Bruno Kreisky war der erste und bislang einzige Jude an der Regierungsspitze eines deutschsprachigen Landes – ausgerechnet in Hitlers Geburtsland Österreich mit seiner gepflegten antisemitischen Vergangenheit. Jetzt hat Wolfgang Petritsch, von 1977 bis 1983 Sekretär von Kreisky, eine Biografie seines früheren Chefs vorgelegt. Petritsch, der für das Buch mit nahezu allen Akteuren der Ära Kreisky gesprochen hat, kennt aus eigenem Erleben auch die Schattenseiten der Kreiskyschen Politik und Persönlichkeit. Dennoch meidet er in dieser politischen Biografie die Schlüssellochperspektive und geht mit »intimen Enthüllungen« sehr sparsam um, weil es nicht viel zu enthüllen gab.
assimilierter agnostiker Der 1911 in eine großbürgerliche jüdische Wiener Familie hineingeborene Bruno Kreisky schloss sich als 15-Jähriger der sozialistischen Bewegung an, studierte Jura, kam unter der autoritären Dollfuss-Regierung 1936 ins Gefängnis und emigrierte nach dem »Anschluss« 1938 nach Schweden. Dort lernte er 1940 Willy Brandt kennen, der zu einem seiner engsten Weggefährten werden sollte. Ende 1949 kehrte Kreisky nach Österreich zurück, wurde 1953 Staatssekretär im Außenamt und 1959 Außenminister. Elf Jahre später wurde er zum Bundeskanzler Österreichs gewählt. Den Wählern war Kreiskys Herkunft, als er sich 1970 zur Wahl stellte, nicht verborgen geblieben. Dafür hatte sein konservativer Gegenkandidat gesorgt, der für sich mit dem Motto warb »Ein echter Österreicher«.
Dabei hatte der 1931 aus der Israelitischen Kultusgemeinde ausgetretene assimilierte Agnostiker Kreisky zum Judentum ein ausgesprochen distanziertes Ver- hältnis. Seine konfessionslosen Eltern hatten ihm keine jüdische Erziehung angedeihen lassen. Sein Großvater allerdings hatte ihn als Kind Hebräisch gelehrt, und Kreisky konnte die Sprache lesen und schreiben – eine Tatsache, die er in seinen Memoiren mit keinem Wort erwähnte. Wie seine Eltern hat Kreisky das Judentum zwar nicht verleugnet, es jedoch als Hindernis auf dem Weg der Assimilation in die bürgerlich-emanzipierte Gesellschaft gesehen. Das Wissen um die Schoa war das Einzige, was ihn vorbehaltlos an seine Herkunft band. Auschwitz, so äußerte er sich einmal, sei das Schicksal der Juden, dem auch diejenigen nicht entrinnen könnten, die ihre jüdische Abstammung für mehr oder weniger beliebig hielten. Juden seien durch eine grausame Geschichte »alle in den gleichen Topf geworfen« worden.
antizionist Das hinderte Kreisky nicht daran, als österreichischer Regierungschef vier Minister mit NS-Vergangenheit zu ernennen. Als Simon Wiesenthal diese Tatsache publik machte, begann eine unerbittliche Feindschaft zwischen den beiden. Auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen, attackierte der Nazijäger Kreiskys FPÖ-Vizekanzler Peter wegen dessen SS-Mitgliedschaft. Kreisky ließ sich öffentlich zu der Bemerkung hinreißen: »Ich warte nur darauf, dass Herr Wiesenthal nachweist, dass auch ich bei der SS gewesen bin.« Gegenüber dem in Galizien geborenen »Schtetl-Juden« Wiesenthal legte der assimilierte Bürgersohn Kreisky ein gerüttelt Maß an Arroganz an den Tag. Da hatten sich zwei herausragende jüdischstämmige Österreicher in einen Konflikt verkeilt, dessen eigentliche Wurzel tief in die Geschichte und Tragik des europäischen Judentums verweist.
Ein Freund Israels war Bruno Kreisky auch nicht. Sein Vetter Viktor hatte ihn in seiner Jugendzeit für den Zionismus einzunehmen versucht. Vergebens: Kreisky, der sich als »Epigone des alten Österreich« bezeichnete – nicht aus Nostalgie für die Habsburger, sondern weil er den Untergang der übernationalen Doppelmonarchie stets bedauerte –, konnte mit dem jüdischen Nationalismus nichts anfangen. Seine Vision war die eines nicht ethnisch determinierten Israel, mit einem demokra- tischen palästinensischen Staat gleichberechtigt an seiner Seite. Deshalb setzte er sich für die Interessen der Palästinenser ein, sehr zum Ärger Jerusalems. Er empfing als einer der ersten westlichen Politiker Arafat und verschaffte dem bis dahin als Terroristen ausgegrenzten PLO-Führer diplomatische Respektabilität. Schimon Peres hat Kreisky einmal gefragt, warum er gegen Israel eingestellt sei. Kreisky antwortete kryptisch: »Wäre ich nicht gegen Euch, könnte ich Euch nicht helfen!«
Wolfgang Petritsch: Bruno Kreisky. Die Biografie. Residenz, St. Pölten/Salzburg 2010, 420 S., 26,90 €