Kolumne

Jerry Seinfeld, rette mich!

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich bin mittlerweile Eskapismus-Profi. Wenn die Gleichzeitigkeit von Raketen auf Israel und Kaffeetrinken in Berlin mich durchdrehen lässt, brauche ich eine forcierte Übersprungshandlung. Egal, ob Buch, Film oder Serie, möglichst weit weg muss es sein. Am besten historisch, aber die 80er- und 90er-Jahre gehen auch gerade noch. Familiengeschichten ohne großen Streit, Liebeskomödien ohne existenzielles Drama, leichte Lacher, mit ein bisschen Anspruch, bitte. Kein Hass, kein Krieg, keine Angst. Jane Austen wirkt immer. Auch Bridgerton hat sehr gut funktioniert. Allerdings nur bis Teil drei, der war dann doch zu sehr am Korsett herbeigezogen.

Ungnädig bin ich geworden. Als in der wirklich grandiosen Kuschel-Serie Nobody wants this mit Adam Brody als »hot rabbi« das Wort »Geiselverhandlungen« fiel, habe ich sofort den Laptop zugeklappt. (Und danach vorsichtig wieder auf.) Action und Gewalt gehen natürlich überhaupt nicht. Deshalb will ich mir meinen Fauda-Liebling Lior Raz in der Gladiator-Fortsetzung auch sparen. Nazi-Dumpfbacke Riefenstahl gucke ich mir nur aus beruflichen Gründen an, und weil Regisseur Andres Veiel ein Guter ist. Denken Sie nur an Black Box BRD.

Aber eben nicht in der Freizeit, wenn nachts die RocketAlert-App schrillt und ich die Familie in Israel anrufe, in der Hoffnung, dass der Empfang im Schutzraum besser geworden ist. Gerade berichtete mein Schwager ironisch-stolz vom ersten Alarm in Kfar Vitkin, und dass sie in den frühesten Morgenstunden schlaftrunken nur 30 Sekunden gebraucht hätten, um in den Miklat zu kommen. Mir blieb die ironische Antwort im trockenen Hals stecken.

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Wegen dieses Gefühls der völligen Hilf- und Nutzlosigkeit, dem nagenden Schuldgefühl, weit weg unbeschadet Kaffee trinken zu können, giert mein Hirn nach Zerstreuung, Abschalten, ins Nichts gucken. Also ein Nichts, das es nicht allzu sehr auf Hochtouren bringt, aber bitte auch nicht beleidigend leer daherkommt. Der französische Netflix-Hit Call your Agent taugt tatsächlich, um zumindest vorübergehend von neuen AfD-Zahlen abzulenken.

Dank der Serie Downton Abbey konnte ich kurzzeitig sogar menschenverachtende Diskussionen über den 7. Oktober ausblenden. Aber nur bis in diesem Lalaland der Harmlosigkeit plötzlich Zofe Anna vergewaltigt wird. What were you thinking?! Das werde ich den Drehbuchautoren niemals verzeihen! Rot blinkt es im Kopf – und auf dem Mobiltelefon.

John-Travolta-Lächeln

Nur auf einen ist wirklich absolut immer Verlass: Jerry Seinfeld! Wenn er Kramers neuesten Irrsinn mit einem John-Travolta-Lächeln quittiert. Wenn er George aus vollstem Herzen beleidigt und der ihm strahlend zustimmt. Oder wenn er Elaine in den Wandschrank sperrt und die sich kurz darauf mit Wumms revanchiert. Nur einmal sind sie haarscharf am Rea­lity-Alert-Trigger vorbeigeschrammt, als Kramer und Newman sich beim »Risk«-Spielen in der Subway um die Ukraine streiten und ein zufällig mitfahrender Ukrainer mit Fellmütze daraufhin das Spielbrett zerstört. Aber eine Sekunde später geht es auch schon wieder um Georges ewig selbstverschuldetes Liebes-Pech.

Wenn auch das nicht hilft, verschreibe ich Ihnen die Seinfeld-Bloopers. Die gibt es gratis auf YouTube zu sehen. In verschiedenen Dosen und Rankings. Einmal täglich einzunehmen vor dem Schlafengehen. Denn: Sogar wenn bei Seinfeld alles schiefgeht, scheint die Welt noch in Ordnung!

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