Henryk M. Broder war verblüfft, als der von ihm vor einigen Jahren zum »Schmock der Woche« beförderte Berliner Playboy Rolf Shimon Eden den abwertenden Begriff nicht kannte. Behauptet etwa Bodo Mrozek im Lexikon der bedrohten Wörter (2006) zu Recht, die jiddischstämmige Bezeichnung »Schmock« für den selbstgerechten Trottel sei »definitiv vom Aussterben bedroht«?
Ein Blick in die Zeitungen stimmt weniger skeptisch. Hart ging jüngst Die Welt mit Verlagen ins Gericht: »Jeder Schmock schreibt heute, wenn ein Buch aus den USA auf Deutsch erscheint, dieses Werk sei ›aus dem Amerikanischen‹ übersetzt.« Als die Frankfurter Rundschau stichelte, für jeden »Schmock und Parvenü« gebe es beim Preis für Füllfederhalter »nach oben fast keine Grenze«, benutzte sie Schmock synonym zu Snob – in einer semantischen Abwandlung, die wir schon in Torbergs Anekdotensammlung Die Tante Jolesch (1975) finden.
Dreck »Schmock« wurde auch oft variiert als »verschmockt«, sprich: effektheischend, aber gehaltlos, oder »Schmockerei« (= Gewäsch). Noch 1940 mahnte Fred Endrikats Hymne an die Lebensfreude: »Nur keine überspitzten Faxen./Wir reden von der Leber weg,/so wie der Schnabel uns gewachsen,/und meiden den verschmockten Dreck.«
Der literarisch bekannteste Schmock ist der gleichnamige Zeitungsmann in Gustav Freytags Lustspiel Die Journalisten (1854). Der spricht jiddelndes Deutsch, quittiert Fragen mit als »typisch jüdisch« angesehenen Gegenfragen und wurde zum Inbegriff des Lohnschreibers, der sich »nach jeder Richtung« wendet. Die 2008 von Marcel Reich-Ranicki in der FAZ gerügten antisemitischen Klischees Freytags, die wir auch im Roman Soll und Haben (1855) finden, zählen Monika Schwarz-Friesel und Jehuda Reinharz in ihrem Band über Die Sprache der Judenfeindschaft im 21. Jahrhundert (2013) »zum kulturell-kommunikativen Erbe, judenfeindliche Animositäten zu verbalisieren«, ohne dass man den Autor als Judenhasser charakterisieren könnte.
Freytag entlehnte seinen »Schmock« den 1851 anonym erschienenen Bildern aus Oestreich von einem deutschen Reisenden seines jüdischen Mitarbeiters bei der Zeitschrift Grenzbote, Jakob Kaufmann. Die später durch Fritz Mauthners Satire Schmock oder Die literarische Karriere der Gegenwart (1888) popularisierte Figur wurde zum Vorläufer des Doppeljournalisten Fink und Fliederbusch in der gleichnamigen 1917 uraufgeführten Komödie Arthur Schnitzlers.
Mythologismen Sigmund Freud erwähnt in seiner Studie Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten (1905) den Redakteur Wippchen, eine bekannte Figur des Schriftstellers Julius Stettenheim, als »Modifikation des Freytagschen Schmock«, während Alexander Moszkowski (Das Panorama meines Lebens, 1925) bei diesem »Typus eines journalistischen Schmocks« die »Masse der verdrehten Zitate und verrenkten Mythologismen« amüsierte. Und in seiner Rezension zu Moritz Heimanns Journalisten-Drama Armand Carrel interessierte Carl von Ossietzky 1922 in der Berliner Volks-Zeitung »nicht Schmock, der arme Zeilenschinder, der literarische Galeerensklave, sondern Schmock, der Macher und Beherrscher der öffentlichen Meinung«.
Kenner des Jiddischen werden bis jetzt eine andere Bedeutung vermisst haben. Das Wort hat, so wie Henryk M. Broder es für Rolf Eden und andere gern verwendet, eine pejorative und obszöne Note, weil es im Jiddischen auch für Penis steht. Die Wiener Presse betitelte 2007 ein Interview mit der Sexualtherapeutin Ruth Wertheimer: »Wenn der Schmock stejt«.
Weil man das jiddische »shmok« in den USA »shmuck« schreibt, haben manche Etymologen es mit dem deutschen »Schmuck« im Sinne von »männlichen Kronjuwelen« in Verbindung gebracht. Zu Unrecht. Tatsächlich, so der Jiddist David L. Gold 2002 im Eurasian Studies Yearbook, stammt das vulgäre ostjiddische »shmok« aus dem Altpolnischen. Dort ist »smok« die Ringelnatter. Ein Schmock, wer Böses dabei denkt.