Die Tradition des jüdischen Witzes lebt heute vor allem in den Vereinigten Staaten weiter, am ursprünglichsten im Jiddischen, so wie die Sprache dort – wenn auch in beklagenswert rückläufiger Entwicklung – gepflegt wird. Darüber hinaus beeinflusst das Jiddische jedoch auch das Englische. Man spricht daher von Yinglish. Diese linguistische Bezeichnung ist ein »blend«, wie Sprachwissenschaftler sagen, eine Zusammensetzung aus zwei Wortbestandteilen: Yiddish und English ergibt Yinglish.
Beachtenswert ist allerdings die Unterscheidung, die der amerikanische Autor Leo Rosten (1908–1997) in seinem Bestseller The Joys of Yiddish (1970) getroffen hat. Die Bezeichnung Yinglish verwendet man für Wörter, die umgangssprachlich innerhalb und außerhalb der USA gebraucht werden: kibitzer, mishmash, bagel und so weiter.
AMERIDDISH Daneben gibt es Wörter, die nur im amerikanisch-jüdischen Kontext verstanden werden: In den Catskill Mountains, dem El Dorado für amerikanisch-jüdische Sommerurlauber, nennt man zum Beispiel Zimmer oder Bungalows mit einer Kochmöglichkeit kochalayns – hergeleitet aus den uns vertrauten Wörtern kochen und allein. Und wer dort anderen in die Karten schaut, den nennt man einen kibitzer. Für solche Benennungen prägte Rosten wiederum ein »blend«, diesmal aus American und Yiddish: nämlich Ameriddish.
Amerikanische Theaterstücke, Fernsehshows und Werbespots enthalten sehr häufig Ausdrücke, die sich in ihrem hintergründigen Humor nur dem erschließen, der mit Yinglish und Ameriddish vertraut ist. Interessanterweise hört man auch New Yorker Discjockeys gelegentlich ins Mikrofon hauchen: »It’s shpeter than you think, kids.«
Der Publizist Wallace Markfield (1926–2002) sprach in einem Artikel, den er 1965 in der Zeitschrift »Esquire« veröffentlichte, sogar von »The Yiddishization of American Humor«: »Yiddish … has for the past several years quietly infiltrated the American scene and syntax.« Wer sich mit jüdisch-amerikanischem Humor vertraut machen möchte, muss unbedingt die geistreichen Bücher Leo Rostens lesen, jenes überaus vielseitigen Publizisten. Er ist unter anderem Verfasser von Hooray for Yiddish, erschienen 1982 in New York.
LEO ROSTEN Rosten war ein äußerst witziger linguistischer Kommentator, zudem ein höchst kritischer Beobachter, keineswegs ein zustimmender alrightnik. Der Stil seiner Definitionen ist scharfzüngig, niemals fancy-shmancy: Juden in den USA kennzeichnet er zuweilen abfällig wie folgt: »Arab, Ikey, Izzy, Jake, motzer, sheeny, shonacker, smouch, shnozzle, shnozzola, Yid, Yiddisher«.
Es gibt kein Wörterbuch, in das in vergleichbar amüsanter Weise Witze eingestreut wären, um Worterklärungen zu verdeutlichen, zum Beispiel für maven, das für Experte steht. Dieses Wort wurde aus dem Hebräischen über das Jiddische ins Amerikanische übernommen und ist dort – wie es das Random House Webster’s College Dictionary und auch das Linguee-Wörterbuch ausweisen – absolut geläufig.
Ein maven für Yinglish und Ameriddish kennt neben den grammatischen auch rhetorische Eigenheiten dieser Varianten: zum Beispiel die Echofrage, mit der man die Unsinnigkeit einer Ausgangsfrage betont. Dem »altehrwürdigen Verbot, sich mit nichtjüdischer Kultur einzulassen«, entstammt, wie Jan Meyerowitz (1913–1998) in seinem Buch Der echte jüdische Witz (1971) betonte, eine reiche Quelle jüdischen Witzes.
ASSIMILATION Zwei Beispiele von Meyerowitz unterstreichen »mit einem ziemlichen Schuss gar nicht immer so lustiger Bosheit« den Zweifel an der Wünschbarkeit und Möglichkeit der Assimilation. Moritz Rosenthal, ein Pianist, auf den die Juden besonders stolz waren, spielt in Budapest. Der Saal ist voll, die Leute stehen dicht gedrängt auf der Treppe, wo sie nichts sehen können. Ein Jude mitten in Liszts »Mephistowalzer«: »Du, geigt er oder blost er?«
Der zweite Witz: Ein Jude geht in die »Götterdämmerung«. Es dauert drei Stunden, vier Stunden, fünf Stunden. Sechs Stunden! Als er aus dem Theater kommt, fragen ihn die Freunde, wie es gewesen sei? »O, herrlich, wunderbar, nur der Schluss war ebbes überstirzt!