Staatsrecht

»Juden ist der Zugang zum Land weiterhin untersagt«

Aufgeklärt? Norwegens Nationalfeiertag am 17. Mai Foto: dpa

Die Niederlage Napoleons in der Leipziger Völkerschlacht 1813 änderte die Landkarte Nordeuropas. Schweden hatte 1808 mit dem Verlust von Finnland dafür büßen müssen, dass es sich mit Napoleon verbündet hatte. Nachdem das Land rechtzeitig die Seiten gewechselt hatte, verlangte es nach Kompensation und warf ein Auge auf das mit Dänemark verbundene Norwegen. Da Dänemark zu lange am Bündnis mit Napoleon festgehalten hatte, unterstützte Großbritannien Schwedens Forderung. Beide Mächte zwangen Dänemark im Januar 1814, Norwegen abzutreten. Der dänische Vizekönig wollte das nicht hinnehmen und suchte die Unterstützung norwegischer Honoratioren. Die wiederum trotzten ihm die Einberufung einer verfassungsgebenden Versammlung ab.

So traten schließlich im Ort Eidsvoll Honoratioren aus dem ganzen Land zusammen, um Norwegens Grundgesetz auszuarbeiten. Es wurde am 17. Mai, dem heutigen norwegischen Nationalfeiertag, proklamiert. Die Unabhängigkeit des Landes sicherten sie damit jedoch nicht. Die schwedische Armee überrannte das Land, doch erkannte König Karl die Verfassung an und gewährte Norwegen innere Autonomie.

Das neue Grundgesetz basierte auf dem Prinzip der Gewaltenteilung, gewährte fast der Hälfte der Männer das Wahlrecht, schaffte Erbprivilegien ab und garantierte Presse- und Gewerbefreiheit. Dies alles spräche dafür, die Verfassung von Eidsvoll als liberalen Lichtblick in einer Zeit zu feiern, in der die Reaktion in fast ganz Europa die Errungenschaften der Französischen Revolution kassierte. Wäre da nicht Paragraf 2: »Die evangelisch-lutherische Religion bleibt die öffentliche Religion des Staates. Die Einwohner, die sich zu ihr bekennen, sind verpflichtet, ihre Kinder in dieser zu erziehen. Jesuiten und Mönchsorden sind nicht zu dulden. Juden ist der Zugang zum Land weiterhin untersagt.«

Schandfleck Schon bald galt der antisemitische Passus führenden Intellektuellen des Landes als Schandfleck. Der Dichter Henrik Wergeland (1808–1845) startete eine Kampagne für dessen Abschaffung. Doch es gelang ihm weder 1839 noch 1841, die zur Streichung des Paragrafen notwendige Zweidrittelmehrheit im Parlament zu mobilisieren, weil Teile von Bauern- und Kaufmannschaft sich heftig widersetzten. Sie kam erst sechs Jahre nach seinem Tod zustande. Der Widerstand von Bauern und Kaufleuten gegen die Verfassungsänderung verleitete norwegische Historiker dazu, den »Judenparagrafen« als peinliches Relikt voraufklärerischen Denkens in einem sonst fortschrittlichen Dokument wegzuerklären.

Diese Auffassung hat nun der Ideengeschichtler Hakon Harket mit seiner Festrede zum 200. Jahrestag der Verfassung als Lebenslüge entlarvt. Seine Studien der Tagungsprotokolle haben ergeben, dass nicht konservative Bauern oder protektionistische Kaufleute darauf gedrängt hatten, Juden aus Norwegen auszuschließen, sondern gerade aufgeklärte Intellektuelle, allen voran die hochgeschätzten »Verfassungsväter« Christian Magnus Falsen und Henrik Wegelands Vater Nicolai.

Harkets Vortrag basiert auf seinem zeitgleich publizierten Buch Paragrafen: Eidsvoll 1814 über den geistigen Hintergrund der Verfassungsväter. Dort legt er dar, dass ihre Judenfeindschaft gerade der Prägung durch die Aufklärung entsprang. Wie für Angehörige der dänisch-norwegischen intellektuellen Elite ihrer Zeit üblich, orientierten sie sich am deutschen Geistesleben. Schon der Historiker Leon Poliakov hat gezeigt, dass viele Aufklärer alles andere als judenfreundlich waren. Voltaire hatte die Juden für alle Übel des Monotheismus verantwortlich gemacht, Kant sprach ihnen wegen des Religionsgesetzes die Fähigkeit zu individuellem moralischen Handeln ab.

Gesetz Die Ideen, die für die Judenfeindschaft der Verfassungsväter maßgeblich wurden, stammen jedoch von zwei Autoren, die heute nur mehr in Fachkreisen ein Begriff sind. Der Göttinger Theologe und Orientalist Johann David Michaelis, bekannt als Begründer der historisch-kritischen Methode, verfocht die Idee, ihr Gesetz verpflichte die Juden dazu, sich von anderen Völkern abzugrenzen. Daher könnten sie mit einem anderen Volk nicht gedeihlich zusammenleben, wenn man ihnen das Bürgerrecht gewährte.

Noch wichtiger war der Einfluss des Juristen Friedrich Buchholz (1768–1845), kein Nationalist oder Mann der Reaktion, sondern ein Religionskritiker und Napoleonverehrer, der sogar das preußische Emanzipationsedikt von 1812 mitformuliert hatte. Als dessen Ziel betrachtete er jedoch die völlige Assimilation. Buchholz warf den Juden vor, sich abzusondern und durch ihre Stellung im Handel die ökonomische Herrschaft über andere Völker zu etablieren.

machtstreben Ihr Machtstreben führe unausweichlich zum Konflikt, ihre Religion diene allein dazu, ihren Zusammenhalt zu fördern, während sie zugleich ihre Entwicklung zu freien moralischen Individuen verhindere. Da Buchholz die Juden als ein Volk beschreibt, das sich auf der Grundlage eines wirtschaftlichen Interesses konstituiert, ist aus seiner Sicht egal, ob ein Jude sich zum jüdischen Glauben bekenne oder nicht. Sein Nationalcharakter bestimme sein Verhalten, solange er sich nicht vollständig assimiliere.

Harket hebt hervor, dass diese Auffassung von Juden als »Staat im Staate« und geschlossene, egoistische Handelsklasse Falsens Vorstellung prägte. In diesen Ideen befangen, erschien es nur konsequent, den Juden Freiheit und Gleichheit zu verweigern, weil ihr eigenes Gesetz ihnen verbiete, frei und gleich zu sein.

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