Der Schriftsteller, hat Nadine Gordimer einmal gesagt, steht unter dem Druck der Erwartung jener, deren Ziele und Ideale er teilt: »Seine Integrität als Mensch verlangt von ihm, dass er jedes Opfer bringt, das dem Kampf um Freiheit nützt.«
Mehr noch als in ihren großen Romanen hat Nadine Gordimer in vielen politischen Essays den Balanceakt engagierten Schreibens zu deuten versucht, für das sie eine Trennung zwischen dem Privaten und dem Politischen nicht gelten ließ. »Protestliteratur« war das nach ihrem eigenen Verständnis aber nie.
Gordimer wollte Einsichten in eine empörende und irritierende Wirklichkeit vermitteln. Für ihr Lebenswerk im Zeichen des Kampfes gegen politische und soziale Ungerechtigkeit wurde sie 1991 mit dem Literaturnobelpreis geehrt. Drei Jahre später war ihr Lebensziel Realität geworden: Die Apartheid in Südafrika endete.
prinzipien Die 1923 in Johannesburg geborene Grande Dame der südafrikanischen Literatur war Jüdin, wenngleich sie daraus nie viel Aufhebens machte. Das war Familientradition. Ihre Eltern, eine jüdische Engländerin und ein aus Litauen eingewanderter Uhrmacher, dessen Muttersprache Jiddisch und dessen Schulbildung deutsch war, standen jüdischem Brauchtum und Denken distanziert gegenüber. Sie schickten die Tochter auf eine katholische Klosterschule.
Wenn es in Leben und Werk Nadine Gordimers dennoch so etwas wie eine jüdische Konstante gab, dann wohl in ihrer prinzipiellen Ablehnung der Apartheid. Mehrfach betonte sie, zu den absoluten Gewissheiten ihres Lebens gehöre die Überzeugung, »dass der Rassismus böse ist – menschliche Verdammnis im Sinne des Alten Testaments–, und keine Kompromisse und keine Opfer sollten zu groß sein im Kampf gegen ihn«.
selbstbefragung Auch nach dem Ende der Apartheid rückte Gordimer nicht ab von ihrem Gestus intensiver Selbstbefragung. 1996, fünf Jahre, nachdem sie den Literaturnobelpreis erhalten hatte, reagierte die Schriftstellerin mit ihrem zwölften Roman Niemand, der mit mir geht auf die veränderten politischen Verhältnisse in Südafrika.
Die Protagonisten – ein schwarzes und ein liberales weißes Paar, die aus dem Exil zurückgekehrt sind – finden sich in der neuen Zeit nicht mehr zurecht. Sie scheitern an den gewaltsam deformierten Beziehungen. Auch in dem Roman Ein Mann von der Straße 2001 stellte Gordimer dar, wie die Menschen am Kap seelisch beschädigt wurden und immer wieder in rassistische Klischeefallen stolpern.
Als 2008 ihr Buch Fang an zu leben erschien, hatte die Autorin gerade eine Heimsuchung der besonderen Art überstanden. Sie war in ihrem Haus am Rande von Johannesburg von drei jungen Schwarzen überfallen und beraubt worden. Alles wurde ihr weggenommen: Bargeld, Schmuck, sogar der Ehering, der ihr nach dem Tod ihres Mannes, eines emigrierten Juden aus der Berliner Intellektuellenfamilie Cassirer, besonders viel bedeutete. Doch die Ausgeraubte reagierte prinzipienfest: Gäbe man den jungen Leuten Arbeit, Brot und eine menschenwürdige Bleibe, erklärte sie, hätten sie keinen Anlass mehr, fremde Leute zu überfallen.
zweifel Vor Kritik aus dem eigenen Lager hat Gordimer ihre Haltung nicht geschützt. Radikale Gegner des weißen Regimes in Pretoria warfen dem langjährigen ANC-Mitglied immer wieder ihre privilegierte gesellschaftliche Position vor und beschuldigten sie, in ihren Büchern nicht entschieden genug ihr politisches Urteil kenntlich gemacht zu haben.
Ein Missverständnis. Nadine Gordimer hat immer wieder in Interviews betont, dass sie sich nicht als Propagandistin verstand, die andere von ihren politischen Idealen überzeugen wollte. Als Literatin wollte sie die Wirklichkeit und deren verborgene Aspekte beleuchten. Eindimensionale Schwarz-Weiß-Malerei war die Sache dieser Schriftstellerin nie gewesen.
Am Sonntag, den 13. Juli, ist Nadine Gordimer im Alter von 90 Jahren in ihrer Geburtsstadt Johannesburg gestorben.