Es beginnt im Hier und Jetzt. Auf gleich zwei Leinwänden sitzen sich abwechselnd Persönlichkeiten aus der aktuellen Filmwelt in Deutschland gegenüber. »Gegen/Stimmen« heißt das und ist eine Video-Installation der beiden Regisseurinnen Ruth Olshan und Niva Ehrlich. Unter anderem sind darin Angelika Levi, Jeanine Meerapfel sowie Samuel Finzi und Arkadij Khaet zu sehen und zu hören.
Sie sprechen über Jüdischsein und was es für sie als Filmemacher und Schauspieler bedeutet. Das Ganze scheint für alle Beteiligten ein Balanceakt. Sie wollen nicht in eine Schublade gesteckt werden und trotzdem wichtige jüdische Themen ansprechen. Denn Jüdinnen und Juden sind in deutschen Filmen oftmals nur Projektionen und sollen eine bestimmte Rolle verkörpern – es fehlt die Vielschichtigkeit.
Genau an diesem Punkt setzt die neue Sonderausstellung Ausgeblendet/Eingeblendet – Eine jüdische Filmgeschichte der Bundesrepublik an. Sie ist im Jüdischen Museum Frankfurt zu sehen. Zugleich handelt es sich aber auch um einen Blick zurück. Man möchte zeigen, dass die deutsche Filmgeschichte der Nachkriegszeit von zahlreichen, sehr unterschiedlichen jüdischen Charakteren geprägt wurde, die heute teilweise kaum noch bekannt sind.
Konzept Gleichzeitig soll auch verdeutlicht werden, dass es unmöglich ist, von dem einem jüdischen Filmgenre zu reden, das quasi als große Klammer funktionieren könnte. Vielmehr sind Regisseure und Schauspieler immer sehr individuell mit der eigenen Herkunft umgegangen und haben diese in ihre Werke mit einfließen lassen.
Diese facettenreiche Geschichte wird am Beispiel einzelner Filme sowie der Biografien ihrer Macher und Darsteller nachgezeichnet. Umgesetzt wurde dieses Konzept mithilfe von Baugerüsten, die an Kulissen von Filmsets erinnern. Von überall hört man Stimmen, Gesänge und Töne.
Jüdisches Leben wird romantisiert und zugleich abgespalten.
Im ersten Raum setzt die Erzählung dieser Geschichte unmittelbar in der Nachkriegszeit ein. Nicht wenige jüdische Produzenten waren maßgeblich am Aufbau der westdeutschen Filmindustrie beteiligt. Hier werden Größen wie Erich Pommer oder Artur Brauner präsentiert, der 1948 mit Morituri einen der ersten deutschen Filme schuf, der überhaupt die Schoa thematisierte.
Der Film dreht sich um eine Gruppe entflohener KZ-Häftlinge, die einen Wehrmachtssoldaten gefangen nehmen und darüber entscheiden müssen, was mit ihm geschehen soll. Gnade walten lassen oder ihn hinrichten? Es wird ein Tribunal mit verschiedenen Stimmen eröffnet. Neben einem Filmausschnitt sind Zeitungsartikel von damals zu sehen, die zeigen, dass der Film in der deutschen Nachkriegsgesellschaft auch Unmut und Ablehnung hervorrief.
Im zweiten Raum sind die Baugerüstwände mit rotem Stoff bezogen. Es geht um Glamour, schillernde Momente und Stars oder wichtige Akteure, allen voran Lilli Palmer und Peter Lorre sowie die heute weniger bekannte Filmagentin Elli Silman. Wie schon bei Artur Brauner zu beobachten, wird hier vor allem darauf eingegangen, dass die Erfahrungen von Verfolgung und Flucht von nach Deutschland zurückgekehrten Filmpersönlichkeiten oftmals zu einer Karriere im Ausland umgedeutet wurden.
Wanderung Während also die Besucherinnen und Besucher durch die Räume gehen, wandern sie auch durch die Zeiten. Das Fernsehen kommt auf und macht dem klassischen Film Konkurrenz. So sieht man alte Röhren-TV-Geräte und davor die passende Wohnzimmergarnitur mitsamt den Teppichen von damals. Hier kann man sich eine frühe Folge mit Marcel Reich-Ranicki anschauen oder den von Imo Moszkowicz produzierten Fernsehfilm Mein Freund Harvey. Es zeigt sich, dass das neue Medium primär der Unterhaltung dient und Themen wie Schoa und Vertreibung kaum im Programm vertreten waren.
In einem weiteren Raum werden jüdische Positionen in den Geschehnissen um den Generationenstreit zwischen dem sogenannten Neuen Deutschen Film und »Papas Kino« präsentiert. Es ist auch die Zeit der Dokumentarfilme zur Schoa, wie zum Beispiel Erwin Leisers Mein Kampf von 1960, der mit Originalaufnahmen aus dem Warschauer Ghetto sowie schockierenden Filmdokumenten aus den Archiven der Alliierten arbeitet.
Immer wieder geht es auch um die Rezeptionsgeschichte und die negativen Reaktionen, die vor allem kritische Filme erfuhren.
Immer wieder geht es auch um die Rezeptionsgeschichte und die negativen Reaktionen, die vor allem kritische Filme erfuhren. So auch Jeanine Meerapfels Die Verliebten von 1987. Es geht um weibliche Selbstbestimmung und die Erfahrungen von – wie es damals hieß – Gastarbeitern und ihren Familien in Deutschland, aber auch um die Konfrontation mit Antisemitismus und Rassismus.
Wunsch Ein weiteres Thema von Ausgeblendet/Eingeblendet sind die Popkultur sowie die Stars aus der Musikszene der 60er- und 70er-Jahre. Schlagersängerinnen wie Esther Ofarim oder Daliah Lavi performten als Israelis und bedienten damit eine Sehnsucht des deutschen Publikums nach etwas Neuem und Exotischem. Jüdinnen und Juden werden zwar sichtbarer, sie treten jedoch stromlinienförmig und ohne Ecken und Kanten auf. Jüdisches Leben wird so romantisiert und zugleich abgespalten – der Wunsch des deutschen Publikums, Jüdisches ohne eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit zu konsumieren und zu erfahren, dominiert alles.
Die Ausstellung, die auf den Forschungsarbeiten von Lea Wohl von Haselberg und Johannes Praetorius-Rhein basiert, arbeitet mit ausgewählten Filmausschnitten und um sie herum arrangierten historischen Dokumenten sowie Fotografien, die Hintergründe und Rezeption beleuchten. Selbst ohne jegliche Kenntnis von Filmgeschichte finden die Besucherinnen und Besucher so einen Zugang zu den Kernthemen, und zwar einer Genese der unterschiedlichen Facetten jüdischer Identitäten in Film und Fernsehen der deutschen Nachkriegszeit. Diese passt in keine Schublade, weil sie ohne Stereotypen oder Klischees funktioniert.
Die Ausstellung läuft noch bis zum 14. Januar 2024.