Yisroel trägt ein T-Shirt mit selbst entworfenem Motiv: eine Teekanne, darunter der jiddische Spruch »Hak mir nicht den shejnik!«, übersetzt: Hau mir nicht den Teekessel! Oder: Nerv mich nicht! Doch sein Freund Zach hat etwas auszusetzen: »Hak mir nicht kejn shejnik«, müsste es heißen, sagt er, doppelte Verneinung.
hejmisch Yisroel und Zach reden gerne auf Jiddisch miteinander, und oft auch über Jiddisch. Kennengelernt haben sie sich schließlich bei einem Jiddisch-Sprachkurs – Zach, der Computertechniker und Yisroel, der Philosophiestudent, die beide mit Englisch groß geworden sind.
Die Mameloschn boomt in New York. Jedes Jahr kommen mehr Sprachschüler in die Kurse, die an traditionsreichen Instituten wie dem Yidisher Visnshaftlekher Institut, kurz YIVO, dem Arbeterring in Manhattan, aber auch an Universitäten angeboten werden. Es sind vor allem junge säkulare Juden, die eine Sprache lernen wollen, in der man in keiner Stadt der Welt auch nur einen Kaffee bestellen kann. Viele Studenten bleiben nur ein paar Semester dabei. Doch für manche der jungen Jiddisten wird die fast vergessene Sprache und das, was sie mit ihr verbinden, zu einem Teil ihres Lebens. Man trifft sich bei den zweisprachigen englisch-jiddischen Shows der Performancekünstlerin Jenny Romaine, die politische Spektakel voller Versatzstücke aus der Tradition des jiddischen Theaters präsentiert. Man geht auf Konzerte der Klesmerpunks Golem oder des Jiddisch-HipHoppers So Called, der vom »jiddische Wort – getrogn von Ort zu Ort« erzählt. Und im Sommer geht’s raus zur Yiddishwochn – sieben Tage Camping in der Nähe von New York, alles auf Jiddisch natürlich.
Yisroel und Zach besuchen auch regelmäßig die Svives, 14-tägige Abende der Jiddisch-Organisation Yugntruf. »Sholem Aleichem«, begrüßt Menachem Ejdelman seine Gäste: »Mach sich hejmisch!« Die meisten hier sind jung, höchstens dreißig. Sie geben sich große Mühe, nur Jiddisch zu sprechen, so wie es hier vorgeschrieben ist. Sie erzählen sich, was sie die letzten Tage gemacht haben oder wie es einem gemeinsamen Bekannten geht – Alltägliches eben. Das geht nicht immer flüssig. Manchmal fällt die Unterhaltung dann ein paar Sätze lang ins Englische.
ponem buch Doch das sind Ausrutscher. Die Jiddisten haben den Ehrgeiz, möglichst alles in der Mameloschn zu formulieren. Wenn jiddische Begriffe für Gegenwartsphänomene fehlen, erfinden sie eben neue. »Broid mit pomidor-soß« ist die Pizza, die sich einige von ihnen kommen lassen. »Ponem buch« ist Facebook, über das viele miteinander kommunizieren. Mit »hoiche finf«, englisch »high five«, begrüßt man sich hipstermäßig. Es gibt Neuschöpfungen wie »Blitzpost« (E-Mail), die auch über die jiddischsprachige Ausgabe der Zeitung Forverts verbreitet werden, und sich in der Szene fest etabliert haben.
Eine Frau mittleren Alters ist zum ersten Mal bei einer Svive. Sie ist überrascht, wie gut die anderen Gäste Jiddisch sprechen. Sie sagt auch, dass Jiddisch in ihren Ohren immer etwas altbacken klingt. Es sei eben keine lebendige Sprache mehr, die »in de goss«, auf der Straße, gesprochen werde. Doch gerade, weil Jiddisch seinen Gebrauchswert als Alltagssprache verloren hat und kaum noch jemand auf Jiddisch schimpft oder sich über Verdauungsprobleme unterhält, sei die Sprache so offen dafür, mit Bedeutung aufgeladen zu werden, meint Jeffrey Shandler, Professor für Jüdische Studien an der Rutgers University in New Jersey und Autor des Buches Adventures in Yiddishland. Den jungen amerikanischen Jiddisten, die Jiddisch manchmal noch bei ihren Großeltern gehört hätten, gehe es weniger um Nostalgie für die ostjüdische Kultur ihrer Vorfahren, glaubt Shandler. Ihr Jiddisch-Land sei vielmehr eine selbst geschaffene Welt, die nach der eigenen Vorstellung gestaltet werde. Die einstige Alltagssprache der Schtetl sei in Amerika eine symbolische Sprache geworden: »Die symbolische Geste, überhaupt etwas auf Jiddisch zu sagen, ist genauso wichtig wie das, was man sagt.«
goles lebn Schätzungen zufolge gibt es noch rund 600.000 bis 2 Millionen Jiddisch-Sprecher auf der Welt. Weltliche Jiddisten, wie man sie auf der Svive-Party trifft, machen nur einen Bruchteil von ihnen aus. Am Leben gehalten wird die Sprache vor allem von den ultraorthodoxen Gemeinden in Städten wie Jerusalem, Antwerpen und natürlich New York. Obwohl Yisroel und Zach mit dem abgeschotteten Leben der Haredim wenig gemein haben – Jiddisch dient auch ihnen dazu, sich von der amerikanischen Mehrheitsgesellschaft abzugrenzen. Beide entstammen der jüdischen Mittelschicht der US-Ostküste. Sie haben nie antisemitische Diskriminierung erfahren. Und doch fühlten sie sich immer etwas anders, befremdet von »Weihnachtsliedern, mit denen man sogar im Bus beschallt wird«, wie Zach sagt. Jiddisch ist für sie ein säkularer Anknüpfungspunkt an jüdische Kultur und Tradition. Yisroel, der eigentlich mit Vornamen Warner heißt, hat auf seinem Handy eine Voicemail-Ansage auf Jiddisch. Im Internet führt er einen jiddischen Blog und in der Lower East Side hat er jiddische Graffiti gemalt: »goles leben«, Diaspora-Leben. Es ist ein Zitat von Chaim Zhitlowsk, der vor einem Jahrhundert für die jüdische Eigenständigkeit in der Diaspora warb und sich damit gegen die Zionisten stellte.
Auch das spielt eine Rolle bei der Wiederentdeckung der Mameloschn. Nach der Schoa war sie verpönt als Idiom der »Opferjuden«. Als jüdische Sprache der Zukunft galt das Iwrit der neuen kämpferischen Hebräer mit eigenem Land. Die Rückkehr zum Jiddischen symbolisiert für viele seiner jungen Fans auch eine jüdische Identität jenseits des gleichzeitig assimilierten wie Israel-fixierten Mainstreams in den USA.
Yisroel und Zach sind sich bewusst, dass sie einer kleinen Minderheit angehören. »Unsere Eltern haben aufgehört, religiös zu sein. Unsere Generation hört auf, jüdisch zu sein«, glaubt Zach. Er selbst wird vielleicht seine katholische Freundin heiraten. Yisroel dagegen meint, ein echter Jiddist müsse auch seine Kinder auf Jiddisch großziehen. Aber was soll dann aus ihnen werden? »Sie können ja bei Yugntruf arbeiten«, sagt Yisroel. Beide müssen lachen.