juli 1761 für Wolfgangs Belehrung im Jüdisch-Deutschen 1 Gulden 30 Kreuzer an einen gewissen ›Christiamicus‹«.

Der Jungdichter setzte das Erlernte literarisch um. Zuerst 1762 in einem Romanentwurf, in dem sieben Geschwister polyglott korrespondierten. Die deutschen, lateinischen, griechischen, englischen, italienischen und französischen Texte waren lesbar, doch »der Jüngste, eine Art von naseweisem Nestquackelchen, hatte sich aufs Judendeutsch gelegt und brachte durch seine schrecklichen Chiffren«, die er dabei verwendete, »die übrigen in Verzweiflung und die Eltern über den guten Einfall zum Lachen«.

»Judenpredigt« Goethes Jüdischdeutsch taucht auch in seiner posthum 1856 veröffentlichten kuriosen »Judenpredigt« auf. Sie basiert auf einer eschatologischen Legende, wonach in 300.000 Jahren der Messias mit einem Schimmel über das Rote Meer kommen und durch Posaunenklang alle Juden versammeln werde: »Do werd äh groser Mann, mit Stiefle und Spore gradaus, sporenstrechs gegange komme übers grose grause rothe Meer, und werd in der Hand habe äh Horn, und was denn ver äh Horn? äh Düt-Horn.« Echtes Judendeutsch ist das allerdings nicht, sondern, so der Jiddist Beranek, bestenfalls ein gejüdeltes Frankfur terisch, »im Ausdruck so unkorrekt, dass man selbst die geringe Summe, die Papa Goethe für die Unterweisung ausgab, als hinausgeworfenes Geld betrachten muss«.

Christoph Gutknecht ist Autor des Buchs »Lauter böhmische Dörfer: Wie die Wörter zu ihrer Bedeutung kamen« (C. H. Beck 2009).

Bochum

Ausstellung von »Guernica-Gaza« abgesagt

Der Bilderzyklus von Mohammed Al-Hawajri ist wegen Antisemitismusvorwürfen umstritten

 07.09.2024

Speyer/Mainz/Worms

SchUM-Städte laden zu jüdischen Kulturtagen ein

Vorträge, Konzerte, Filme, Ausstellungen und Diskussionen stehen auf dem Programm

 06.09.2024

Literatur

Immer voller Zweifel

Lena Goreliks Poetik-Vorlesung in Hannover liegt nun auch als Buch vor – ihre Einblicke wirken nicht akademisch, sondern lebensklug

von Alexander Kluy  05.09.2024

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Katrin Richter  05.09.2024

Milch

Land der Superkühe

Hightech, Kraftfutter und dreimal Melken am Tag: Israels Rinder gehören zu den produktivsten der Welt. Das hat seinen Preis

von Ralf Balke  04.09.2024

Aufgegabelt

Melonen-Gurke-Eis

Rezepte und Leckeres

 04.09.2024

Filmfest

Von Adrien Brody bis Leni Riefenstahl

In Venedig feierten »The Brutalist« über einen jüdischen Architekten, eine Doku zur NS-Propagandistin und das Olympia-Attentats-Drama »September 5« Premiere

von Jens Balkenborg  04.09.2024

7. Oktober

Die gestohlenen Kinder

Unsere Redakteurin beschreibt, was die Ermordung der sechs Geiseln am vergangenen Wochenende bei ihr - und wahrscheinlich allen Eltern - auslöst

von Nicole Dreyfus  04.09.2024

Geheimnisse und Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Katrin Richter  04.09.2024