Philologie

»Judith und Salome sind sehr präsent«

Frau Ludewig, was ist die Grundidee zu Ihrer Studie?
In meinem Buch untersuche ich jüdische Weiblichkeit, insbesondere als Paradigma männlicher (nichtjüdischer, aber auch jüdischer) Autorschaft. Daher habe ich »Jüdinnen« im Titel in Anführungszeichen gesetzt, es handelt sich um literarische Figurationen, um Bilder, Projektionen und diskursive Verhandlungen.

Welche Figurationen jüdischer Weiblichkeit konnten Sie ausfinden machen?
Ohne Anspruch auf Vollständigkeit widme ich mich folgenden Figurationen: »Orientalin« und Femme fatale im Fin de Siècle, jüdische Frauen in der (kultur)zionistischen Literatur, Figurationen der »ewigen Jüdin« (Ahasvera), unter anderem in der antisemitischen und rassistischen Literatur, Kontinuitäten jüdischer Weiblichkeitsentwürfe nach der Schoa oder israelische Frauenfiguren in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Zudem untersuche ich auch die Position einiger Autorinnen wie Else Lasker-Schüler, deren diverse Bilder jüdischer Weiblichkeit im zeitgenössischen kulturzionistischen Diskurs jedoch marginalisiert wurden.

Ihr Buch beginnt mit der Rezeption biblischer Frauenfiguren.
Insbesondere Judith und Salome sind in der europäischen Literatur und Kunst des Fin de Siècle sehr präsent. Die beiden Frauenfiguren sind jüdisch konnotiert, obwohl sie nicht der Hebräischen Bibel entstammen, und sie transportieren eine Mischung aus Erotik und Gefahr. Beide Frauen posieren mit dem abgeschlagenen Haupt eines Mannes: Judith mit dem des Holofernes, Salome mit dem des Johannes. Beeinflusst wurde diese Ikonografie auch durch Oscar Wildes Drama »Salomé« (1893), das von der jüdischen Autorin Hedwig Lachmann ins Deutsche übertragen wurde.

Das Salome-Bild auf dem Cover Ihres Buches ist also eher ungewöhnlich?
Das stimmt, es zeigt keine Enthauptung. Interessant an diesem 1925 von Wilhelm Ebbinghaus geschaffenen Bild ist aber die klar jüdische Konnotation: Im Hintergrund erkennen wir eine Menora. Auch ohne Kenntnis des Bildtitels sehen wir also eine verführerische, orientalisierte jüdische Femme-fatale-Figur. In damaligen Zeitschriften wurde das Bild des Gebrauchsgrafikers als »für Schlafzimmer geeignet« angepriesen.

Ein Bild ist natürlich für Schlafzimmer besser geeignet, wenn keine Enthauptung stattfindet …
Ja (lacht), das würde ich auch sagen, vor allen Dingen, weil Ebbinghausʼ Zeitgenosse Sigmund Freud in seiner Traumdeutung Kastration und Enthauptung miteinander in Verbindung bringt …

Eine der Kontinuitäten, die Ihr Buch bis fast in die Gegenwart aufspürt, liegt im Bild der erotisierten schönen Jüdin.
Ein aussagekräftiges Beispiel ist Bernhard Schlinks Erzählung »Die Beschneidung« (2000). Hier heißt die Jüdin Sarah, ist Amerikanerin und mit einem deutschen Studenten namens Andi liiert. Allein ihre Präsenz und die Opfergeschichte ihrer Familie lösen in Andi solche Schuldgefühle aus, dass er sich immer verunsicherter fühlt und sich schließlich sogar beschneiden lässt. Darin sehe ich eine starke Parallele zu den Judith- und Salome-Geschichten um 1900, nur dass Schlinks Jüdin nicht mehr den Kopf, sondern nur die Vorhaut fordert. Die Jüdin beschneidet den Protagonisten jedoch auf ganz verschiedenen Ebenen: in seinem »Deutschsein« und in seiner männlichen Identität. Sarah ist eine Femme-fatale-Figur, die durch die Schoa eine neue Dimension bekommt und in Schlinks Geschichte eine perfide antisemitische Konnotation entfaltet.

Im Kapitel »Kontinuitäten« analysieren Sie auch einen Roman der DDR-Autorin Hedda Zinner, deren Werk in Westdeutschland wenig bekannt war.
Hedda Zinner, geboren 1905, war in der DDR eine wichtige Autorin und Intellektuelle. Aus einer jüdischen Familie stammend, hat sie sich selbst primär als Kommunistin gesehen. In ihrem späten Roman »Arrangement mit dem Tod« (1984) setzt sie sich erstmals literarisch mit dem Judentum auseinander. Ins Zentrum der Handlung rückt sie eine nichtjüdische Schauspielerin, die sich während der NS-Zeit aus Liebe zu einem Juden eine jüdische Identität aneignet. Ihre Wandlung soll rassische Stereotype infrage stellen, reproduziert sie aber zugleich: Aus Maria Rheine wird Manja Löwenthal, indem sie sich die Haare schwarz färbt und mit einem künstlichen osteuropäischen Akzent spricht. Interessant ist hingegen, dass Zinner hier die Geschichte des Jüdischen Kulturbundes erstmals literarisch erzählt. Und auch als Versuchsanordnung ist der Roman spannend: Was hätte es geheißen, sich in der NS-Zeit zur Jüdin zu verwandeln, sich also nicht – wie es immer wieder geschieht – nachträglich eine Opfergeschichte anzumaßen?

Zinners Roman wurde noch zu DDR-Zeiten verfilmt.
Der Roman und seine Verfilmung unter dem Titel »Die Schauspielerin« (Regie: Siegfried Kühn, 1988) sind ein interessanter Beitrag zur Rezeption jüdischer Geschichte in der DDR-Literatur und im DDR-Film. Denn in der Protagonistin Maria/Manja verschränken Roman und Verfilmung das Narrativ des antifaschistischen Widerstandes und der jüdischen Verfolgungsgeschichte miteinander. Sie sind ein weiteres, sehr spannendes Beispiel dafür, wie sich in der Figur der »Jüdin« verschiedene Figurationen von Weiblichkeit überlagern und wie sich hierbei verschiedene Medien wie Literatur, Theater und Film wechselseitig beeinflussen.

Mit der Literaturwissenschaftlerin sprach Eva Lezzi. Anna-Dorothea Ludewig: »Jüdinnen – Literarische Weiblichkeitsentwürfe im 20. Jahrhundert«. De Gruyter, Berlin/Boston 2022, 280 S. www.degruyter.com/document/doi/10.1515/9783110778953/html

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