Forschung

Je größer, desto besser

Eine neue Studie der Bar-Ilan-Universität belegt, dass das Format von Bildern Einfluss auf unser Gedächtnis hat

von Helmut Kuhn  09.02.2022 07:46 Uhr

Manche Bilder bleiben im Gedächtnis, andere nicht: Madonna-Werbeplakat in Hamburg Foto: picture-alliance/ dpa

Eine neue Studie der Bar-Ilan-Universität belegt, dass das Format von Bildern Einfluss auf unser Gedächtnis hat

von Helmut Kuhn  09.02.2022 07:46 Uhr

Größe scheint im Bereich der natürlichen Sicht des Menschen durchaus ein Kriterium zu sein. »In der visuellen Erinnerung kommt es auf die Größe an. Unsere Studie zeigt: Je größer ein Bild, desto besser erinnern wir uns daran«, sagt Sharon Gilaie-Dotan von der israelischen Bar-Ilan-Universität. Die Forscherin veröffentlichte ihre Studie vor Kurzem im renommierten Wissenschaftsmagazin »Proceedings of the National Academy of Science of the United States of America« (PNAS). Zahlreiche wissenschaftliche Foren folgten.

Denn die Untersuchung belegt Erstaunliches: Größere Bilder würden im Alltag bis zu 1,5-mal besser erinnert als kleinere. Diese Erkenntnis könnte erhebliche Auswirkungen haben, etwa in den Bereichen Lehre, Werbung oder Politik, vermutet Gilaie-Dotan. Sind unsere Handy-Bildschirme also zu klein? Wird die Litfaßsäule wiederauferstehen? Lernen wir an großen Bildschirmen besser?

»Jeden Tag begegnen uns Bilder an Wänden, in Zeitungen, Büchern und elektronischen Geräten. Manche bleiben uns im Gedächtnis, andere nicht. Lange Zeit nahm die Wissenschaft an, dass Größe und Erinnerung nicht zusammenhängen, weil wir für gewöhnlich verstehen, was das Bild zeigt, egal ob es klein oder groß ist«, sagt Sharon Gilaie-Dotan. Ihre Studie legt nun die Annahme nahe, »dass größere Bilder im Alltag besser erinnert werden als kleine, basierend auf der Tatsache, dass sie das visuelle System vor größere Verarbeitungsaufgaben stellen«, erläutert Gilaie-Dotan.

PROBANDEN Zusammen mit ihrem Team, den Doktorandinnen Shaimaa Masarwa und Olga Kreichman, arbeitete die Wissenschaftlerin mit 182 Probanden zwischen 18 und 40 Jahren an sieben Experimenten. Den Personen wurden einzelne und verschieden große Bilder vorgelegt, ohne Hinweis auf einen darauf folgenden Erinnerungstest. Immer wieder ergaben die Tests, dass sich die Versuchsteilnehmer an größere Bilder 1,5-mal so gut erinnern konnten wie an kleinere.

»Das Phänomen war dabei nicht abhängig von spezifischen Stimuli wie Reihenfolge, Bildauflösung oder Informationsmenge«, so Gilaie-Dotan. Um diese auszuschließen, legte das Team den Probanden auch große verschwommene Aufnahmen ebenso wie auflösungsstarke kleine Bilder vor, welche die gleichen Details enthielten. »Zu unserem Erstaunen wurden auch hier die großen verschwommenen Bilder besser erinnert.«

Sind Handy-Bildschirme zu klein? Wird die Litfaßsäule also wiederauferstehen?

Ihre Erklärung: »In den Bereichen des Gehirns, die für die Bildentwicklung der Retina zuständig sind, müssen mehr Ressourcen aufgewendet werden bei der Erkennung und Verarbeitung von großen als von kleinen Bildern.« Die Forscherin räumt ein, dass auch andere Faktoren dabei eine Rolle spielen könnten wie Alter, Augenbewegungen oder eine gesteigerte Aufmerksamkeit, die große Bilder erwecken können.

Die Probanden zwischen 18 und 40 Jahren verfügten zudem über eine ausgereifte Sehkraft, die keine Altersabnutzungen aufwiesen. Welche Auswirkungen die Dimension der Größe auf verschiedene Altersgruppen habe, bleibe noch zu untersuchen.

Gerade auf die »Bildschirm-Generation« der 18- bis 40-Jährigen aber könne die Studie enorme Auswirkungen haben. Diese Generation konsumiere große Mengen an Information auf kleinen elektronischen Geräten. Viele Studierende lernen gar mit dem Smartphone. Hochschulen stellen Textbücher auch in elektronischer Form bereit. »Das Gerät ist klein, handlich und kann besser transportiert werden als ein großer Bildschirm.« Während sich die Studie zunächst auf statische Bilder konzentriere, sei es aber durchaus möglich, »dass im Bereich dynamischer Bilder wie Videos auf größeren Bildschirmen gleichfalls im Gehirn größere Ressourcen zur Verarbeitung genutzt werden als auf kleineren. Videos könnten also auf größeren Bildschirmen womöglich auch besser erinnert werden.«

LERNEN Das könne für die Lehre nützliche Effekte haben. »Was passiert, wenn wir Texte lesen? Wenn wir lernen? Auch hier kann Größe eine Rolle spielen. Das Lernen an größeren Bildschirmen könnte sich als effektiver erweisen. Aber dies müssen wir direkt untersuchen«. Gilaie-Dotan kündigt weitere Forschungen an.

Werden uns demnächst Werbebotschaften und Wahlversprechen von riesigen Bildschirmen anbrüllen?

Die Studie dürfte aber bereits jetzt in vielen Bereichen auf großes Interesse stoßen. »Wenn ich einmal Hypothesen aufstelle, könnte das Wissen um dieses Phänomen auch Auswirkungen auf die Vermittlung etwa politischer Botschaften haben oder auf die Frage, wie man Inhalte an ältere Menschen transportiert«, so Gilaie-Dotan.

Es könne auch sein, dass das entdeckte Phänomen nicht auf Bilder allein limitiert ist. So könne im normativen Bereich auch eine höhere Lautstärke Auswirkungen auf unsere Fähigkeit zum Verständnis haben, die Erinnerung im auditiven Bereich erhöhen, erläutert die Wissenschaftlerin. »Ich stelle einmal die Hypothese auf, dass es uns eine niedrige und schwache Lautstärke schwerer macht, Dinge zu verstehen, und eine höhere Lautstärke es erleichtert, uns zu erinnern.«

DIMENSIONEN Steht zu befürchten, dass uns Werbebotschaften und Wahlversprechen demnächst von riesigen Bildschirmen anbrüllen? »Größe ist nur eine Dimension im physischen Bereich des visuellen Reizes. Wir wollen verstehen, ob auch andere Dimensionen eine Rolle spielen. So untersuchen wir die Dimension des Kontrastes. Welche Auswirkung auf unsere Fähigkeit zu lernen und zu erinnern hat etwa schwaches oder starkes Licht?«

Gilaie-Dotan lehrt seit fünf Jahren an der School of Optometry and Vision Science und am Gonda (Goldschmied) Multidisciplinary Brain Research Center der Bar-Ilan-Universität in Ramat Gan. Die Universität nahe Tel Aviv ist eine der führenden Israels mit nach eigenen Angaben rund 19.000 Studierenden und 3500 wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. »Es wird noch viel Forschung nötig sein, um zu verstehen, wie weit das Phänomen reicht und welche Bereiche es betreffen könnte.«

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